H&R Block will seinen Online-Dienst abtreten

AOL wird als potentieller Käufer für Compuserve gehandelt

11.04.1997

Schon seit längerem versucht H&R Block, Compuserve abzustoßen. Im April 1996 verkaufte das Steuerberatungsunternehmen knapp 20 Prozent der Aktien an der Börse. Die ursprünglich geplante Emission der restlichen Anteilsscheine verzögerte sich jedoch immer wieder, weil der Online-Dienst seitdem defizitär ist und als Folge dessen schlechte Börsenwerte aufwies.

Auch Microsoft ist im Gespräch

Die Akquisition Compuserves durch einen anderen Service-Provider oder einen Neueinsteiger in das Online-Geschäft wäre für H&R Block eine willkommene Möglichkeit, die Tochter loszuwerden. Im Gespräch sind derzeit laut Informationen der amerikanischen CW-Schwesterpublikation "Computerworld" neben AOL auch Microsoft, die GTE Corp., Time Warner und eine der Baby Bells. Während Bewerber wie Microsoft nur an Teilen des Unternehmens, etwa an den Abonnentenverträgen, interessiert sind, will AOL Compuserve im Stück schlucken, also mit Online-Dienst, Infrastruktur und Netzwerkservices.

Die dabei ebenfalls zu übernehmenden Abonnenten könnten AOL den Weg zu den Geschäftskunden ebnen. Während AOL in den USA, aber auch AOL Bertelsmann in Deutschland und Europa hauptsächlich die Privatanwender im Blickfeld hat, nutzt ansonsten ein Großteil der weltweit rund 2,9 Millionen Compuserve-Kunden den Online-Dienst häufig für berufliche Zwecke.

Besonders großes Interesse hat der potentielle Käufer allerdings an Compuserves Infrastruktur. Vor einigen Monaten startete AOL in den USA eine Marketing-Offensive, um mit Billigangeboten Neukunden zu werben. Mehr als 500000 Nutzer ließen sich im Zuge der Kampagne locken, so daß die aktuelle Mitgliederzahl die Acht-Millionen-Grenze überschritten hat. Dadurch ist das AOL-Netz nun hoffnungslos überlastet. Die Nutzer bekommen beim Versuch, sich in den Dienst einzuwählen, häufig ein Besetztzeichen zu hören. Dieser Flaschenhals ließe sich, so die AOL-Hoffnungen, mit Hilfe des Compuserve-Netzes beseitigen.

Ob das Netz wirklich hält, was es verspricht, ist indes fraglich. So steht der Compuserve-Infrastruktur ein teures Upgrading ins Haus, vermutet etwa ein US-Analyst - im übrigen ein weiterer Grund für H&R Blocks Verkaufsbemühungen. "Soeben begibt sich AOL auf den Weg, profitabel zu werden", kritisierte darüber hinaus James Kiggin, Marktbeobachter bei Cowen & Co. "Warum sollten sie jetzt ein defizitäres Unternehmen kaufen?"

Die Schätzungen für den Übernahmepreis belaufen sich auf eine bis 1,5 Milliarden Dollar, was in Augen der meisten Experten ein günstiges Angebot wäre. Der schnell wachsende, aber dennoch Verluste schreibende Online-Dienst AOL verfügt aber kaum über flüssige Mittel und möchte dementsprechend per Aktientausch bezahlen. H&R Block dagegen will sich aus dem Online-Markt zurückziehen, bevorzugt also Bares. Die Compuserve-Mutter teilte offiziell mit, Gespräche mit externen Interessenten zu führen, ohne Namen zu nennen. Auch von AOL-Seite gab es weder Bestätigung noch Dementi.