Arbeit: Die Zeit wird knapper

09.08.2006
Von Anja Dilk
Mitarbeiter werden sich auf wechselnde Jobs, Druck durch den nächsten Abgabetermin und virtuelle Teams einstellen müssen, so der dänische Zukunftsforscher Johan Peter Paludan im CW-Gespräch mit Anja Dilk*.

CW: Herr Paludan, als Direktor des Copenhagen Institute for Futures Studies haben Sie sich intensiv mit dem Wandel der Arbeitswelt beschäftigt. Was steht uns bevor?

Johan Peter Paludan

ist Direktor des Copenhagen Institute for Futures Studies und Experte für Zukunftsforschung, spezialisiert auf die Themen Arbeitsmarkt, Bildung und soziale Entwicklungen. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören: "The Nordic Welfare State" und "The Strategy of Corporations: the most likely Future and the wilder Alternatives." Mehr Informationen finden sich unter www.cifs.dk.

Was Paludan kommen sieht

Beschleunigung

Der Wandel wird immer schneller. Dabei lässt er jene hinter sich, die sich nicht mitverändern.

Globalisierung

Sie wird unser Leben zunehmend bestimmen. Wir können mit Hilfe von IT, besseren Transportsystemen und besserer Infrastruktur die Produktion über einen weiten geografischen Raum streuen.

Wohlstand

Wir leben in einem reichen Teil der Welt, der Wohlstand wird sich auf viele ausdehnen. Weil die Menschen nicht von Hunger bedroht sind, haben sie keine Angst, individuell und antiautoritär zu sein. Denn im Gegensatz zu früher riskieren sie damit nicht mehr viel.

Digitalisierung

Die Informationstechnologie macht Globalisierung erst möglich.

Zeitmangel

Immer weniger Menschen arbeiten im Korsett festgelegter Arbeitsstunden. Sie erledigen einen Job nach dem nächsten und haben für jeden eine Deadline. Während früher der Arbeitgeber ihre Zeit organisierte und ihnen die Aufgaben zuwies, müssen sie heute ihre Arbeitszeit selbst verwalten.

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PALUDAN: Zeitmangel. Immer weniger Menschen arbeiten im Korsett festgelegter Arbeitsstunden. Sie erledigen einen Job nach dem nächsten und haben für jeden eine Deadline. Während früher der Arbeitgeber ihre Zeit organisierte und ihnen die Aufgaben zuwies, müssen sie heute ihre Arbeitszeit selbst verwalten.

CW: Das heißt, eine Form von Arbeit wird Alltag werden, für die es bei uns keine Tradition gibt.

PALUDAN: Ja, und genau das ist problematisch. Denn wir haben nicht gelernt, so zu arbeiten. Diese Form von Arbeit hat kein formales Ende mehr - außer einer Deadline. Die Folge: Wir könnten ständig arbeiten, wir könnten unsere Arbeit immer noch besser erledigen. Das produziert ein permanent schlechtes Gewissen. Obendrein haben wir nicht mehr genug Zeit für unsere Familie, was uns zusätzlich unzufrieden macht. Zerrissen zwischen beidem drehen wir uns schneller und schneller im Hamsterrad - und scheitern. Der Stresspegel steigt. Infolge dieser Entwicklungen werden Arbeitsverhältnisse zunehmend virtuell, weil die Menschen hoffen, über Distance Working alles unter einen Hut bringen zu können.

CW: Sie haben das Copenhagen Institute eine Zeit lang von Jütland aus geleitet. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Arbeit auf Distanz gemacht?

PALUDAN: Es gibt ernsthafte Grenzen der virtuellen Zusammenarbeit. Sie ist großartig, wenn man viel zu tun hat und die Abgabe naht. Denn die Anwesenheit am Arbeitsplatz ist ein Zeitfresser. Die Kollegen kommen zu einem Plausch, Meetings werden einberufen und so weiter. Aber wir kommen nicht daran vorbei, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Wir wollen andere persönlich treffen. Außerdem verlieren wir auf Dauer an Qualifikation, wenn wir nicht die Entwicklungen am Arbeitsplatz verfolgen.

CW: Gehört der Arbeit im Netzwerk dennoch die Zukunft?

PALUDAN: Bereits jetzt haben wir eine horizontal, nicht hierarchisch strukturierte Wirtschaft, in der interaktiver gearbeitet wird als früher. Wir nennen das Netzwerkökonomie. Sie wird in Zukunft gewaltig an Bedeutung gewinnen. Denn die Wirtschaft setzt immer mehr auf Projektarbeit, die oft Freiberufler übernehmen. Früher war die Produktion auf die Präsenz vieler Beschäftigter in einem Unternehmen angewiesen. Doch immer größere Teile der Produktion wurden automatisiert oder in andere Teile der Welt ausgelagert. Übrig blieben Projekte, die einen Anfang und ein Ende haben. Eine Arbeit auf Knopfdruck. Externe kommen in ein Unternehmen, übernehmen ein Projekt, wissen, wann es anfängt und wann es fertig ist, und schauen sich dann nach etwas Neuem um. Das passt perfekt zu einer flexiblen, fließenden Netzwerkökonomie.

CW: In der Netzwerkökonomie ist die Zeit der geradlinigen Laufbahnen bei einem Arbeitgeber passé. Patchwork-Karrieren werden häufiger. Menschen, die ein paar Monate dort arbeiten, ein paar hier, mal eine Weile Pause machen, wieder einsteigen, dann eine Familienphase einschieben und so weiter. Sind solche Biografien Notlösung oder Zukunftsmodell?

