Apple iPhone - alles schon dagewesen

28.06.2007
Für die einen hat der Hersteller mit dem multimedialen Telefon das Handy neu erfunden, andere sehen in dem Gerät nur eine teure Raubkopie.

Während Apple-Fans in den USA mit feuchten Fingern auf den Verkaufsstart des "iPhone" am 29. Juni warteten und Apple-Partner AT&T zusätzliche Mitarbeiter einstellte, fragen sich Kritiker, welche Innovationen die Mac-Company wirklich bietet. Vor allem die Behauptung, Apple habe mit dem iPhone das Handy neu erfunden, stößt den Zweiflern sauer auf. Sie lästern, dass sich die Steve-Jobs-Jünger, die früher so gerne mit dem Finger auf Windows als schamlose Mac-Kopie zeigten, sich nun auf ein Produkt freuen, das selbst unter Plagiatsverdacht steht. Ob beim Design, der Benutzeroberfläche, der Bedienung und der Musik-Organisation nirgends gehe Apple neue Wege. Vielmehr kupfere das Unternehmen erfolgreiche Features anderer Hersteller schamlos ab.

Edle Oberflächen liegen bei allen im Trend

Ein Vorwurf, den wir so nicht im Raum stehen lassen wollten: Anhand von drei aktuellen Handys die bereits auf dem Markt erhältlich sind haben wir überprüft, was das Apple-Gerät Neues bietet. Zum iPone-Check traten das "Prada" von LG, das "Touch" von HTC sowie das "KRZR K3" von Motorola an. Vergleicht man die Optik des Prada oder des Touch mit der des iPhone, so können sich diese beiden Modelle in Sachen Design durchaus mit dem Apple-Gerät messen. Motorola verfolgt zwar beim KRZR die mit dem "RAZR" eingeführte Gestaltungslinie, doch auch sie fällt aus dem typischen Handy-Einerlei heraus. Auch wenn Design eine Geschmacksfrage ist, bleibt festzustellen, dass Apple nicht die erste Company ist, die die ausgetretenen Pfade des Handy-Business verlassen hat. Um dem alltäglichen Plastikallerlei zu entfliehen, setzen alle vier Hersteller auf edlere Oberflächen wie Glas, Chrom, Klavierlack etc. Die Schwäche dieses Konzepts hat LG erkannt: Zu jedem Prada wird ein Mikrofaser-Tuch mitgeliefert, denn die Schmuckstücke sehen nur dann edel aus, wenn sie ständig gewienert werden.

Auch in Sachen Bedienung kann das iPhone für sich nicht die Innovationsführerschaft beanspruchen. Mit einer Touchscreen-Oberfläche warten sowohl das Touch als auch das Prada auf, wobei beide Geräte ebenfalls über eine der jeweiligen Anwendung angepassten Benutzeroberfläche verfügen.

Allerdings besitzt das iPhone das größte Display und hat auf dem Papier mit 320 mal 480 Pixel die höchste Auflösung. Ob der Multi-Touchscreen in der Praxis wirklich Vorteile bringt, muss sich erst noch erweisen. Einen anderen Weg in Sachen Bedienung geht hier Motorola. Das KRZR gibt dem Anwender mit dem "Home Screen" die Möglichkeit, vier häufig verwendete Funktionen das können auch Web-Seiten sein auf den Eingangsbildschirm zu legen. So liefern sich auch hier alle vier Kandidaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und keiner kann einen technologischen Vorsprung für sich verbuchen. Letztlich liegt es am User selbst, welches Bedienkonzept er bevorzugt. Ganz klar punkten sollte das iPhone eigentlich in der nächsten Disziplin: Seit iPod und iTunes gelten Apple-Produkte als die mobilen Multimedia-Begleiter mit integrierter Musikverwaltung schlechthin. Und nun portiert Apple als erster dieses Konzept in die Handy-Welt? Mitnichten! Wer einmal das KRZR per USB mit seinem Windows-Rechner verbindet, wird schnell feststellen, dass er seine Musiksammlung auf dem Handy mit dem Windows Media Player in der Version 10 oder 11 ebenfalls verwalten und synchronisieren kann.

