Nach dem iPhone

Apple will die Realität neu erfinden

03.06.2021
Von 
Halyna Kubiv ist Content Managerin bei der Macwelt.
Laut Gerüchten aus der Industrie steht Apple vor der nächsten Revolution nach dem iPhone – der Synthetischen Realität.

Nach jeder WWDC und nach jeder iPhone-Keynote wird das Meckern laut, es fehle an Revolution und Innovation bei Apple, das Unternehmen stelle nichts Neues und Aufregendes mehr vor, sondern nur noch inkrementelle Verbesserungen der iPhone-Kamera. Tatsächlich darf oder muss eine solche technologische Revolution nicht nach vorhersehbaren Terminen pünktlich in der 27. (WWDC) beziehungsweise 37. Kalenderwoche (iPhone-Keynote) stattfinden, sondern sie passiert in unregelmäßigen Schritten, manchmal auch per Zufall.

Die Einladung zur WWDC 2021, die nächste Woche stattfindet.
Die Einladung zur WWDC 2021, die nächste Woche stattfindet.
Foto: Apple

Doch tatsächlich kann Apple vor einer solchen Revolution stehen, wie erste Hinweise direkt aus Entwicklerkreisen im Vorfeld der WWDC 2021 vermuten lassen. Der IT-Blogger Robert Scoble ist sich ziemlich sicher, dass Apple direkt davor stehe, die Realität neu zu erfinden und sie neu zu gestalten. Sein Beitrag allein liest sich wie recht kühne Vorhersage für das nächste Jahrzehnt, er ist auch in der Vergangenheit nicht durch die Zuverlässigkeit seiner Voraussagen aufgefallen, doch auch weitere Quellen deuten darauf hin, dass Apple im Bereich AR und VR etwas Neues vorbereitet. Das Unternehmen hat zudem in den letzten Jahren gefühlt den Start-up-Markt der AI-Firmen leer gekauft.

Laut Scoble hat Apple bereits rund 40 Milliarden US-Dollar in den letzten zehn Jahren darin investiert, um den nächsten Paradigmenwechsel vorzubereiten. Für die Firma wird es bereits der vierte sein: nach einem persönlichen Computer, grafischer Benutzeroberfläche und Touch-Screen, was in einem Smartphone eingebaut wurde. Der Wechsel, den Apple gerade vorbereitet, wäre deutlich tiefgreifender als nur die neuen AR- oder VR-Sets auf dem Markt. Diese gibt es schließlich schon jetzt, sie sind eher Nischenprodukte als eine weitere Stufe der Technologieentwicklung.

Apples neue Hardware ist für 2022, manche erst für 2025 gedacht, doch Scoble ist sich sicher, dass bereits in einer Woche auf der WWDC 2021 erste Hinweise auf die Neuentwicklung kommen: Der Hersteller muss den Dritt-Entwicklern Emulatoren und Werkzeuge für seine neue 3D-Strategie zur Verfügung stellen; alles, was AR-Kit betrifft, wird zu einer Investition in die Zukunft. Scoble ist sich deswegen so sicher, weil Apple in der Zeit jede Menge an Patenten beantragt und zugesprochen bekommt: "Patently Apple", ein Patent-Blog, veröffentlicht fast täglich neue Beiträge vom US-amerikanischen Patentamt, die sich auf AR- oder VR-Technologien von Apple beziehen.

Eine virtuelle Welt in drei Dimensionen

Die Synthetische Realität, auf die Scoble spekuliert, basiert auf einigen Bestandteilen, die entweder bereits veröffentlicht sind oder kurz vor Veröffentlichung stehen: Apple will die ganze Welt in 3D scannen, dies katalogisieren und daraus eine Art Datenbank der Welt machen. Die Grundlage dafür sind neue Karten, die Apple bereits 2012 eingeführt hat. In den letzten Jahren hat das Unternehmen die Anwendung aber ausgebaut, schon jetzt sind in manchen Gegenden 3D-Ansichten möglich, Apple will demnach nicht nur die Straßenebene virtualisieren, sondern auch die einzelnen Objekte auf der Straße.

Auch Siri spielt dabei eine wichtige Rolle, die Ingenieure bei Apple haben längst erkannt, dass der eigene intelligente Assistent langsamer ist als die Konkurrenz bei Google oder Amazon. Apple will, dass die nächste Generation von Siri sich selbst beibringt, die Fragen von Nutzern schneller zu beantworten. Konkret soll der digitale Assistent die neuen APIs der Dritt-Dienste finden und diese selbstständig anschließen. Momentan sind damit Entwickler beauftragt. Apples UWB-Chips, die in immer mehr Produkten eingebaut werden, sollen ein Mesh-Netzwerk bilden, das genauen Standort jedes Geräts und Nutzers feststellen soll.

Apples erstes Produkt, das diese Entwicklungen aufgreifen und weiterentwickeln soll, würde eine Art VR-Helm sein, der Augen und Ohren des Nutzers bedeckt und im eingeschalteten Zustand eine genaue Repräsentation des aktuellen Raumes darstellt. Durch dieses Prisma verwandelt sich jede Fläche in einen Bildschirm, der Inhalte besser darstellen kann, als ein 4K-Fernseher. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für Darstellung der Bildungs- und Unterhaltungs-Inhalte. Ein Fußballspiel kann der Anwender so realitätsnah wie im Stadion erleben: Man kann seine Postion als Zuschauer ändern oder sogar die Sichtweise eines Torwarts annehmen, wie er gerade das Spiel sieht.

Damit das Ganze funktionieren kann, braucht Apple einige Bausteine, die noch nicht auf dem Markt sind. Zum einen ist das ein Betriebssystem für Wearables, die der Nutzer auf dem Kopf trägt, ähnlich wie watchOS für Apple Watches. Zum anderen fehlt noch ein Controller, mit dem man die Darstellung der VR-Brille steuern kann. Es wird schon lange gemunkelt, dass Apple daran arbeitet. Im letzten Apple TV hat der Hersteller alle Spuren der Spiele-Anwendungen beseitigt, auch die Siri-Fernbedienung wurde in der Hinsicht einfacher. Unser Kollege Jonas Ekelund hat sogar darauf spekuliert, dass Apple seinen neuen Controller mit der aktuellen Apple TV vorstellen wollte, dies aber wegen Chip-Knappheit und anderen Covid-19-bezogenen Verzögerungen nicht geschafft hat.

Wie genau Apples Paradigmenwechsel gestaltet wird, wird sich spätestens auf der WWDC 2021 zeigen. Vor allem im Bereich AR-Kit, Audio und Bedienungshilfen werden Hinweise versteckt, wohin Apple sich entwickeln will. (Macwelt)