Comdex: Objektorientierung zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Anwender tun sich mit Wiederverwendung schwer

09.10.1998

Während die Anbieter in Fantasiewelten schwelgten, zeigten Berater und Anwender die Fallgruben auf dem Weg zu Objektorientierung und Komponenten-basierter Software.

Probleme gebe es nach wie vor beim technischen Grundverständnis, berichtet Jim Arlow, Senior Consultant bei Logon Technology Transfer. So herrsche in vielen IT-Shops noch immer eine Cut-and-paste-Mentalität: "Wenn ein Entwickler einen Teil aus einem Programm kopiert und diesen in zehn anderen Bausteinen in ähnlicher Form wieder einsetzt, hat das noch lange nichts mit Objektorientierung und Wiederverwendung zu tun." Durch diese Vorgehensweise entstünden vielmehr zehn unterschiedliche Versionen, die alle separat zu warten seien. Ziel sollte es jedoch sein, unabhängige Objekte zu erzeugen, die in gleicher Form in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden können.

Für Ulrich Schell, Informatikprofessor an der Fachhochschule Kaiserslautern, ist dies allerdings leichter gesagt als getan: "Gerade die Definition von Objekten oder Komponenten und die Bestimmung der Schnittstellen ist schwierig." Viele Entwickler seien zu sehr mit der Realisierung der technischen Verbindung einzelner Bausteine beschäftigt, als daß sie genau festlegen könnten, was eine bestimmte Komponente inhaltlich leisten soll.

Der Vortrag von Andreas Rösel, Manager des Advanced Software Centers von ABB, unterstrich die Schwierigkeit der IT-Shops, die wirklich nötigen Funktionen aus der Fülle der Anwenderwünsche herauszufiltern. "Heutige Applikationen sind immer noch überfrachtet, und daran hat auch die Objektorientierung nicht viel geändert." Sein Tip: Gut ausgebildete Systemdesigner müssen als Brücke zwischen Fachabteilungen und DV fungieren und realisierbare Bausteine definieren.

Daß die Mehrfachverwertung von Software die Entwicklungszyklen beschleunigen kann, steht außer Frage. Der Preis, den die Unternehmen dafür zahlen, ist aber zunächst hoch: "Die Erstentwicklung wiederverwendbarer Komponenten ist rund dreimal so teuer wie prozedurale Entwicklungen", sagte Logon-Berater Harlow. Die langen Definitionsphasen trieben die Kosten in die Höhe.

Eine Möglichkeit, den Aufwand zu senken, ist Harlow zufolge der Kauf von fertigen Bausteinen. Die Gefahr dabei sei jedoch, daß der Anbieter dieser Komponenten vom Markt verschwindet.

Thomas Jell, OO-Spezialist bei Siemens, warnte ausdrücklich vor dem Kauf von Fertigbausteinen: "Man bekommt zwar etwas, weiß aber nicht genau, was dieser Baustein kann und vor allem kennt man die Qualität nicht", sagt er. Eigenschaften und die Korrektheit der Datenbeschreibungen würden von den Anbietern nämlich nicht garantiert.

Die schöne neue, von den Marketiers der Anbieter skizzierte Welt, in der Anwender ähnlich wie bei dem Datenbus eines PCs mit Hilfe universeller Steckverbindungen bestehende und neue Applikationen, einzelne Komponenten oder auch nur Objekte verbinden können, wird wohl noch einige Jahre auf sich warten lassen.

Comdex Produkt-Highlights

Attachemate - Der Anbieter von Host-Access-Lösungen zeigte "Attachmate e-Vantage". Die Software erlaubt den Zugriff auf 3270-, 5250-Systeme sowie auf Unix-Rechner. Dazu können PC-Clients oder jetzt auch Browser-Techniken verwendet werden. Neben dem Zugriff können Unternehmen damit kontrollieren, welche Benutzer Zugang zu Systemen, Daten und Applikationen haben sollen. Die Anwender können überdies mit aktuellen Software-Versionen versorgt werden.

Intersystems - Anwender, die ihre relationalen Applikationen in die objektorientierte Welt bringen möchten, können auf die postrelationale Datenbank "Caché 3.1" zurückgreifen. Die bei Caché eingesetzte "Unified Data Architecture" ermöglicht es Entwicklern, Daten auf Basis einer einzigen Definition sowohl als Objektklassen als auch als SQL-Tabellen zu verwenden. Über die "Object Server" für Active X und Java sollen sich neue Module mit Java, C++, Visual Basic und anderen objektorientierten Werkzeugen erstellen lassen.

Software AG - Mittels des neuen "Entire X Managers" sollen sich DCOM- und Broker-basierte Komponenten auf heterogenen Plattformen verwalten lassen. "Entire X" ist die Middleware-Lösung der SAG. Damit wird der für die Windows-Welt entwickelte DCOM-Standard für andere Plattformen kompatibel. Informationen über die im Netz ablaufenden Prozesse, deren Status und die Versionsstände von Software können mit der neuen Management-Konsole überwacht werden.

Rational - Zum Performance-Test von Web-Anwendungen, Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systemen und mehrstufigen Lösungen steht nun Rationals "Performance Studio" zur Verfügung. Es umfaßt die Techniken "Aufzeichnen der Testdaten", "Simulieren von Testfällen", "Modellieren eines Mehrbenutzerbetriebs" und "Analysieren der Tests".