Die Konkurrenz kann mehr Audioformate

Für den Motorola-Ansatz spricht zudem noch, dass der Speicher des Geräts im Gegensatz zum iPhone unter Windows XP als normaler Wechseldatenspeicher angesprochen werden kann. Zum Kopieren etc. ist also keine weitere Software nötig. Und auf dem Handy selbst gibt sich das KRZR beispielsweise mit seinem Mediafinder, der ebenso Punkte wie Genres und Playlists kennt, auch keine Blöße gegenüber Apples iTunes-Bedienkonzept. Beim Touch ist das Thema Datenabgleich aufgrund des verwendeten Betriebssystems Windows Mobile 6 durch Activesync sowieso kein Thema.

Und noch eines können die Handys der etablierten Hersteller von LG, Motorola oder HTC besser: Sie unterstützen mehr Medienformate als der Herausforderer iPhone. Bei ihnen gehören je nach Modell die Audioformate MP3, AMR, AAC, WAV, MIDI, MP4 oder WMA zum guten Ton und in Sachen Video MPEG4, H.263, WMV oder Real Video9 zum guten Bild. Apropos Ton, auch in Sachen Sound bietet das iPhone nichts Revolutionäres: Auf den Gedanken, Anwender unterwegs schnurlose Kopfhörer mit Bluetooth verwenden zu lassen, kam die Konkurrenz schon früher, wie etwa der zum KRZR erhältliche Stereo-Bluetooth-Kopfhörer S9 belegt. Dagegen punktet das iPhone in Sachen Speicherausstattung. Es ist mit 4 oder 8 GB erhältlich. Die hier verglichene Konkurrenz hat diesbezüglich weniger an Bord, wartet dafür aber mit Slots für Micro-SD-Speicherkarten auf. Warum diese teilweise unter dem Batteriedeckel versteckt sind, bleibt ein Geheimnis der Entwicklungsingenieure.

Bei den eigentlichen inneren Werten geht Apple mit dem iPhone auch nur bedingt neue Wege. Den Gedanken, ein Desktop-Betriebssystem wie MacOS auf ein mobiles Endgerät zu portieren, verfolgt Microsoft mit Windows Mobile bereits in der sechsten Generation. Und andere Handy-Bauer setzen auf mobile Linux-Versionen. Das gleiche Bild zeigt sich in Sachen Browser: Während Apple den hauseigenen Browser Safari propagiert, bauen andere auf Opera oder - bei Windows Mobile - auf die mobile Variante des Internet Explorer. Kritisch könnte es für Apple noch in einem anderen Punkt werden, wenn das iPhone wirklich kein Java unterstützt und somit viele mobile Anwendungen nicht zu nutzen sind. Dann fehlen dem Gerät schlicht die Anwendungen. Gerade die Windows-Konkurrenz schöpft im Vergleich dazu aus einem großen Fundus.

Auf dem Papier lange Sprechzeit

In Sachen Connectivity setzt sich das iPhone ebenfalls nicht von der Konkurrenz ab. Die Kombination aus Edge als mobilem Breitbandfunk und WLAN haben andere Modelle ebenfalls schon an Bord. Oder der Hersteller geht wie beim KRZR K3 in unserem Vergleich andere Wege, verzichtet auf WLAN und spendiert dafür seinem Modell HSDPA mit Transferraten von bis zu 3,6 Mbit/s. Vor Apples Akkulaufzeiten ziehen wir allerdings den Hut: Bei keinem der hier verglichenen Modelle geben die Hersteller eine Sprechzeit von bis zu acht Stunden an. Sie liegen im Schnitt zwischen drei und fünf Stunden. Ein anderes Bild zeigt sich dagegen bei der Standby-Zeit. Mit 250 Stunden auf dem Papier liegt das iPhone etwa deutlich hinter dem KRZR. Für dieses gibt Motorola bis zu 452 Stunden an.

Unter dem Strich bleibt letztlich festzustellen, dass Apple mit dem iPhone wie immer beim Design glänzt und ein hervorragendes Marketing betreibt. Das Handy "neu erfunden" hat die Jobs-Company entgegen ihren Marketing-Aussagen jedoch nicht. Apple hat lediglich vorhandene Telefonideen aufgegriffen und zu einem sicherlich interessanten und attraktiven Gesamtpaket geschnürt.