Offene SNA-Welt im Moment noch Lippenbekenntnis

APPN: IBM schreckt Entwickler mit Patenten und Lizenzgebühren

04.09.1992

RALEIGH (IDG/CW) - Big Blues neu formulierte Networking-Strategie in puncto Öffnung der hierarchischen SNA-Strukturen durch das APPN-Protokoll (Advanced Peer-to-Peer Networking) sorgt zunehmend für Unmut. Potentielle Entwickler und Drittanbieter, die die APPN-Software implementieren wollen, laufen Sturm gegen die Lizenzierungspolitik der IBM und die sich immer wieder verzögernde Auslieferung entsprechender Developer Kits.

Als "Weichenstellung für die Integration von heterogenen Netzwerken" und "automatisches Verkehrsleitsystem für den Datentransfer in und zwischen Computernetzwerken" hatten die Verantwortlichen in Armonk ihre auf den Mainframe-Bereich ausgedehnte APPN-Produktstrategie bezeichnet (vgl. CW Nr. 15 vom 10. April 1992, Seite 1: "APPN-Support für Mainframes: IBM will SNA-Fiasko abwenden"). Die APPN-Software sollte demnach nicht nur wie bisher für die AS/400, den 3174-Cluster-Controller und die PS/2-Plattform erhältlich sein, sondern zukünftig auch die RS/6000, die entsprechenden Erweiterungen AIX SNA Services/6000, den für 1993 angekündigten Multiprotokoll-Router 6611, das Netzwerk-Management-System Netview und vor allem die /390-Großrechner unterstützen.

Ziel dieser Strategie sei, so die IBM bei der Ankündigung vor vier Monaten, die Zusammenführung der funktionalen Eigenschaften von SNA mit den Funktionen für Verbindung, Transfer, Steuerung und Automatisierung in APPN. Mit anderen Worten: APPN wird für alle Betriebssysteme von DOS und OS/2 über AIX bis zu MVS - also für die SNA-Welt - durchgängig; der Mainframe quasi zum High-end-Server degradiert, indem das Management des Datenverkehrs in SNA-Netzen aus der bisherigen Domäne der Großrechner herausgebrochen und die 370-Rechner ihrer typischen Kontrollfunktion für die Datenkommunikation beraubt werden.

Die Abkehr der Armonker von ihrer 1974 eingeführten und bis dato beharrlich gepflegten SNA-Hierarchie sorgte gleichermaßen für Aufsehen und Skepsis. Kritiker warfen der IBM vor, sie gebe sich wieder einmal offener, als sie es tatsächlich sei, und versuche lediglich, mit APPN ihre neuen Produktlinien in SNA zu integrieren.

Stein des Anstoßes: Interoperabilität ist letztlich nur realisierbar, wenn andere Hersteller beziehungsweise Drittanbieter für die proprietären Network-Node-Spezifikationen des APPN Lizenzen erwerben können.

Daß es Big Blue damit nicht besonders eilig hat, scheint sich nun zu bewahrheiten. Für einen Aufschrei unter den interessierten Entwicklern und Softwarehäusern sorgten jedenfalls jüngste Äußerungen aus IBM-Kreisen, wonach man in Armonk derzeit darüber nachdenke, bei den APPN-Softwarecodes mindestens acht unterschiedliche Patente zu beantragen und vor allem auch geltend zu machen. Im Klartext bedeutet dies: Wer APPN-Features in eigene Entwicklungen implementieren will, muß in jedem Fall eine vermutlich mehrere hunderttausend Dollar teure - Lizenz erwerben.

Namhafte Anbieter sehen ihre Felle davonschwimmen

Marcia Peters, Mitglied des APPN-Entwicklerstabes der IBM, versuchte vergangene Woche, gegenüber Kollegen und Anwendern die Lizenzierungspolitik ihres Brötchengebers als völlig normales Geschäftsgebahren darzustellen. Das Unternehmen habe, so die Softwarespezialistin vor den Teilnehmern einer Peer-to-peer-Networking-Konferenz, schon bei der Vorstellung der neuen APPN-Strategie auch entsprechende Linzenzierungpläne veröffentlicht. Außerdem sei es das gute Recht der IBM, "darauf zu achten, daß sich die hohen Entwicklungskosten amortisieren".

Entwickler, die sich von den Lizenzgebühren nicht abschrecken lassen, stehen jedoch nach wie vor im Regen, denn noch immer nicht ist aus Armonk ein genauer Auslieferungstermin für die entsprechenden APPN Developer Kits zu erfahren. Beobachter hegen indes vermehrt Zweifel, ob es bei dem von der IBM in Aussicht gestellten ersten Quartal 1993 bleibt - insbesondere angesichts des Wettbewerbsvorteils, den sich Big Blue mit APPN vor allem auch im Router-Business ausrechnet.

Die Kalkulation der IBM-Planer könnte sich allerdings auch als Bumerang erweisen und das durchaus vorhandene Interesse im Markt, APPN zu einem Industriestandard auszubauen und zu etablieren, deutlich abkühlen. "Es ist töricht von der IBM, auf ihrem APPN-Patent zu beharren - in jedem Fall dann, wenn sie will, daß das Produkt Erfolg hat", machte Pat Mayer, LAN-Administrator der Mortgage Guaranty Insurance Corp., seinem Unmut und den vieler seiner Kollegen auf besagter Veranstaltung Luft. Sein Argument: Beharrt die IBM auf ihrem Standpunkt, dann werde bei vielen Entwicklern und Anwendern die im Zweifelsfall bessere Lösung das Rennen machen und die heiße TCP/IP.

Zumindest überrascht von IBMs APPN-Strategie zeigen sich auch die traditionellen Networking-Companies. Während sich Firmen wie Novell und 3Com mit Äußerungen zurückhalten - spezifische Technologieaustausch-Abkommen mit der IBM tragen dort dazu bei, die APPN-Debatte relativ gelassen zu verfolgen - sehen andere namhafte Anbieter wie etwa Cisco Systems durchaus ihre Felle davonschwimmen. Stellvertretend für alle Hersteller, die bis dato über keine besondere technical Relationship" zu den Entwicklern in Armonk verfügen, kommentierte ein Cisco-Sprecher Big Blues APPN-Politik: "Natürlich sind wir langfristig an einer Lizenzierung der APPN-Spezifikationen interessiert, die gegenwärtig zur Debatte stehenden Bedingungen sind für uns jedoch nur schwer zu akzeptieren".