Time Flies

Apples knackige Stunde

16.09.2020
Von 
Peter Müller ist der Ansicht, dass ein Apple täglich den Arzt erspart. Sei es iMac, Macbook, iPhone oder iPad, was anderes kommt nicht auf den Tisch oder in die Tasche. Seit 1998 beobachtet er die Szene rund um den Hersteller von hochwertigen IT-Produkten in Cupertino genau. Weil er schon so lange dabei ist, kennt er die Apple-Geschichte genau genug, um auch die Gegenwart des Mac-Herstellers kritisch und fair einordnen zu können. Ausgeschlafene Zeitgenossen kennen und schätzen seine Beiträge im Macwelt-Morgenmagazin, die die Leser werktags pünktlich um acht Uhr morgens in den nächsten Tag mit Apfel und ohne Doktor begleiten. Privat schlägt sein Herz für die Familie, den FC Bayern, sechs Saiten, Blues-Skalen und Triolen im Shuffle-Rhythmus.
Zwei Apple Watches, zwei iPads, ein Service-Bundle mit einem neuen Fitnessdienst: Apple hat sich kurz gefasst.

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, Apple ist geübt darin. Hatte man die Keynote zur Entwicklerkonferenz WWDC Ende Juni wie die gesamte Veranstaltung rein online abgehalten und neue Maßstäbe für digitale Präsentationen gesetzt, brachte Apple nun den ersten Teil seiner Herbst-Neuvorstellungen in einem ähnlichen Format in das Netz. In den letzten Jahren hatte Apple immer zu einer Show in das Steve-Jobs-Theater oder früher in die Townhall nach Cupertino geladen und vor ausgewähltem (Presse-)Publikum präsentiert. Diesmal lief im Pronzip nur ein langes Video ab, in dem sich CEO Tim Cook und andere Apple-Chefs und -Direktoren an die interessierte Öffentlichkeit wandten.

Tim Cook wandte sich in einem Video an die interessierte Öffentlichkeit.
Tim Cook wandte sich in einem Video an die interessierte Öffentlichkeit.
Foto: Apple

Schon Ende Juli hatte Apple mitgeteilt, dass sich die iPhones in diesem Jahr verspäten würden. Also hat der Konzern einfach Teile seiner Show ausgetauscht. Nun eben neue iPads schon im September, während das iPhone bis Oktober auf sich warten lassen wird. Nur die Apple Watch, die blieb bei ihrem in den letzten Jahren etablierten Termin. Und da machte sie sich auch recht gut - als gar nicht mal so heimlicher Star der Show.

Die Zeit vergeht

Sechs Jahre ist es her, seitdem Apple mit der Watch erstmals in der Cook-Ära eine neue Produktkategorie in Angriff nahm. Was die smarte Uhr werden sollte, kristallisiert sich seitdem immer deutliche heraus: Die Apple Watch ist ein Gesundheits- und Fitnessgerät, das Ärzte eigentlich auf Rezept verschreiben müssten. So zumindest lassen sich die verfilmten Stories von glücklichen Kunden interpretieren, die Apple in Lobesbriefen davon erzählten, wie die Uhr ihr Leben verbesserte und dabei half, Übergewicht zu reduzieren, mit einer chronischen Krankheit oder Einschränkung zu leben oder lebensgefährliche Erkrankungen zu erkennen.

Auch in der Covid-Pandemie erweist sich die Apple Watch als nützlich, in ihrer neuen Version Series 6 möglicherweise sogar noch etwas mehr. Apple ist es nun gelungen, neben dem Puls und dem EKG auch die Sauerstoffsättigung im Blut zu messen, ein wichtiger Parameter zur Kontrolle der Gesundheit. Leider kann die Apple Watch Series 6 aber noch immer nicht den Blutdruck oder gar den Blutzucker messen, das ist vor allem noch eine technische Herausforderung. Aber da Apple die Uhr immer mehr in Richtung Gesundheit verbessert, sind wir schon auf Series 7, 8 und 9 gespannt.

