CeBIT-Trends/Integration reicht über die Technik hinaus

Anwendungen und Prozesse verknüpfen

14.03.2003
Eine gute alte Bekannte hat die Position gehalten. Bei einer Umfrage, die Morgan Stanley im September 2002 unter 225 IT-Verantwortlichen vornahm, nannten viele unter ihren Prioritäten - die Integration. Haben also die enormen Anstrengungen der vergangenen Jahre auf diesem Gebiet wenig gefruchtet? Von Theo Ruland*

Die Antwort ist eindeutig: Doch, sie haben viel bewegt - aber die Herausforderungen haben sich noch schneller weiterentwickelt. In den letzten fünf Jahren stand die Integration der Anwendungen (EAI) im Mittelpunkt. Triebkraft war das Bestreben, ERP-Systeme untereinander und mit gewachsenen Applikationen zusammenzuführen. Unternehmen nutzten EAI, um interne Systeme und E-Commerce-Implementierungen zu verknüpfen, Transaktionen zu synchronisieren und Daten auszutauschen. Diese Integration hatte technische Ziele, verlangte technisches Spezialwissen und wurde von Technikern ausgeführt.

Kürzere Zeitspannen zwischen Innovation und Markteintritt

Mittlerweile sind aber neue Anforderungen in den Vordergrund gerückt, welche die IT-Leute gar nicht mehr überschauen können. Unternehmen müssen noch kostengünstiger und gewinnorientierter arbeiten, noch näher am Kunden sein, dessen Wünsche noch früher erkennen und schnell umsetzen, also noch kürzere Zeitspannen zwischen Innovation und Markteintritt garantieren. Zulieferer werden immer tiefer in Produktionsprozesse der Hersteller eingebunden - das funktioniert nur, wenn die Prozesse beider Seiten eng verzahnt sind und auf kurzfristige Veränderungen flexibel reagiert werden kann. Und da der Markt immer dynamischer wird, müssen Unternehmen immer schneller handeln. Nicht ohne Grund spricht Gartner mittlerweile vom "Real Time Enterprise" (siehe Seite 60).

All dies sind geschäftliche Herausforderungen, keine technischen. Sie verlangen deshalb auch geschäftliche Antworten. Nur derjenige, der mit diesen Themen Tag für Tag umgeht, kann die notwendigen Gesamtprozesse definieren und optimal gestalten - innerhalb des Unternehmens, aber zunehmend auch darüber hinaus, etwa bei Kunden, Zulieferern und Partnern. Wo diese Prozesse auf IT-Unterstützung angewiesen sind, müssen sich die zuständigen IT-Systeme dieser andauernden Neuausrichtung unterordnen und ihr schnell und flexibel folgen. Die Integration muss auf der Ebene der Geschäftsprozesse stattfinden, und es sind die verantwortlichen Business-Anwender, die sie vorantreiben und gestalten. Auf der Tagesordnung steht Business Process Integration (BPI), die EAI beinhaltet und um B-to-B-Funktionen ergänzt.

All die vertrauten EAI-Features werden natürlich weiterhin benötigt: Adapter, um verschiedene IT-Systeme zu verknüpfen; Message-basierende Integrationsplattformen, um die Kommunikation zwischen diesen Ressourcen zu managen; Komponenten zur Transformation und zum Mapping, um Daten und Nachrichten von einem Format in ein anderes umzuwandeln und so weiter. Aber die Integration wird um eine Stufe angehoben.

Mitarbeiter und Systeme aufder IT-Ebene verknüpfen

Mitarbeiter in den Fachbereichen definieren zum Beispiel mit Hilfe visueller Modelle den Fluss der Geschäftsprozesse, der sowohl technische Systeme als auch personengebundene Abläufe und Entscheidungen beinhalten kann. Anschließend verknüpfen die technischen Mitarbeiter die unterstützenden Systeme auf der IT-Ebene: Datenbanken, Applikationen und andere technische Komponenten, die in unterschiedlichsten Sprachen geschrieben sind und auf vielfältigen Plattformen betrieben werden - vom Uralt-Mainframe bis zum modernsten Applikations-Server. Nach und nach werden auch diese technischen Vorgänge automatisiert.