PALUDAN: In Deutschland spricht man bezeichnenderweise von gebrochenen Biografien. Man unterstellt, dass etwas falsch ist, wenn man flexibel ist, wechselt, herumkommt. Zugleich geht man davon aus, die "echten" Biografien seien nur die, in denen man ein Leben lang in einem Unternehmen hocken bleibt. So ein Unsinn. Wie sagen die Amerikaner? "Eine Biografie darf man nicht fesseln." Patchwork-Karrieren sind moderne Konzepte, die den Bedürfnissen eines flexiblen Marktes in besonderem Maße entsprechen. Ihnen gehört die Zukunft. Man sollte besser von vielfältigen Lebensläufen sprechen.

CW: Nach einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) werden Firmen mit wenigen Angestellten und vielen Freiberuflern arbeiten. Ist dieses Szenario realistisch?

PALUDAN: Man kann das nicht verallgemeinern. So eine Struktur kann phasenweise interessant sein, dann wieder nicht. Das hängt auch vom Unternehmen ab. Wir müssen uns dabei auch klar machen: Bevor jemand Freiberufler wird, muss er eine Zeit lang fest angestellt gearbeitet haben. Denn er muss wissen, wie Firmen ticken, und muss vieles vom intellektuellen Kapital mitgenommen haben. Insofern kann es Freiberufler überhaupt nur geben, so lange es auch viele Festangestellte gibt. Sonst würden sie aussterben. IT-Freiberufler sind nie für immer Selbständige. Phasen als Festangestellte und als Freie wechseln sich ab.

CW: In der IT-Branche arbeiten bereits viele Freiberufler. Um im globalen Wettbewerb zu bestehen, versuchen die meisten Unternehmen, Kosten zu sparen. Wird es da auch für Freiberufler eng?

PALUDAN: Einerseits lieben Unternehmen Freiberufler, weil sie diese nach Bedarf einsetzen und so die Kosten flexibel halten können. Andererseits ist das wichtigste Gut der Unternehmen heute das intellektuelle Kapital ihrer Mitarbeiter. Die- ses Wissen wird während der Arbeit selbst erworben, durch die Bewältigung der Aufgaben, die man gemeinsam zu lösen hat. Das Know-how nimmt ein Freiberufler mit, wenn er ein Unternehmen verlässt. Das ist problematisch für die Firmen, schließlich sind sie im Wettbewerb auf ein stabiles Wachstum ihres intellektuellen Kapitals angewiesen.

CW: Wie können Freiberufler für Unternehmen attraktiv bleiben?

PALUDAN: Erstens muss ein Freiberufler eine Leistung anbieten, die auf dem Markt sehr gefragt ist, und zum Beispiel Probleme lösen können, die im Entwicklungsprozess auftreten. Zweitens muss er sich zu verkaufen wissen und zeigen, was er zum Unternehmenserfolg beitragen könnte. Drittens sollte er gute Projekte in seinem Lebenslauf vorweisen. Freiberuflern fehlt der regelmäßige Austausch mit den Kollegen, vor allem die informellen Diskussionen, um ihr Wissen weiterzuentwickeln. Wenn sie Teil eines Netzwerks sind, können sie zumindest ganz gut der Isolation entgehen. Allerdings ist ein Netzwerk nie so eng und effektiv wie die Zusammenarbeit mit Kollegen in der Festanstellung. Denn Letztere verfolgen ein gemeinsames Interesse: das Wohlergehen der Firma. Davon hängt ihr eigenes Wohlergehen ab. Ein Netzwerk dagegen besteht aus vielen Einzelinteressen, es hat daher selten dieselbe Bindungskraft wie ein gemeinsamer Arbeitgeber.

CW: Welche Qualifikationen brauchen die Menschen, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können?

PALUDAN: Der Bedarf an Leuten, die mit anspruchvollen Tätigkeiten zurecht kommen, wird hierzulande zunehmen. Neben Wissen und formaler Qualifikation, also Ausbildung, wird Kompetenz wichtiger. Kompetenz meint die persönlichen Fähigkeiten der Menschen: Humor, Anpassungsfähigkeit, Kreativität, Zuverlässigkeit. Bist du flexibel, kannst du einen Abgabetermin einhalten, mit einem Team arbeiten, auch wenn die Mitglieder Allüren haben?

CW: Was passiert mit den Arbeitskräften, die den hohen Anforderungen nicht entsprechen?

PALUDAN: Ein wachsender Teil der Arbeitskräfte wird nicht mehr gebraucht. Das ist eine der größten Herausforderun- gen für die Zukunft. Wir müs- sen mit sozialen Neuerungen dagegen angehen, denn so wie unser Arbeitsmarkt und unsere Finanzsysteme funktionieren, können wir diese Geringqualifizierten bislang nicht auffangen. Das heißt, entweder stellen wir diese Menschen außerhalb des Arbeitsmarktes, was eine Strafe für ihr Leben und dauerhaft politisch nicht akzeptabel wäre. Oder wir geben ihnen andere Aufgaben. Denn es ist dumm, das Potenzial dieser Leute zu verschenken. Freilich ist die Frage: Wer zahlt dafür?

CW: Müssen wir dauerhaft mit dem ständigen Wandel leben?

PALUDAN: Nur wer in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, die sich noch nicht beschleunigt hat, wird den Wandel als Belastung empfinden. Für die ab den 70er Jahren Geborenen gehört der Wandel zur Normalität. Sie sagen: Kommt, lasst uns was Neues ausprobieren. (am)