Anwender, Wissenschaftler und Hersteller sind sich einig:DV-Ausbildung - So geht es nicht weiter

17.10.1975

BONN - "Die Datenverarbeitung als Schlüsseltechnologie dieses und des kommenden Jahrzehnts erfordert eine breite Streuung des DV-Wissens und seine Integration in viele Wissensgebiete, damit unserer Volkswirtschaft ihre Position in der Spitzengruppe der Industrienationen erhalten bleibt." Mit diesem Kraftwort untermauert der Ad-hoc-Ausschuß "Ausbildung von DV-Fachkräften" beim Bundesministerium für Forschung und Technologie (Kasten) seine Vorschläge zum "Ausbau der DV-Ausbildung" in den soeben vorgelegten Empfehlungen (Vorabbericht in CW Nr. 41 vom 10. Oktober, Seite 1). Um so bedenklicher ist die Diskrepanz, die der Ausschuß auf Grund eingehender Erhebungen zwischen dem DV-Personalbedarf bis 1978 und dem "Ausstoß" öffentlicher und halböffentlicher Bildungseinrichtungen konstatiert. Danach ist der Beitrag der EDV-Hersteller zur Ausbildung von DV-Personal auch in Zukunft unverzichtbar.

Selbsthilfe der Anwender

Die Empfehlungen des Ausschusses zum Ausbau der DV-Ausbildung gehen deshalb auch nicht davon aus, eine Förderung im Rahmen etwa des 3. DV-Programms der Bundesregierung könne kurzfristig viel ändern. Der Ausschuß resigniert: "Die (Bedarfs-) Lücke wird, wie bisher, gedeckt werden müssen durch das breitgestreute Kursangebot der Hersteller... sowie die Selbsthilfe der DV-Anwender."

Trotzdem enthalten die Empfehlungen wichtige Einsichten in die Zukunft der DV-Berufe und des DV-Arbeitsmarktes. Ihr harter Kern läßt so formulieren:

- Die Personal-Nachfrage wird erst mit Beginn der achtziger Jahre sinken.

- Die Berufsbilder werden sieh ändern, höhere Qualifikation ist erforderlich.

- Veränderte Anwendungen (Dezentralisierung der DV) erfordern immer mehr die Kombination von DV-Kenntnissen mit anderem Fachwissen.

- Es sind Normen für Ausbildungs-Module und Prüfungen zu setzen.

- Die Ausbildung ist insgesamt praxisbezogener, anwendungsorientierter zu gestalten.

- Basis-DV-Wissen sollte zum Grundlehrstoff aller Bildungseinrichtungen werden.

- Mange geeigneter DV-Ausbilder sollen mehr Praktiker zur Lehre herangezogene.

Prinzipien der Förderung

Der Ausschuß wurde im Februar 1973 eingesetzt. Er ließ eine Reihe von Erhebungen anstellen, deren Aussagekraft allein allerdings ungenügend erschien. In den Empfehlungen sind daher die "Erfahrungen der Ausschußmitglieder" ausdrücklich mitverarbeitet. In den Empfehlungen heißt es wörtlich:

"Die gegenwärtige Struktur der DV-Ausbildung ist nur zum Teil geeignet, den sieh aus den Tendenzen und Notwendigkeiten ergebenden Anforderungen gerecht zu werden."

Daraus leitet der Ausschuß "Prinzipien" ab, denen Förderungsmaßnahmen entsprechen sollten: "DV-Fachkräfte sollten in Zukunft grundsätzlich geschlossene, qualifizierte Ausbildungsgänge in DV als berufsvorbereitende Erstausbildung durchlaufen haben. - In eine große Zahl bestehender DV-fremder Ausbildungsgänge sind DV-Inhalte zu integrieren. - DV-Basiswissen ist als unverzichtbarer Bestandteil von Grund- und Allgemeinbildung zu betrachten und dementsprechend in die schulischen Ausbildungsgänge einzuführen. - Zur Weiterbildung in DV für DV-Fachkräfte ist ein standardisiertes, soweit wie möglich einheitliches, zertifizierbares System von "Lehrmoduln" zu entwickeln.

Neue Schwerpunkte

Nach dem heutigen Erkenntnisstand ist bis 1978 ein Personalbedarf von 149 000 DV-Fachkräften (ohne Datentypistinnen und andere Randberufe) zu decken. Um der Bedarfsdeckung nahezukommen, empfiehlt der Ausschuß Förderungschwerpunkte:

"Schaffung, Ausbau und Vereinheitlichung geschlossener Ausbildungslehrgänge im Bereich der betrieblichen Ausbildung (nach Berufsbildungsgesetz) und der staatlich anerkannten Fachschulen."

Eher zurückhaltend fügt der Ausschuß hinzu: "Der Unterstützung bestehender und der Errichtung neuer DV-Bildungszentren (im Sinne des 2. DV-Programms) könnte eine wichtige Rolle zukommen)."