Die Benutzer werden durch neue Integrationswerkzeuge unterstützt, die ihnen eine grafische Oberfläche mit Modellierungs-funktionen zur Verfügung stellen. Zwar benötigen Fachbereiche und IT jeweils spezifische grafische Schnittstellen, die auf ihre unterschiedlichen Aufgaben und Kenntnisse zugeschnitten sind. Gleichzeitig ist aber ein durchgängiger, integrierter Ansatz notwendig, damit die IT-Implementierung ohne zusätzliche "Übersetzung" unmittelbar aus den Prozessen abgeleitet werden kann. Wichtig ist dabei die Trennung von logischer und physikalischer Ebene. So kann das Integrationsdesign unabhängig von der späteren physikalischen Umsetzung vorgenommen werden. Prozesse können leichter modifiziert werden, und umgekehrt können Komponenten der IT-Infrastruktur ausgetauscht werden, ohne dass die Prozessebene überarbeitet werden muss.

Damit die Business User ihre neue Verantwortung wirklich wahrnehmen können, müssen sie auch den Status des Implementierungsprozesses möglichst aktuell verfolgen und auf Übereinstimmung mit den geschäftlichen Zielen kontrollieren können. Echtzeit-Schnittstellen wie etwa Dashboards sind hier hilfreich.

Standards optimieren Integrationsplattformen

Das Management der Geschäftsprozesse wird zur treibenden Kraft der Integration - das ist der entscheidende neue IT-Trend. Da-rüber hinaus verändern weitere Entwicklungen den Markt der Integrationslösungen. An erster Stelle sind die zahlreichen Standards zu nennen, die sich in jüngster Zeit durchgesetzt haben. Mussten die EAI-Produkte der ersten Generation in der Regel proprietäre Infrastrukturen, Message-Formate und Übersetzungsmodule nutzen, gibt es inzwischen eine breite Palette an Integrationsstandards:

- BPMN (Business Process Modeling Notation) zum Modellieren von Geschäftsprozessen,

- JMS (Java Message Service) für das Messaging,

- EJB (Enterprise Javabeans) zum Programmieren,

- XML (Extensible Markup Language) und last, but not least,

- Soap (Simple Object Access Protocol),

- WSDL (Web Services Description Language) und

- UDDI (Universal Decription, Discovery and Integration)

als Standards für Web Services - der mittlerweile dominierenden Technologie zur Verbindung einer großen Zahl von Applikationen, Komponenten, Services und Datenquellen. Integrationswerkzeuge, die am Markt eine Chance haben wollen, müssen künftig diese Standards unterstützen.

Komponenten können wesentlich länger eingesetzt werden

Schon heute werden in den Unternehmen Anwendungen zum großen Teil auf einem Applikations-Server betrieben. Sie werden nun mit Applikationen auf anderen Plattformen verbunden - seien es wiederum Applikations-Server oder traditionell gebaute Legacy-Systeme. Dank ihrer Skalierbarkeit, ihrer Standardisierung, ihrer von der Entwicklung unabhängigen Laufzeitumgebung und ihrer vielfältigen Management-Features bringen Applikations-Server alle Voraussetzungen mit, um zum Integrations-Hub der Zukunft zu werden.

Auf ihnen laufen dann zunehmend Komponenten, die mit einem standardisierten Programmiermodell im Rahmen einer serviceorientierten Softwarearchitektur (SOA) entwickelt wurden. Sie können so beliebig wiederverwendet und wesentlich länger eingesetzt werden.

