Digitalisierung und Folgen für Mitarbeiter

Arbeiten im Labormodus

11.01.2016
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Die größte Herausforderung der Digitalisierung ist nicht technischer Natur. Darin waren sich die Teilnehmer des Roundtable-Gesprächs einig, zu dem die COMPUTERWOCHE geladen hatte. Die größte Herausforderung müssen Mitarbeiter wie Führungskräfte in ihren Köpfen bewältigen, da sich vieles verändern wird.

Digitalisierung schreiben sich viele Unternehmen auf die Fahnen. Doch was bedeuten die zunehmende Automatisierung von Prozessen und andere Veränderungen für die Mitarbeiter? Diese Frage versuchte eine Diskussionsrunde zu klären, zu der die COMPUTERWOCHE Ende vorigen Jahres IT-Manager geladen hatte.

Den entscheidenden Anstoß für die Verän­derungen geben die Kunden, wie Frank Engelhardt, Vice President Enterprise Strategy von Salesforce.com, ausführte: "Seit mit dem Smartphone jeder einen Supercomputer in der Tasche hat, sind die Erwartungen von Mitarbeitern wie Kunden gestiegen: Sie haben weniger Geduld, erwarten mehr Transparenz und wollen schneller und persönlicher angesprochen und bedient werden." Diese veränderten Erwartungen bekommen nicht nur Unternehmen, sondern auch Behörden und Organisationen im öffentlichen Sektor zu spüren.

Unsicherheit als Normalzustand

Jürgen Renfer leitet die IT der Kommunalen Unfallversicherung Bayern (KUVB), bei der über fünf Millionen Menschen in Bayern gesetzlich unfallversichert sind. In seinen Augen sind insbesondere die Verwaltungen, die bislang auf Kontinuität und Rechtssicherheit ausgerichtet waren, durch die Digitalisierung gefordert. Sie setze "ein höheres Handlungs- und Entscheidungstempo voraus, weil viele bereits automatisierte Prozesse miteinander vernetzt werden. Das lässt sich an der elektronischen Aktenführung gut beobachten." Darum brauche Digitalisierung vor allem Veränderung in den Köpfen, so Renfer weiter: "Veränderungen schaffen aber Verunsicherung. Deshalb ist digitale Kompetenzbildung bei Beschäftigten und Entscheidungsträgern so wichtig: Sie schafft Sicherheit als Voraussetzung für Akzeptanz des Neuen."

Axel Kummer, Metafinanz: "Die Digitalisierung hat hier bisher noch wenig verändert. Viele sind noch im Labormodus, beobachten und probieren viel."
Axel Kummer, Metafinanz: "Die Digitalisierung hat hier bisher noch wenig verändert. Viele sind noch im Labormodus, beobachten und probieren viel."

Eine gewisse Nervosität macht Axel Kummer, COO der Metafinanz Informationssysteme GmbH, aber auch bei seinen Kunden in der Ver­sicherungswirtschaft aus: "Die Digitalisierung hat hier bisher noch wenig verändert. Viele sind noch im Labormodus, beobachten und probieren viel." Um die eigenen Mitarbeiter auf die neuen Aufgaben vorzubereiten, entwickelt der IT-Dienstleister sie zum Beispiel zu "Data Scien­tists, Experten für mobile Szenarien sowie für Prozess-Management und IT-Security weiter".

Auch für den Fernbusanbieter Flixbus, der 2011 gegründet wurde und mittlerweile auf mehr als 750 Mitarbeiter angewachsen ist, besteht die größte Herausforderung darin, "mit permanentem Change und der damit einhergehenden Unsicher­heit zurechtzukommen", sagt Daniel Krauss, Mitgründer und CIO. Für seine Mitarbeiter beginne das Umdenken bereits mit dem Berufseinstieg: "Ein großer Teil sind Absol­venten, die bislang IT oder Social Media hauptsächlich konsumiert haben, im Unternehmen aber etwas damit produzieren müssen. Wir brauchen Informationen für unser tägliches Business, das muss vielen erst mal klar werden."

