Oracles neuer Hoffnungsträger

Applications 11: Technik gut, aber noch instabil

31.07.1998

Nummer eins im weltweiten Markt für Enterprise-Resource-Planning- (ERP-)Systeme ist die SAP AG - und der Abstand zum Verfolgerfeld wird größer. Ganz zum Verdruß von Oracle-Gründer Larry Ellison. Seine Company rangiert laut neuesten Zahlen zwar auf Platz zwei, doch diese Position wackelt. Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 1998 konnten die Softwerker aus Redwood Shores, Kalifornien, zwar um 29 Prozent zulegen. Konkurrenten wie SAP, J. D. Edwards und Peoplesoft brachten jedoch Umsatzsteigerungen zwischen 50 und 66 Prozent zustande.

Kurzerhand hat Ellison das Anwendungsgeschäft zur Chefsache erklärt. Das Management-Team wurde ausgeweitet. Die Federführung für das weltweite Applikations-Geschäft hat nun Peter Dunning, Ex-Manager von SAP Americas. Für die Aktivitäten im deutschsprachigen Raum zeichnet seit kurzem Klaus März als Director Applications verantwortlich.

Zur Aufholjagd wird nun die Version 11 der Oracle Applications ins Rennen geschickt. Damit soll ab Herbst erstmals eine komplette ERP-Funktionalität, bestehend aus ingesamt 43 Modulen von Finanzanwendungen über Fertigungs- und Logistikbausteine bis hin zu Auswertungs-, E-Commerce- und Personalwirtschaftsapplikationen, zur Verfügung stehen.

Wesentliche Neuerung von Oracle Applications 11 ist, daß die volle Funktionalität des Systems aus einem Browser heraus nutzbar ist. Im Gegensatz zu den Produkten der Konkurrenten, bei denen diese Art der Bedienung, falls überhaupt verfügbar, nur eingeschränkt möglich ist.

Aus technischer Sicht ist die netzwerkzentrische Architektur mit der Möglichkeit, alle Funktionen aus dem Browser heraus ausführen zu können, brillant, befanden Dennis Keeling und Laurent Lachal, Analysten von Ovum Ltd., London, in ihrer letzten Studie. Doch der Zeitpunkt, um Anwender mit Archtitekturkonzepten zu konfrontieren und damit im hart umkämpften ERP-Markt Anteile zu gewinnen, sei äußert schlecht gewählt: "Unternehmen kümmern sich derzeit um die Einführung des Euro und die Vorbereitung ihrer DV auf das Jahr 2000 und haben für Architekturdebatten kein Verständnis", so ihr Urteil.

Kritikpunkt der Auguren ist die mangelnde Stabilität der NCA-Schnittstellen. Die Integration einzelner Komponenten untereinander und die Anbindung von zugekauften Fremdprodukten wird ähnlich wie von der Konkurrenz über Schnittstellen bewerkstelligt, die bei Oracle Applications Open Interfaces (AOI) heißen. Und daran hapert es laut Ovum noch.

Heinz Kreuzer, Geschäftsführer der TUI Infotec, Hannover, berichtet über ähnliche Probleme mit der Vorgängerversion Applications 10.7. Der Touristikkonzern setzt den Client-Server-Modus mit derzeit rund 150 Anwendern ein. Die Datenbank läuft dabei auf einem OS/390-Mainframe, die Anwendungslogik auf AIX-Maschinen, und am Desktop kommt Windows NT zum Einsatz.

"Wir waren einer der ersten Anwender mit dieser Architektur, so dauerte es einige Wochen, bis die Oracle-Spezialisten diese heterogene Umgebung im Griff hatten", gibt er zu Protokoll. Seitdem laufen die Programme allerdings rund. Genutzt wird bei der TUI das Finanzmodul "Financials" mit den Funktionen für Hauptbuch, Debitoren-, Kreditoren- und Anlagenbuchhaltung.

Ein Upgrade auf die Version 11 ist Kreuzer auch noch zu heiß: "Das System ist brandneu, wir warten erst einmal ab, wie sich Implementierungen dieser neuen Ausführung bei anderen Kunden bewähren." Früher oder später müssen die Hannoveraner jedoch umsteigen, da erst in der neuesten Version die volle Unterstützung für den Euro enthalten ist.

Noch nicht endgültig entschieden hat sich der Hersteller von Gartengeräten Wolf-Garten aus Betzdorf. Von ursprünglich vier Aspiranten sind derzeit noch SAP R/3 und Oracle Applications in der engeren Wahl, erklärt Thomas Utsch, Assistent der Geschäftsleitung und zuständig für DV. Die Funktionalität der beiden Systeme ist aus seiner Sicht etwa gleichwertig: "SAP ist etwas stärker in der Buchhaltung, während Oracle für unsere technischen Anforderungen die Nase vorne hat." Wolf-Garten agiert weltweit und hat insgesamt 200 User. Geplant ist, die komplette Anwendungspalette von Finanzen über Produktion bis hin zur Logistik einzusetzen - entweder von SAP oder Oracle. Eins ist bereits heute entschieden: Die Datenbank liefert in jedem Fall Oracle.