Der Macintosh wird nicht verstoßen, sondern integriert

Apple beschleunigt die Öffnung zu RISC- und Unix-Systemen

24.04.1992

LONDON (CW) - Die Apple Computer Inc. hat eine Strategie für die 90er Jahre vorgestellt, nach der das Unternehmen die erst spät in den 80er Jahren begonnene Öffnung des proprietären Macintosh-Systems vollenden will. Der Mac wird dabei nicht geopfert, sondern in heterogene Umgebungen eingebunden.

Amerikanischen Gerüchten, die Apple Inc. würde ihr bestes Pferd im Stall demnächst abhalftern, um in der Welt offener Systeme mithalten zu können, wird häufig widersprochen. "Die Macintosh-Reihe wird es noch bis ans Ende dieses Jahrhunderts geben", stellte Roger Heinen, für Macintosh-Systemsoftware bei Apple zuständiger Vice-President, soeben wieder klar.

Rick Spitz, Direktor in derselben Abteilung, bekräftigte diese Aussage: "Wir geben kein Territorium auf." Er sieht keinen Sinn darin, ein System fallenzulassen, das seiner Ansicht nach alle Anforderungen der meisten Anwender erfülle, dabei den Intel-basierten DOS-PCs nicht nur hinsichtlich der Benutzeroberfläche weit überlegen sei und im übrigen vielfältige und komfortable Möglichkeiten zur Integration in heterogene Systemumgebungen biete.

Die Einbindung in fremde Umgebungen - bei Apple häufig, aber fälschlich Interoperabilität genannt - ist bei den Macs im letzten Drittel der 80er Jahre vollzogen worden. Die aus jenen Tagen engerer Kooperation mit DEC und IBM stammende Erfahrung mit Netzarchitekturen dominiert deutlich heutige Apple-Strategien für die Öffnung der Systemwelten.

Das zeigt auch ein Eingeständnis des Apple-Managers Heinen: "Apple war, so etwa bis 1990, sehr proprietär; aber davon ist nicht mehr viel übriggeblieben. Wir wollen in der Lage sein, unsere Technologie zu nutzen. Sie muß jedoch in einer Welt von Standards leben, besonders hinsichtlich Netzwerk und Programmierstandards. Ich gebe zu, daß diese offene Strategie bei uns noch nicht sehr alt ist, dafür aber wird sie jetzt um so aggressiver verfolgt.

In der Tat verteidigt das Unternehmen den 680x0-basierten Mac zwar weiterhin, aber weit weniger aggressiv als die eigene System- und Anwendungssoftware. Apple wandelt sich von einer Hardware- zu einer Softwarecompany. Auffälligerweise erfährt die klassische Mac-Reihe nicht mehr Beachtung als eine neue Serie unter den Namen "Power-PC" oder "Power-Macintosh", Rechnern, die auf der Single-Chip-Implementierung der IBM-RISC-Architektur Power basieren, die wiederum vom dritten Partner Motorola gebaut werden. Jedoch ist in den Apple-Verlautbarungen weit mehr von der Softwarefortschreibung und ihren Grundlagen die Rede als von der Hardware-Entwicklung.

So gibt Apple schon als Grund für die Wahl des Partners IBM Corp. einzig deren überlegene Compiler-Technik und andere systemnahe Software an. Das macht den Wunsch deutlich, eigene Software auf andere Systeme zu portieren. Oberstes Gebot aller Software-Entwicklung ist die Einhaltung einer Unmenge von Schnittstellenstandards, um strikte Modularität zu ermöglichen - das A und O aller offenen Systeme.

Dies zeigt sich bereits beim Mac-OS System 7, das nach Apple-Angaben in naher Zukunft eine bedeutende Erweiterung erfahren soll. System 7 bekommt zwei Basis Architekturen als Fundament, wahlweise einen Microkernel oder den Layer "Poweropen". Der Microkernel wird nach unten nach bisherigem Stand zwei CPU-Support Extensions aufweisen: eine zu 680x0- und eine für Power-Chips.

Auf der Applikationsseite weist System 7 ohnehin tiefgehende Integration in das Betriebssystem auf - eine Notwendigkeit, um bei hohen Zugriffen der Programme auf die Betriebssystem-Tools die Geschwindigkeit beizubehalten.

Heutige Mac-Anwendungen werden also auch auf allen Power-PCs mit System 7 plus Microkernel laufen, und zwar mit unverändertem Aussehen und mit gleicher Handhabung. Sie sollen auch auf größeren Powerbasierten Rechnern - etwa der RS/6000 von IBM - laufen, wenn hierbei wiederum System 7 auf die Basisarchitektur Poweropen statt des Microkernels aufsetzt.

