Gallist regt Gründung eines Anwenderforums an

Anwender üben herbe Kritik an neuer Tarifstruktur der Telekom

10.07.1992

BONN (pg) - Die Telekom macht sich mit ihrer Tarifreform zum 1. August 1992 bei den TK-Anwendern nicht gerade beliebt. Beim Versuch, auf der Jahreshauptversammlung der Anwendervereinigung Deutsche Telecom e.V. für ihre neue Gebührenstruktur - höhere Kosten im Nahbereich, Preissenkungen im Fernbereich - zu werben, hagelte es herbe Kritik von Seiten der TK-Nutzer.

"Bis zur vollständigen Marktorientierung ist noch ein gutes Stück Weges zurückzulegen", gab Dieter Gallist, Mitglied des Vorstands der Telekom und für den Bereich Marketing, Vertrieb, TK-Services so wie Allgemeinen Geschäftsbedingungen verantwortlich, offen vor dem Forum zu und versuchte damit, bei den Teilnehmern Verständnis für die Tarifpolitik der Telekom zu wecken. Gallist rechtfertigte jedoch die ab dem 1. August 1992 gültige neue Gebührenordnung, die eine drastische Anhebung der Tarife für Datenkommunikation im Nachbereich und eine Drosselung der Kosten im Fernbereich bedeutet, mit dem Spannungsfeld zwischen monopolorientierten Aufgaben und marktorientiertem Handeln.

Die Verbraucherpreise, zum Beispiel Tarife für Übertragungswege, so der Telekom-Manager, lägen insgesamt nur soweit über vergleichbaren Marktpreisen, wie es zur Finanzierung des Infrastrukturauftrages und der Pflichtleistungen erforderlich sei. In diesem Punkt erhielt Gallist Rückendeckung von Michael Heringer, Regierungsdirektor im Bundesministerium für Post- und Telekommunikation, der darauf hinwies, daß mit den neuen Tarifen eine stärkere Anpassung der Leistungsentgelte an die zugrundeliegende Kostenstruktur beabsichtigt ist. Mit anderen Worten: Die Telekom soll künftig in den verschiedenen Übertragungsbereichen stärker kostendeckend arbeiten .

Für die Argumentation von Gallist und Heringer, die auch stark die Einnahmeneutralität der Strukturreform für die Telekom betonten, bringen die TK-Anwender jedoch wenig Sympathie auf. Horst Schäfers, Referatsleiter des Bereiches Kommunikationstechnik bei der West-LB in Düsseldorf, warf der Telekom und dem Regulierer Postministerium vor, in der Theorie hehre Worte zu sprechen, während sich in der Praxis für den Anwender nur Nachteile ergäben. "Der Wettbewerb wird von der Telekom als Entschuldigung vorgeschoben", kritisierte Schäfers die neue Gebührenordnung, die bei der West-LB eine Kostensteigerung von 20 Prozent ausmacht und der Landesbank jährlich rund fünf Millionen Mark Mehrkosten bescheren wird.

Noch härter trifft es die Westfälisch-Lippische Sparkassen GmbH, für die Ewald Tünte, Abteilungsleiter System Service der Buchungszentrale, auf der Basis der neuen Tarifstruktur eine Gebührensteigerung um 98 Prozent errechnet hat. Die Westfalen werden künftig statt acht Millionen Mark rund 16 Millionen an die Telekom überweisen müssen. "Ich habe Zweifel, daß es bei der Postreform Gewinner gibt. Mir sind nur Verlierer bekannt", kritisiert der Experte das jüngste Tarifwerk der Bonner - eine Ansicht, die auch Erwin Schäfer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telecom e.V. vertritt.

Frustration herrscht bei den Telekom-Kunden insbesondere deshalb, weil die Reform an ihren Bedürfnissen vorbeigeht. In der Masse, so die überwiegende Meinung der Versammlungsteilnehmer, haben die Kunden Leitungen im Nahbereich geschaltet, eben dort, wo künftig die hohen Kosten auflaufen. Die Einsparungen im Fernbereich so Schäfer, würden die Mehrkosten im Nahbereich aber nicht auffangen .

Zwar gibt das Ministerium zu die Tarife der Telekom seien überhöht, wegen ihrer angespannten Finanzlage aber gerechtfertigt. Die Bonner TK-Provider haben allerdings die Auflage, das Tarifniveau bis 1995 in weiteren Schritten den internationalen Standard anzupassen .

Hartmut Gerhhoff, Fachbereichsleiter AGB bei der Telekom, konnte mit seiner Aussage, im Übertragungsbereich weise die Preistendenz im Prinzip nach unten, den Anwendern trotzdem wenig Mut machen. Nach Ansicht von Telecom-e.V.-Vorstand Schäfer deutet vieles darauf hin, daß die Preisschere zwischen Nah- und Fernbereich noch weiter auseinanderklaffen wird.

Angesichts der Anwenderbeschwerden räumte Gallist ein, daß die Telekom künftig verstärkt in der Diskussion mit dem Anwender nach Preisstrukturen suchen müsse, die den Interessen der Telekom wie auch der Nutzer gerecht würden. Der Telekom-Manager regte deshalb die Gründung eines Anwenderforums an, dem alle Interessengruppen beitreten sollten, um gemeinsam den Dialog mit der Telekom zu führen, für den bis her, so Gallist, in seinem Unternehmen auch noch die Verantwortlichkeit fehle.