Anwendungsstau bei Groß-EDV führt zu selbständiger Suche nach eigenen Lösungen, aber:Mit der Einführung der Mikros noch warten

08.10.1982

FRANKFURT - eine offensive Haltung gegenüber den Mikrocomputern empfiehlt der Frankfurter Unternehmensberater Carl Schmöle der EDV-Abteilung in seinem folgenden Beitrag. Nur wenn sie die Initiative ergreift und auf die Fachabteilungen zugeht, statt auf die Rechenzwerge hinabzublicken, wird der Endanwender auch in Zukunft die DV-Abteilung als kompetenten Gesprächspartner anerkennen.

Technologischer Wandel bedeutet Herausforderung und Bedrohung. Dies gilt auch für die Rolle der kommerziellen Mikrocomputer gegenüber der EDV-Abteilung. Bereits heute werden in den USA neben jedem Dollar offizieller Aufwendungen der legitimierten EDV-Abteilung 30 Cents von den Fachabteilungen ausgegeben. Als Hauptgründe für diese Entwicklung können schnelle Implementierung, hohe Motivation der Endanwender und günstige Preise der Mikros gelten.

Bekanntlich ist der sogenannte Anwendungsstau das Kreuz der zeitgenössischen Groß-EDV. Er wurde von IBM auf durchschnittlich vier Jahre beziffert. Aus der Sicht der EDV-Abteilung nachrangige Projekte laufen Gefahr, niemals implementiert zu werden. Der Endanwender sieht das anders: Für ihn haben seine Projekte höchste Priorität.

Die Reaktion auf diesen wenig befriedigenden Zustand ist immer mehr eine selbständige Suche nach eigenen Lösungen. Hierbei kommt der Mikro wie gerufen. Außerdem wird der eigene Mikro als wesentlich persönlichere Angelegenheit empfunden als ein Terminal, das an irgendeine anonyme Großanlage angeschlossen ist. Vielleicht spielt auch der Wunsch des Endanwenders, mit seiner Arbeit am Mikro nicht kontrollierbar zu sein, manchmal eine Rolle.

Stabilität hoch

Die Breite der verfügbaren Standardpakete und die Leistungsfähigkeit der heute verfügbaren Mikros sind in der Tat beeindruckend. Anders als bei der Groß-EDV konnte sich frühzeitig ein einheitliches und relativ einfaches Betriebssystem als Standard durchsetzen (CP/M). Wer jemals Finanzberechnungen (und Sensitivitätsanalysen) mit einem Taschenrechner durchgearbeitet hat, fragt sich, wieso die Mainframe-Branche nicht in der Lage war, Visicalc-ähnliche Kalkulationsprogramme populär zu machen.

Dort wo Texte regelmäßig mehrere Entwürfe durchlaufen, können auf Mikros verfügbare Textverarbeitungsprogramme, wie zum Beispiel Wordstar, eine erhebliche Erhöhung der Produktivität bewirken. Ähnliches ließe sich über andere Standardsoftware sagen. Zum Teil sind diese Pakete mehrere 100 000mal eingesetzt, so daß die Stabilität sehr hoch ist.

Ohne daß die EDV sich dem Trend entgegenstemmt, diese neuen Möglichkeiten zu nutzen, kann es sinnvoll sein, ihn auf Grundlage der langjährigen Erfahrungen zu kanalisieren.

Hardcopy noch unbefriedigend

Gegenwärtig ist die Leistung der 8-Bit-Mikros noch recht begrenzt, wenn sie zu weiteren Aufgaben als dem ursprünglich vorgesehenen Arbeitsgebiet eingesetzt werden sollen. Läßt man die Erfahrungen des US-Marktes gelten, stehen aber die 16-Bit-Rechner vor der Tür.

Dann dürfte auch die heute noch verbreitete Hauptspeichergrenze von 64 KB fallen. Vergessen wir dabei jedoch nicht, daß dies die maximale Ausbaustufe der weiland so beliebten IBM 360/30 war. Bereits heute gibt es Supermikros mit bis zu ein MB Hauptspeicher.

Ähnliches gilt für Plattenspeicher. Neben die kleine (maximal 500 KB) und langsame Floppy tritt die Mikrodisk (zum Beispiel Seagate, Tandon) mit mehreren MB Speicherkapazität. Die Hardcopy-Einheit kann im derzeitigen Stadium noch nicht ganz befriedigen. Der Schriftqualität wegen sind oft die langsamen und nicht ganz preiswerten Typenraddrucker empfehlenswert.