Dadurch ergibt sich ein einfacher Migrationspfad der Mac-Anwendungen via System 7 zur Basisarchitektur Poweropen und zum darauf aufsetzenden Unix-Derivat A/UX von Apple. Schon entstehen für Mac-Programme Querverbindungen zu anderen Unix-Anwendungen.

So konzentriert sich Apple hardware- wie softwareseitig auf jeweils zwei Kategorien: Auf der Rechnerebene tritt der Power-PC oder Power-Macinstosh neben die traditionelle Macintosh-Reihe, hinsichtlich der Software kann System 7 mit dem Microkernel oder mit Poweropen unterkellert werden.

Dabei verstärkt sich der Eindruck, daß Apple zumindest für einige Zeit das Augenmerk auf Desktop-RISC-Systeme richten und damit der IBM das Feld für parallele CPU-Architekturen überlassen will. Vice-President Heinen postulierte gar einen Low-cost-Anspruch, der bei Apple vor zwei Jahren noch überrascht hätte: "Der Grund, daß wir bisher keine Parallelrechner bauen, liegt in den Kosten. Die Macintosh-Reihe liegt heute zwischen 1000 und 8000 Dollar. Ein effektives Multiprozessor-System wäre bei derzeitiger Technologie in diesem Preisrahmen unrealistisch. Das können wir uns erst in einigen Jahren vorstellen."

Den Anwendern schlägt Apple eine Entscheidungshilfe vor: 680x0- oder Single-Power-CPU mit Microkernel-fundiertem System 7 für sogenannte Personal Systems, während bei größeren Systemen etwa in Unternehmen Mac-Applikationen - via System 7 - und Unix-Anwendungen - über A/UX - mit der gemeinsamen Betriebssystem-Unterfütterung Poweropen auf Macs, Power-PCs oder den stärkeren RS/6000 laufen können.

An diesem Punkt wird zugleich deutlich, wie sich Apple von der gemeinsam mit IBM gegründeten Tochter Taligent abheben will. Denn Taligent wird die Betriebssystem-Entwicklung Pink auf absehbare Zeit nur für Rechner mit dem Power-RISC-Chip anbieten.

Pink: ein Betriebssystem speziell für RISC-Rechner

Apple-Manager Heinen erklärte hierzu: "Pink wird nicht wie Unix sein, sondern ein Betriebssystem für Rechner mit der RISC-Power-Architektur Taligent wird etwas anbieten, über das hinsichtlich seiner Struktur und Flexibilität kein gegenwärtiges Betriebssystem verfügt." Auch Heinen geht allerdings davon aus, daß Taligent mit einer offenen Lizenzierungsstrategie eine Verbreitung von Pink auf anderen Plattformen vorantreiben möchte.

Apple hat bereits eine Anpassung des Poweropen Layers auf andere RISC-Architekturen angekündigt. So meinte Apple-Direktor Spitz: "Es hat im Moment absolute Priorität, unsere Mac-Software zuerst auf den Power-PC und danach auf die RS/6000 zu bringen. Aber nach unserer Strategie wollen wir unsere Applikationen auf mehr Plattformen anbieten."

Es könnte sich also doch eine direkte Konkurrenzsituation zwischen Apple und Taligent ergeben, jedenfalls soweit es die Verbreitung der Systemumgebungen auf anderen Plattformen betrifft. Bis dahin allerdings wird noch einige Zeit vergehen.

Diese betreffen vor allem die Bereiche Multimedia und systemübergreifende Kommunikation. Das erste Softwaresegment wird offenkundig als die Cash-Cow der 90er Jahre angesehen. Die grundlegende Basis-Mediensoftware "Quicktime" hat enormen Zuspruch gefunden, 12 000 Entwicklerversionen sind am Markt.

In Sachen Kommunikation steht das Konzept "Open Collaborative Environment" (OCE) im Mittelpunkt. Entgegen Befürchtungen, die einer platten Übersetzung entspringen könnten, steht die Sicherheit bei der Kommunikation zwischen Systemen im Zentrum dieser Umgebung für offene Zusammenarbeit.

Das Adjektiv offen steht nur für die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu Fremdsystemen, die in der Praxis auch nur dann zustande kommt, wenn der Angesprochene es ausdrücklich will. In diesem Punkt ähnelt das Konzept sehr dem IBM-Ansatz - ob Apple damit gut fährt, steht dahin.

Offen bleibt der Server, denn er wird entlastet, indem die meisten Kontakte schon auf der Ebene der OCE-Toolbox abgewickelt werden, ohne daß er tief auf Directory- oder Datenbankverzeichnisse durchgreifen müßte.