Analytische Einsichten werden deutlich verbessert

Die neuen Lösungen schaffen eine neue Qualität der Integration, und diese verändert wiederum das geschäftliche Potenzial eines Unternehmens. Die Verantwortlichen können sehr komplexe Geschäftsprozesse zeitnah verfolgen, managen und viel schneller modifizieren. Gleichzeitig werden ihre analytischen Einsichten und damit ihre Entscheidungsfähigkeit deutlich verbessert.

Die Standardisierung der Integrationsplattform wiederum spart Kosten, da weniger Spezialwissen benötigt wird, gleichzeitig sinken die Lizenz-, Entwicklungs- und Betriebskosten. Regeln, Daten- und Objektmodelle und andere wichtige Komponenten können in einer einheitlichen Umgebung besser gepflegt werden. Und das Risiko, mit proprietären Systemen die eigene Flexibilität und Wachstumsfähigkeit zu beschränken, wird deutlich geringer. (bi)

*Theo Ruland ist Geschäftsführer der Sybase GmbH in Düsseldorf.

Angeklickt

- Die technische Integration verlangte technisches Spezialwissen und wurde von Technikern ausgeführt.

- Die geschäftliche Integration muss auf der Ebene der Geschäftsprozesse stattfinden.

- Die verantwortlichen Business-Anwender gestalten und treiben sie voran.

- Die Benutzer werden durch neue Integrationswerkzeuge unterstützt.

- Damit die Business User ihre neue Verantwortung wahrnehmen können, müssen sie auch den Status des Implementierungsprozesses verfolgen und auf Übereinstimmung mit den geschäftlichen Zielen kontrollieren können.

- Das Management der Geschäftsprozesse wird zur treibenden Kraft.

Paradigmenwechsel

In den vergangenen Monaten hat ein Paradigmenwechsel mit weit reichenden Konsequenzen stattgefunden: Unternehmen verlagern ihre Integrationsanstrengungen zunehmend von der Ebene der Daten und Anwendungen auf die Ebene der Geschäftsprozesse. Die Softwareanbieter stehen jetzt vor der großen Herausforderung, diese Neuausrichtung umzusetzen. Plattformen kommen auf den Markt, mit denen die Business User Geschäftsprozesse flexibel modellieren können und so selbst zur treibenden Kraft der Integration werden. Business Process Integration (BPI) erweitert die klassische Enterprise Application Integration (EAI). Zugleich setzen sich neue Standards und Architekturen durch. All dies verändert den Markt für Integrationslösungen erheblich.

EAI-Markt in Deutschland

Rang / Unternehmen / Marktanteil in 2001 in Prozent

1 / Tibco Software / 5,382 / Sybase (Neon) / 5,00

3 / Crosswolds Software (jetzt IBM) / 4,62

4 / Seebeyond Deutschland (früher STC) / 4,62

4 / Webmethods Germany (inkl. Active Software) / 4,62

4 / Mercator International / 4,62

7 / Software AG (inkl. Saga) / 3,85

8 / Sun Microsystems (inkl. Iplanet and Forté) / 3,46

9 / Bea Systems / 3,08

10 / Seeburger AG / 2,69

10 / Vitria Technology / 2,69

12 / SAP AG + SAP SI / 2,31

13 / Oracle Deutschland / 1,92

13 / Iona Technologies (inkl. Netfish) / 1,92

13 / Microsoft / 1,92

16 / IBM Global Services + IBM Software / 1,54

17 / Axway /a Sopra Company / 1,23

18 / Fujitsu Siemens Computer / 1,15

19 / Hewlett-Packard (inkl. Bluestone) / 0,77

19 / Amadee AG / 0,77Andere / 41,85

Anbieter von Integrationslösungen in Deutschland. Zunehmend wird die Fähigkeit zur komplexeren Business Process Integration (BPI) in den Vordergrund rücken und den Markt prägen.

(Hewlett-Packard ist inzwischen aus diesem Markt ausgeschieden.)

Quelle: PAC 2002