Darum gehört Veränderungsbereitschaft zu den wichtigsten Fähigkeiten, die Mitarbeiter wie Führungskräfte, aber auch Unternehmen selbst in Zeiten der Digitalisierung mitbringen müssen. Davon ist auch Dieter Loewe, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters NTT Data, überzeugt: "Für uns Berater stellt sich die Frage: Haben die Kunden die Bereitschaft und den Mut, die notwendigen Veränderungen herbeizuführen?" Aufgabe sei es, die Kunden in Sachen Digitalisierung sauber zu beraten und gegebenenfalls auch einmal eine Ausschreibung abzulehnen, wenn man selbst nicht an die Zukunftsfähigkeit des Projekts glaubt. Loewe nimmt auch die eigene Zunft in die Pflicht: "Auch wir als Berater brauchen den Mut, neue Services zu entwickeln, da künftig verstärkt Entwicklungsleistungen in Near- und Offshore-Länder ausgelagert werden." Als Beispiele für neue Services in der Entwicklung nennt er ­Managed Services für Projekt-Offices oder das Application-Management.

Dieter Loewe, NTT DATA: "Für uns Berater stellt sich die Frage: Haben die Kunden die Bereitschaft und den Mut, die notwendigen Veränderungen herbeizuführen?"
Dieter Loewe, NTT DATA: "Für uns Berater stellt sich die Frage: Haben die Kunden die Bereitschaft und den Mut, die notwendigen Veränderungen herbeizuführen?"

Der NTT-Data-Manager hat beobachtet, dass etliche etablierte Unternehmen eine Tochtergesellschaft mit neuen Strukturen und Systemen gründen, um sich für die digitale Zukunft zu rüsten. Davon erhoffen sie sich einen größeren Spielraum, um Neues auszuprobieren, zumal die Fehlertoleranz oft mit der Größe einer Organisation abnehme.

Mehr Freiraum, um Neues auszuprobieren

Diesen Spielraum räumt auch Metafinanz einigen seiner 1400 Mitarbeiter ein, schilderte COO Kummer: "Da wir ausgehend von den Geschäftsprozessen und vor allem von den Endkunden denken müssen, setzen wir auf kreative Köpfe, die auch aus anderen Branchen als der IT kommen. Wir bringen verschiedene Disziplinen in Teams zusammen. Sie bekommen Freiraum, um Ideen zu entwickeln, und arbeiten mit modernen Methoden wie über Mockups oder Design Thinking, damit Ideen auch schnell visualisiert und erprobt werden können." Für KUVB-CIO Renfer bedeutet "Innovation das Ablegen der Scheuklappen. Unsere ­IT-Mannschaft muss vom Ergebnis her denken, die Sichtweise des Endanwenders annehmen. Ich bin überzeugt davon, dass auch erfahrene ITler das können, das ist keine Frage des Alters."

Frank Engelhardt, Salesforce.com: „Es motiviert die Mitarbeiter, wenn sie eine reelle oder auch gefühlte Autonomie ­haben.“
Frank Engelhardt, Salesforce.com: „Es motiviert die Mitarbeiter, wenn sie eine reelle oder auch gefühlte Autonomie ­haben.“

Auch Salesforce hat gute Erfahrungen damit gemacht, Mitarbeiter selbst entscheiden zu lassen, so Vice President Engelhardt: "Es motiviert die Kollegen, wenn sie eine reelle oder auch gefühlte Autonomie haben. Als unsere Entwickler sich vor Jahren ihre Projekte erstmals selbst aussuchen konnten, hat das entgegen ursprünglichen Bedenken sehr gut funktioniert. Jedes Projekt findet nach wie vor stets hervorragende Programmierer, und gleichzeitig ist die Motivation der Mitarbeiter durch die Möglichkeit der Mitsprache noch gestiegen."

Führungskräfte fordert die Digitalisierung in anderer Weise. Das ist vielen Unternehmen aber noch nicht klar, wie Personalberater ­Edgar Kirchmann von Transearch feststellte: "Wer Digitalisierung ernst nimmt, braucht mehr als einen neuen Posten wie den Chief ­Digital Officer. Topmanagement wie Führungs­kräfte müssen das Thema treiben, vorleben und ihr Engagement für die Digitalisierung auf die Mitarbeiter übertragen."

Edgar Kirchmann, Transearch: "Wer Digitalisierung ernst nimmt, braucht mehr als einen neuen Posten wie den Chief ­Digital Officer.
Edgar Kirchmann, Transearch: "Wer Digitalisierung ernst nimmt, braucht mehr als einen neuen Posten wie den Chief ­Digital Officer.

Kirchmann sprach von einem "Kulturwandel", den die Führungskräfte gestalten müssten: "Sie sollten ihren Teams Freiräume einräumen, damit diese darüber nachdenken, wie sie mit Hilfe neuer technologischer Möglichkeiten ihre Prozesse effizienter gestalten können." In der Praxis stoße der postulierte Freiraum schnell an seine Grenzen. So wurde ein exzellenter Kandidat für die Position des Leiters E-Commerce abgelehnt, da er einen Tag in der Woche im Home Office arbeiten wollte. Führung aus dem Home Office scheint in den Köpfen vieler Arbeitgeber noch ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Auch im Hinblick auf die Einstellungskriterien wünschte sich der Personalberater größere Offenheit: "Es gibt spannende Leute mit bunten Lebensläufen. Hier lohnt es sich, wenn Firmen ihnen einen Vertrauensvorschuss geben."