Mit der sechsten Version der Watch setzt Apple noch stärker auf die Themen Fitness und Gesundheit.
Mit der sechsten Version der Watch setzt Apple noch stärker auf die Themen Fitness und Gesundheit.
Foto: Apple

Zu kaufen ist die Apple Watch künftig in drei Versionen. Neben der Apple Watch Series 6 bleibt die Series 3 im Angebot. Die Apple Watch Series 5 ist gewissermaßen eine Series 6 mit reduzierten Funktionen, da sie weder ein EKG erstellt noch ein Always-on-Display bietet. An Bord ist der S5 des Vorjahres und die Sturzerkennung, die man seit Series 4 kennt. Interessantes Feature von iOS 14 und watchOS 7: Man kann nun mehrere Uhren mit einem iPhone koppeln und so mehrere Uhren in der Familie verteilen, etwa an die Kinder oder die betagten Eltern. Diese Uhren bekommen in der Cellular-Version auch ihre eigenen Telefonnummern, so dass Kinden und Senioren überall erreichbar sind. Helikopter-Eltern freut das. Mehr Details zu den Apple Watches lesen Sie hier.

Ein neuer Dienst – und ein Bundle

Wie man vielen Krankheiten effektiv vorbeugt? Mit sportlicher Betätigung, klar. Die Apple Watch versucht schon jetzt, ihre Träger immer wieder mal zu motivieren, ein charmantes "Quäl dich, du Sau!" haben wir von ihr aber noch nicht vernommen. Vielleicht trauen sich das ja mal die Trainer von Apples neuem Dienst Fitness+, der noch in diesem Jahr starten soll - zunächst in den USA, UK, Kanada und Australien. Im Prinzip handelt es sich hier um Workouts, die auf dem Bildschirm von iPhone und iPad oder dem Fernseher (via Apple TV) angezeigt werden können und die man im HomeStudio oder dem Wohnzimmer nachmacht. Unterstützte Disziplinen sind Radfahren, Laufband, Kraft, Yoga und Tanz. Die Apple Watch bleibt natürlich am Handgelenk, deren Daten werden auf den größeren Schirm übertragen.

Der Dienst Fitness+ soll 9,99 US-Dollar im Monat oder 79,99 US-Dollar im Jahr kosten. Nicht nur bei Fitbit werden einige Leute weinen, sondern auch in den Fitness-Studios, die aufgrund der Corona-Krise eh schon zu leiden haben. Natürlich handelt es sich bei den Fitnesstrainern von Apple um junge, schöne und durchtrainierte Menschen. Bei den vorgeführten Workouts fängt man schon beim Zusehen heftig an zu schwitzen, doch verspricht Apple auch Einführungskurse, damit Nutzer später das echte Training durchstehen können.

Mit Fitness+ versucht Apple sein Glück als Fitnesstrainer.
Mit Fitness+ versucht Apple sein Glück als Fitnesstrainer.
Foto: Apple

Wie erwartet bündelt Apple nun seine bisherigen Services in Paketen. Diese sind jedoch nicht überall erhältlich. Das Basispaket von Apple One, "Individual" genannt, fasst Apple Music, Apple TV+, Apple Arcade und 50 GB iCloud-Speicher für 14,95 Euro im Monat zusammen. Family beinhaltet Apple Music, Apple TV+, Apple Arcade und 200 GB iCloud-Speicher für 19,95 Euro pro Monat und kann von bis zu sechs Familienmitgliedern gemeinsam genutzt werden. Bei Premier kommen noch Fitness+ und Apple News+ dazu. Diese Angaben sind bisher allerdings nur für den englischen Sprachraum relevant, Apple ruft in den USA 30 US-Dollar für das große Paket ab. Dazu gibt es dann noch 2 TB iCloud-Speicher.

Die Preise sind zwar niedriger als die Summen ihrer Einzelteile, aber weiter konfigurieren lassen sich die Dienste offenbar nicht und es scheint auch keine weiteren Vorteile zu geben. Wer als Familie aber mit 50 GB iCloud-Speicher nicht zurecht kommt, schaut weiter mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Wird also höchste Zeit für Apple News+ und Fitness+ in Deutschland. Mehr zu Fitness+ lesen Sie hier.

Mit Apple One soll das lukrative Servicegeschäft weiter vorangetrieben werden.
Mit Apple One soll das lukrative Servicegeschäft weiter vorangetrieben werden.
Foto: Apple

Wer braucht noch ein iPad Pro?