Bemerkenswert hingegen sind DFÜ-Konzepte aus der Welt der Mikros. Dem klassischen Timesharing der Groß-EDV lag der Wunsch zugrunde, die teure CPU maximal zu nutzen. Im Bus-System "Constellation" beispielsweise wird die Harddisk zum Mittelpunkt gemacht, der geteilt wird. Jeder Teilnehmer benötigt ohnehin ein Terminal, in das die preiswerten Chips für CPU-Logik und Hauptspeicher gleich miteingebaut werden. Zugleich beginnen sich Emulationsvorrichtungen von gängigen Einheiten der Groß-EDV allmählich auszubreiten (Stichwort: 3270, 3741).

Züge der Pionierzeit

Bei allem Respekt vor den bereits vollbrachten Leistungen in der Mikrowelt, kann die begründete Erwartung weiterer Leistungssteigerungen und Preissenkungen es nahelegen, mit der Einführung noch zu warten. Denn noch weisen viele Mikros der 2. Generation ("Apple II") Züge der Pionierzeit auf wie unkomfortable Tastaturen oder keinen deutschen Zeichensatz, die bei neueren Geräten verschwinden dürften.

Manche heute auf dem Markt erhältliche moderne Geräte hingegen sind nicht mit der umfassenden Software kompatibel, die den Mikro-Markt erst richtig interessant macht. Und bekanntlich kann es sehr teuer und langwierig werden, alles selber programmieren zu müssen.

Trotz dieser Einschränkungen sollte die EDV-Abteilung gegenüber der Herausforderung durch die Mikros eine offensive Haltung einnehmen.

Beispielsweise könnte bei der Beschaffung von Schreibmaschinen grundsätzlich erwogen werden, das meist optionale Computer-Interface gleich mitzukaufen. Für engagierte Mitarbeiter in den Fachabteilungen kann man einen (oder auch mehrere) Leih-Mikros bereithalten, mit denen sie versuchen können, ihre Aufgabenstellung gewissermaßen als Pilotprojekt anzugehen. Dies gilt besonders für Wünsche im Bereich der Textverarbeitung .

Im Rahmen einer Anleitung und Kanalisierung durch die EDV-Abteilung können formell und informell Standards empfohlen werden, so daß möglichst nur Geräte eines oder weniger Hersteller beschafft werden. Es hat sich auch bewährt, die Fachabteilung eindringlich auf die Probleme hinzuweisen, die aus der Programmierung in Assembler resultieren können.

Die begrenzte Leistung der 8-Bit-CPUs reizt manchmal zur "maschinenfreundlichen" Programmierung, um aus dem Mikro mehr Leistung herauszuholen. Aus der STPMU-Untersuchung der GMD ist ja bekannt, daß in der kommerziellen EDV fast drei Viertel der Programmierkapazität in die Wartung und Modifizierung bestehender Programme gehen.

Der Know-how-Vorsprung der EDV-Abteilung muß in jeder Hinsicht ausgenutzt werden. Jede einzelne Fachabteilung muß ganz oben auf der Lernkurve beginnen, und sie wird im allgemeinen dankbar sein, wenn gestandene Mitarbeiter der EDV-Abteilung mit Rat und Tat auch bei Mikro-Projekten zur Seite stehen. Dazu kann es sich empfehlen, einen "Mikro-Beauftragten" zu benennen, der möglichst etwas verkäuferisches Talent haben sollte.

Leistung einer 370/158

Er ist dann auch derjenige, der die rapiden Fortschritte der Mikros auf dem Markt verfolgen kann. Schließlich denken auch die Mikro-Lieferanten an ihr eigenes Wohl, was sich in Strategien und Taktiken ausdrückt, die zu verstehen sich für den Anwender meistens lohnt. Und bei Verhandlungen hat ein offiziell bestellter Mitarbeiter der EDV eines größeren Unternehmens eine wesentlich verbesserte Verhandlungsposition gegenüber einem Mikro-Unternehmen.

Blicken wir nicht auf die Rechenzwerge herab, die vor fünf Jahren in der Garage der Gründer, der Firma Apple, entstanden. In wenigen Jahren werden sich unsere Kunden, die Fachabteilungen, Desk-Top-Mikros mit den Leistungsmerkmalen einer 370/158 im Computerladen kaufen können. Statt dessen soll die DV-Abteilung die Initiative ergreifen und auf die Fachabteilungen zugehen: damit der Endanwender auch morgen noch die EDV-Abteilung als kompetenten Partner in allen EDV-Fragen, auch denen der Mikros, ansieht.