Führungskräfte brauchen mehr Mut

"Digitalisierung heißt für mich als Führungskraft auch, dass ich mehr Mut brauche, um ­unpopuläre Entscheidungen, etwa den kurzfristigen Wechsel auf ein völlig neues Content-Management-System, zu kommunizieren", räumte Flixbus-CIO Krauss ein. Noch schwieriger wird es, wenn durch Automatisierung Aufgaben und damit auch Arbeitsplätze wegfallen. Letzteres war in dem stark wachsenden Start­up Flixbus noch nicht der Fall, da die betroffenen Mitarbeiter andere Aufgaben übernehmen konnten.

Daniel Krauss, Flixbus: "Jeder muss wissen, wo es hingeht, und selbst entscheiden können, wie er dahin kommt. Dazu ­gehört gegenseitiges Vertrauen, aber auch die beidseitige Offenheit für Diskussionen."
Daniel Krauss, Flixbus: "Jeder muss wissen, wo es hingeht, und selbst entscheiden können, wie er dahin kommt. Dazu ­gehört gegenseitiges Vertrauen, aber auch die beidseitige Offenheit für Diskussionen."

Seine Aufgabe als CIO begreift Krauss so: "Ich sehe nach, wo genau es hakt, beseitige Hindernisse und schaffe ein Ökosystem für mein Team, das motivierend ist. Die Basis dafür ist das Bewusstsein für das große Ganze und die größtmögliche Eigenverantwortung im Alltag. Jeder muss wissen, wo es hingeht, und selbst entscheiden können, wie er dahin kommt. Dazu ­gehört gegenseitiges Vertrauen, aber auch die beidseitige Offenheit für Diskussionen. Auch das Arbeitsumfeld mit flexiblen Zeiten, Team-Events und viel Platz für den persönlichen Austausch muss passen."

KUVB-IT-Leiter Renfer empfiehlt Führungskräften, die Chancen zu sehen, die darin liegen, dass die Digitalisierung von Raum und Zeit unabhängiger macht: "Mitarbeiter können sich aussuchen, wann und wo sie arbeiten. Entschei­dend ist das Ergebnis." Die technischen Voraussetzungen dafür sind schon da, wie Salesforce-Manager Engelhardt aufzeigte: "Viele unserer Kunden bieten ihren Mitarbeitern Communities an, über die sie so kommunizieren und Inhalte teilen können, wie sie es durch den privaten Gebrauch sozialer Medien längst gewohnt sind. Damit sind auch HR-Informationen zu Sozialleistungen oder Gehältern oder IT-Unterstützung per Wartungsticket im Self-Service ortsunabhängig abrufbar."

Jürgen Renfer, KUVB: „Digitale Veränderungen sind derart disruptiv, dass wohl niemand genau weiß, wo die Reise ­endet. Der CIO ist als Lotse gefordert.“
Jürgen Renfer, KUVB: „Digitale Veränderungen sind derart disruptiv, dass wohl niemand genau weiß, wo die Reise ­endet. Der CIO ist als Lotse gefordert.“
Foto: Armin Weiler

Arbeit zu jeder Zeit und an jedem Ort darf aber nicht heißen, dass sich Führungskräfte aus ihrer Verantwortung für ihre Mitarbeiter zurückziehen. Das machte NTT-Data-Manager Loewe klar: "Wir müssen Menschen davor schützen, zu viel zu arbeiten. Betriebliches Gesundheits-Management wird unterschätzt, dabei ist es ein wesentlicher Faktor, um Mitarbeiter zu binden. Dazu gehört eine Arbeitskultur, in der Beschäftigte ein Privatleben haben dürfen und nicht immer erreichbar sind."

Führungskräfte bleiben also auch gefordert, wenn nicht jeder Schreibtisch ständig besetzt ist. IT-Leiter Jürgen Renfer nimmt die Veränderungen pragmatisch: "Ein aufmerksamer CIO kann beim Thema Digitalisierung eigentlich wenig falsch machen. Digitale Veränderungen sind derart disruptiv, dass wohl niemand genau weiß, wo die Reise endet. Der CIO ist als Lotse gefordert."