Um zwei Produkte werde es gehen, das hatte Tim Cook schon in der Einleitung der Show gesagt. Eigentlich sind es vier, denn auch das iPad kommt in zwei neuen Varianten. Zunächst hebt Apple das Einsteiger-iPad in seiner achten Generation auf ein neues Niveau. Mit dem Chip A12 Bionic kommen erstmals auch neuronale Kerne auf das günstigste Apple-Tablet, was sich vor allem bei der Bildbearbeitung bemerkbar machen dürfte. Vermutlich wird man im Alltag aber nur bei solchen Aufgaben etwas merken.

Zwar ist laut Apple das iPad 8 deutlich schneller und besser als vorher, doch haben sich die Rahmenbedingungen – und ja, auch die Rahmen – nicht geändert. Wie bisher mit Home-Button und Pencil-Unterstützung, alles sehr schön, aber kein großer Schritt. Den liefert allenfalls das neue Betriebssystem iPadOS - vor allem im Zusammenspiel mit dem Apple Pencil. Mit diesem kann man nun auch Handschriften in editierbaren Text wandeln oder Kreise wirklich rund zeichnen. Geht aber auch alles mit dem Vorgänger. Mehr zum iPad 8 lesen Sie hier.

Das neue iPad 8 ist natürlich deutlich schneller und besser als vorher, aber die Rahmen(bedingungen) bleiben gleich.
Das neue iPad 8 ist natürlich deutlich schneller und besser als vorher, aber die Rahmen(bedingungen) bleiben gleich.
Foto: Apple

Wesentlichere Änderungen verpasste Apple indes dem iPad Air. Und zwar in einer Weise, die fragen lässt, wer denn nun noch ein iPad Pro 11 Zoll kaufen soll. Das neue iPad Air hat es in sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Prozessor A14 Bionic ist der erste, den Apple im 5-Nanometer-Prozess hat herstellen lassen. Erstmals seit dem iPad 2 und dem iPhone 4S kommt eine neue Generation des Apple Silicon zunächst auf das iPad, der Coronakrise sei in diesem Falle einmal Dank. Mehr zum A14 und seiner Leistungsfähigkeit lesen Sie hier.

Apple bfringt das iPad Air mit dem Prozessor A14 Bionic auf Touren.
Apple bfringt das iPad Air mit dem Prozessor A14 Bionic auf Touren.
Foto: Apple

Das iPad Air von 2020 sieht anders aus als sein unmittelbarer Vorgänger aus dem Frühjahr 2019. Wie das iPad Pro kommt das Air mit schmaleren Rahmen und ohne Home Button. Doch fehlt die Gesichtserkennung Face-ID: Apple setzt weiter auf Touch-ID, hat diese nun aber im schmalen seitlichen Ein/Aus-Schalter untergebracht. Neue Farben braucht das Land, Apple überarbeitet das Rosegold und bringt nun auch Varianten in Himmelblau und Lindgrün. Mehr zum iPad Air lesen Sie hier.

Nur der Auftakt

Gerade mal eine Stunde dauerte die Präsentation so kurz ist Apple nur bei sehr speziellen Special Events, wie etwa jenem, das im März 2018 in einer Schule in Chicago stieg und nur ein neues iPad brachte. Die neue Form der Präsentation ist natürlich effizienter, mehr Informationen in kürzerer Zeit sind möglich. Dennoch hatte die Show ihre Längen, in dem ein oder anderen Werbevideo, aber das kennt man auch noch von früher.

Sicher hatte Apple seinen Event-Kalender zum Jahreswechsel noch anders geplant, aber wer hatte das nicht? Man muss das beste aus 2020 machen, und wenn auch Apple weder die Apple Watch noch das iPad neu erfunden hat, haben die Neuerungen gewiss ein Special Event gerechtfertigt. Vermutlich wird das im Oktober aber noch ein Stück größer, neue iPhones stehen an, der erste Mac mit Apple-Prozessor soll noch dieses Jahr kommen, die Airtags klingen nach einer interessanten Ergänzung für die heute erhältlichen Produkte – und dann wäre da ja noch was … (Macwelt)