Im Bereich der Fachschulen möchte der Ausschuß zwar jede Akademisierung vermieden wissen, halt aber "einen starken Ausbau der Ausbildungskapazitäten für notwendig". Dabei sei das "Charakteristikum starker Praxisbezogenheit und hoher Qualifikation" zu erhalten.

DV-Zusatzqualifikationen

Im Hochschulbereich Habe sich - so der Ausschuß - das 2. DV-Programm vorwiegend auf die Ausbildung von Hauptfach-Informatikern ausgewirkt. Neue Marschrichtung: "Konzentration auf die anwendungsorientierte Informatik und die Vermittlung von DV-Zusatzqualifikationen für andere Fachrichtungen." Besonderes Augenmerk richteten die Bonner Bildungsberater in ihren Empfehlungen auf die Erhaltung und Erhöhung der Qualifikation des vorhandenen DV-Personals. Sie und die laufende Anpassung an die weitere Entwicklung der DV wird - so der Ausschuß - "für die Zukunft einen steigenden Bedarf an Weiterbildung erzeugen. Das gilt auch für DV-fremde Kräfte mit notwendiger Zusatzqualifikation."

Durch die Entwicklung eines Systems standardisierter, weitgehend einheitlicher Ausbildungsmodule möchte der Ausschuß sichergestellt wissen:

- "Kompatibilität und Kombinierbarkeit der Weiterbildung mit der in geschlossenen Erstausbildungsgängen verschiedenen Niveaus erworbenen Qualifikationen."

- "Zertifizierbarkeit des Erwerbs von Qualifikationen durch erfolgreiche Weiterbildung."

- "Optimale, flexible Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten auch bei Herstellern und Anwendern in einem Transparenten Verbundsystem auf freiwilliger Basis (länderübergreifend)."

Praktiker an die Ausbildungsfront

Den Katalog von Empfehlungen beendet der Ausschuß mit einer Art Schluß-Apotheose: "Die notwendige Integration von DV-Wissen in eine große Zahl von bestehenden Ausbildungsgängen und die Aufnahme von DV-Grundbegriffen in die schulische Allgemeinbildung dürfen nicht an fehlenden personellen und sachlichen Ausbildungskapazitäten scheitern."

Daraus folgert der Ad-hoc-Ausschuß zwangsläufig "einen stark erhöhten Bedarf an DV-Lehrpersonal hoher Qualifikation". Dieser Bedarf - so die Empfehlungen - sei bei den bisherigen Kapazitätsberechnungen nicht ausreichend berücksichtigt worden Bei der Bedarfsdeckung sollte auf erfahrenes, in der Praxis tätiges DV-Personal zurückgegriffen werden.

Ad-hoc-Ausschuß Ausbildung von DV-Fachkräften

Wer steht dahinter?

Die Ad-hoc-Ausschüsse beim Bundesministerium für Forschung und Technologie erhalten problemorientierte Beratungsaufträge oder beraten über komplexe, noch nicht unmittelbar zur Entscheidung anstehende Probleme. Der Ad-hoc-Ausschuß DD.AD. 02 berät das Thema "Ausbildung von DV-Fachkräften". Die Aufgabe besteht in der "Analyse der gegenwärtigen Situation, Fortschreibung der Bedarfsschätzung für DV-Fachkräfte bis 1978. Abgabe von Empfehlungen über in der nächsten Zeit erforderliche Aktivitäten".

Dem im Februar 1973 gegründeten Ausschuß gehören folgende Mitglieder an: Dr. Olaf Abeln, Firma Brown, Boveri & Cie AG, Mannheim; Prof. Wilfried Brauer, Universität Hamburg Werner E. Brender, Fachschule für Datenverarbeitung und Organisation, Böblingen; Dipl.-Ing. Werner Dostal, Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg; Dipl.-Ing. Dieter Dropmann, Siemens AG, München; Dr. Wolfgang Fassbender, DEMAG, Duisburg, Prof. Herbert Fenger, Technische Hochschule Darmstadt; Dr. Clemens Hackl, IBM-Deutschland GmbH, Stuttgart; Prof. Johann Löhn, Fachhochschule Furtwangen; Prof. Burkhart Lutz, Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e. V., München; Hans-Peter Müller, Deutsche Angestellten Gewerkschaft Hamburg; Oberstudienrat Reinhold Neuber, Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung, Berlin, Dr. Heinz Schappert, Bayer AG, Leverkusen Prof. Detlef Schmid, Universität Karlsruhe; Prof. Hans Herbert Schulze ADL-Verband für Informationsverarbeitung. München; Dipl.-Kaufm. Reinhold Stroh, Deutscher Fachverlag GmbH Frankfurt; Dipl.-Volksw. Karl Heinz Voll, Nixdorf-Computer AG, Paderborn; Dipl.-Math. Klaus Wenke, Martin Brinkmann AG, Bremen; Dr. Günther Widdel, ADV/ORGA Unternehmensberatung, Wilhelmshaven.