Erweitertes Management-Verständnis der "Lernstatt Betrieb":

Arbeit und lernen keine Gegensätze mehr

22.05.1987

LINDAU (lo) - Mitarbeiter müssen künftig den Computer nicht nur reibungslos nutzen, sondern ihn vor allem selbstbestimmt einsetzen; Arbeit und Lernen verschmelzen miteinander. Gewandeltes Verständnis beim Management wie auch erweiterte Kapazitäten beim Know-how-Transfer zwischen Hochschule und Praxis sind dazu Voraussetzungen, wie ein Führungskräfte-Kongreß der Bayerischen Landesregierung in Lindau zeigte.

Die Führungskraft hat sich selbst noch nicht als Lehrkraft entdeckt, postuliert Gerhard Bauer von der IBM Deutschland GmbH zum Thema "Weiterbildung" auf einem Managertreffen, zu dem das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr im Dreiländereck eingeladen hatte. Führungskräfte sollten ihr Know-how künftig nicht nur als Promotoren des technologischen Wandels einsetzen, so der Direktor Bildungswesen der Stuttgarter, sondern für ihre Mitarbeiter und deren Motivation und Qualifikation. Der prägende Faktor dabei: die Unternehmenskultur. Zwar sei dieser Terminus noch nicht gültig zu definieren, stellte Bildungsmanager Bauer fest, er müsse aber immer mehr sein als nur "schriftlich fixiertes Glaubensbekenntnis".

Unternehmenskultur bedeutet für den Bildungsverantwortlichen bei IBM in der "Lernstatt Betrieb" eine permanente Entwicklungsaufgabe Sie beruhe unter anderem auf praktizierten Normen vor der Achtung der Rechte des Mitarbeiters, einem Mindestmaß an Sicherheit, dem Recht auf offene Meinung sowie dem Leistungsprinzip, verbunden mit guter Führung. Diese Werte müßten Führungskräfte zunächst glaubwürdig vorleben. Nur dann ließen sich Mitarbeiter auch nachhaltig beeinflussen. Die Kommunikation über Stärken und Schwächen des praktizierten Führungsverhaltens zwischen Mitarbeitern und Management funktioniere dabei wie ein "Schmelztiegel für Unternehmenskultur". Ziel dies er Führung im Wandel sei es, neue Techniken mitarbeitergerecht einzuführen sowie Akzeptanz und Anreize zu schaffen.

Das Potential moderner Werkzeuge lasse sich nämlich - über die Automatisierung von Routinearbeiten hinaus - nur dann ausschöpfen,

wenn Veränderungen in der Arbeitsorganisation durch Mikroelektronik, Computer und Telekommunikation von qualifizierter Manpower getragen werde - Stichwort "Integration" auf dem Gebiet der Produktion. Arbeit und Lernen ihrer Mitarbeiter sollten deshalb nach Ansicht des Bildungsmanagers Bauer künftig für Vorgesetzte und Führungskräfte keine Gegensätze mehr darstellen.

Dabei begreifen sich Bildungsverantwortliche im Unternehmen über ihre herkömmliche Rolle hinaus zunehmend als Katalysatoren des Bildungsprozesses. Durch neue Lerninstrumente ließe sich, so der IBM-Bildungsverantwortliche, zudem die Weiterbildung entinstitutionalisieren. In Datenbanken als "Lernbörsen" sollen einerseits angebotene Schulungsthemen sowie andererseits aktuelle Wünsche der Mitarbeiter zusammengeführt werden. Auch könnten kostengünstige Methoden wie ein computerunterstütztes Selbststudium künftig das Bildungswesen entlasten.

Allerdings bestünde großer interner wie externer Bedarf an qualifizierten Teachware-Experten und Lernsystemautoren. Bauer registriert auch einen neuen Anwendungsstau: "Bei Teachware stehen wir erst am Anfang". Hohen Stellen wert bei der Qualifizierung durch Weiterbildung käme auch betrieblichen Lehrkräften zu, die mit der Palette moderner Medien umgehen könnten. Sie hätten das Lernen aus dem Klassenraum hinaus in das Informationszentrum zu tragen.

Weil sich der Wettlauf zwischen Bildungswesen und technologischer Entwicklung dramatisch verschärft habe, sei nach Ansicht des Staatssekretärs im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr, Georg von Waldenfels, die Gefahr gegeben, "Menschen zu reibungslosen Computerbenutzern zu erziehen". Dies verkürze das Thema Bildung aber "in sträflicher Weise". In den Bildungskanon gehörten, so von Waldenfels, Fragen nach gewandelten Werthaltungen, ebenso neue soziale Verhaltensmuster, Zudem sei die Lücke zwischen Hochschule und Praxis zu schließen.

Zwar würden die bisher angebotenen Transfer-Seminare von seiten der Industrie bereits rege genutzt, antworteten Vertreter aus Fachhochschulen und Universitäten dem Bayerischen Staatssekretär. Weitere Aktivitäten indes wären ausschließlich eine Kapazitätsfrage. Denn vorhandenes Lehrpersonal sei "absolut überlastet" und zusätzliche Dozenten aus der Industrie könnten nur schwer gewonnen werden. Ein beachtliches Gehaltsgefälle zusammen mit Zugangsbestimmungen des Berufungsverfahren, die unter anderem eine Promotion verbunden mit mehrjähriger praktischer Tätigkeit in gehobener Position vorschrieben, schränkten das Kandidatenangebot ein.

Ein Post Graduate Studium an deutschen Universitäten für langjährige Berufspraktiker befürwortet deshalb auch der IBM-Bildungsmanager. Das Ziel: wieder den State of the Art in der Technikentwicklung erreichen zu können. Denn der Stuttgarter Bildungsverantwortliche Bauer weiß aus Erfahrung: Nach zehn Jahren Praxis ließen sich Mitarbeiter, mit Blick auf ihre Qualifikation - nicht auf Tätigkeitsanforderungen - , kaum mehr als "Akademiker" bezeichnen.