Anwendereinfluß auf Systemkonzipierung

29.07.1977

Dr. Werner Dirlewanger, Institut für Informatik, Universität Stuttgart.

Machen wir einen kleinen historischen Rückblick: In der Zeit der Entstehung der Computer kam die wesentliche Menge der Ideen zu Systemkonzepten aus dem Bereich der Anwender, die sehr eng mit den Entwicklern zusammenarbeiteten oder sogar selbst die Entwicklung betrieben.

Am Ende der sogenannten ersten Generation war jedoch eine deutliche Trennung zwischen Anwendern einerseits und Entwicklern andererseits eingetreten. Die Entwicklung der DV-Systeme fand weitgehend in den diesbezüglichen Abteilungen des neugeschaffenen Industriezweiges "Computerherstellung" statt, und die Ideen zur Konzipierung neuer oder zur Weiterentwicklung bestehender Systeme kamen nun nur noch in geringem Maß von den Anwendern. Treibend für Entwicklungen waren nun hauptsächlich Gesetze des Vertriebs (Ausnahmen bildeten nur der militärische Sektor und einige wenige, spezielle Forschungsunternehmungen). Hart ausgedrückt war nicht mehr das Ziel "Welche Eigenschaften muß ein DV-System haben, um der Anwendung am besten gerecht zu werden?" bestimmend, sondern die folgenden Aspekte waren Ideen, Lieferant und Motor für Entwicklungsideen: - Suche die kleinste Menge von Verbesserungen und/oder Veränderungen derart, daß der Kunde zum Systemwechsel animiert wird.

- Stöbere nach neuen Computeranwendungen, um so zusätzliche Marktbereiche zu finden.

- Mache nur dann Neuentwicklungen, wenn sich die bereits im Lieferprogramm befindliche Hardware und/oder Software beim besten Willen nicht mehr für die neue Anwendung zurechtfrisieren läßt.

Hätte nicht die Konkurrenzsituation bestanden, dann hätten wir ein sehr langsames Entwicklungstempo gehabt.

So war das Tempo doch noch relativ schnell. Es war jedoch viel langsamer, als es bei Ausnützung der vollen Leistung der Denkfabriken hätte sein können. Das langsamere Tempo halte ich aber für nicht so schlimm. Eine viel schwerwiegendere Folge des bisher herstellerbezogenen ED-Entwicklungsweges ist der sehr uneinheitliche und unterschiedliche Entwicklungsstand und -Rückstand der verschiedenen Marken. Zwar hat fast jedes System die eine oder andere gute Besonderheit aufzuweisen, kaum eines aber vereinigt viele in sich und keines hat diejenige Untermenge von Eigenschaften, die innerhalb einer bestimmten Preisklasse nach dem heutigen Stand der Kunst machbar wären. Schließlich gibt es eine weitere sehr bedenkliche Folge des nicht anwenderbezogenen EDV-Entwicklungsweges: Immer wieder drohen als positiv erkannte Systemeigenschaften bei Nachfolgesystemen nicht vorhanden zu sein.

Ich sehe so eine Reihe von erheblichen Gefahren und finde, daß sich die Anwender nicht mehr mit passiven Rollen desjenigen begnügen dürfen, der bei Neuanschaffungen aus der Menge der "zufällig" angebotenen Systemen eben das am wenigsten Ungeeignete auswählt. Vielmehr ist es Zeit, daß die Anwender sich klar darüber werden, welche Eigenschaften sie zu ihrem eigenen Wohl von dem Werkzeug "DV-Anlage" fordern müssen und gemäß dem heutigen Stand der Technik dürfen. Das bedeutet: Aktive Mitarbeit der Anwender bei der Konzipierung von EDV-Systemen und klare Formulierung des Wunsches an die Hersteller, genau diese Konzepte zu realisieren.

Als Beitrag zu dieser aktiven Mitarbeit sind die Aufsätze der vorliegenden Reihe zu verstehen. Darin werden jedoch keine direkten Konstruktionsvorschläge gemacht, sondern es werden Eigenschaften aufgelistet, die aus Benutzer- und Rechenzentrumssicht von den Nachfolgern der heutigen DV-Großanlagen zu fordern sind. Den Konstrukteuren von Hardware und Software wird dabei nicht ins Handwerk geredet. Es wird ihnen überlassen, wie sie die Realisierung vornehmen. Von ihnen werden dabei keine futuristischen Dinge gefordert, sondern solche, die aufgrund des Stands der Technik als machbar gelten können. Weiterhin hat die Aufsatzreihe nicht die Absicht, einen vollständigen Katalog von Eigenschaften für die nächsten DV-Systeme zu geben. Vielmehr wird nur eine Reihe besonders aktueller oder wünschenswerter Eigenschaften (d. h. Eigenschaften, die als so positiv empfunden werden, daß sie generell von zukünftigen Anlagen zu fordern sind) stichpunktartig aufgegriffen. Dabei handelt es sich um technische Eigenschaften, während andere Aspekte wie firmenpolitische Punkte, Beschaffungsfragen etc. bewußt ausgeklammert sind.