Anwender stellen Token-Ring als PC-Netzlösung in Frage

22.11.1985

Die Mehrzahl der User scheint nach der Token-Ring-Ankündigung der IBM erst einmal verunsichert zu sein. Das gilt vor allem für solche Anwender, die bereits konkrete Überlegungen angestellt haben, ob und - wenn ja - welches Netz in die engere Wahl genommen werden soll. So ändert sich nach dem Announcement für Kurt Homm vom

Bayerischen Rundfunk nichts in bezug auf die Netzwerkplanung in seinem Unternehmen. Derzeit erscheint ihm eine Token-Ring-Lösung für Mikrocomputer fraglich. So gut wie keine Gründe, die eine weitreichende Investitionsentscheidung für die Token-Ring-Lösung rechtfertigen würden, sieht Bernd Falke, Netzwerkplaner bei der BEB in Hannover. Auch Dieter Steinle, Geschäftsführender Gesellschafter der Tele-Consulting GmbH in Gäufelden, vertritt die Auffassung, daß trotz der IBM-Ankündigung nach wie vor mehr Fragen offenbleiben, als beantwortet wurden.

Dieter Steinle Geschäftsführender Gesellschafter der Tele-Consulting GmbH, Gäufelden

Die IBM ist sich wieder einmal treu geblieben. Nur gut ein Jahr nach der Absichtserklärung im September 1984 lüftet sie den Schleier über die nächste Stufe der Bürokommunikation a la IBM auf der Basis des sogenannten "Token-Ring-Netzwerks " .

Wenngleich Announcement und Verfügbarkeit (drittes Quartal 1986) wiederum reichlich auseinanderklaffen ist die Kenntnis über den nächsten Schritt der IBM im Bereich der Inhouse-Kommunikation im Interesse einer größeren Planungssicherheit der Benutzer zu begrüßen.

Nach der Markteinführung des IBM-Kabelsystems hebt sich mit der Ankündigung des Token-Ring-Netzwerkes sozusagen die nächste Schicht des Eisbergs. Bei näherer Betrachtung der Wirklichkeiten des IBM-Token-Ring-Netzwerks, insbesondere hinsichtlich seiner Nutzungsmöglichkeiten, bleibt jedoch unklar, ob der Benutzer sich hierbei kalte Füße holt oder endlich festen Boden unter seine Füße bekommt. Für die Implementierung des Token-Ring-Netzwerks auf der Basis einer physischen Stern-Verkabelung sprechen hinsichtlich Verfügbarkeit und Konfigurierbarkeit durchaus gewichtige Gründe. Auch das Performance-Verhalten des Netzwerks wird durch die Anwendung des Token-Passing-Protokolls auch zeitkritischen Anwendungsprozessen gerecht. Zum heutigen Zeitpunkt ist aber noch die Frage erlaubt, ob angesichts des Aufwands die Art der gewählten Verkabelungstechnik gerechtfertigt ist und ob die Basisband-Ring-Technologie den langfristigen Anforderungen nach Mischkommunikation und Unterstützung grafischer Verarbeitung gerecht wird.

Das Announcement bleibt die Antwort auf viele Fragen schuldig, so zum Beispiel:

- Wie sieht die IBM den Verbund ihres lokalen Netzes mit einer Inhouse-lSDN-Umgebung?

- Wie sieht die langfristige Einbettung des Token-Ring-Netzwerkes in SNA aus?

- Wie ist die Integration beziehungsweise Substitution der 3270-Umgebung in dieses lokale Netzwerk vorgesehen?

Insbesondere der letztgenannte Gesichtspunkt dürfte in Zukunft für manches Problem sorgen, da eine Host-abhängige Steuerung von Workstations sich nicht mit dem

Charakter eines lokalen Netzes verträgt.

Als Fazit muß festgehalten werden, daß durch die Ankündigung mehr Fragen offenbleiben, als hierdurch gelöst wurden. Außerdem gilt die Offenheit der IBM für heterogene Systemlösungen im Bereich der Industrie-Automation auf der Basis von MAP offensichtlich nicht im selben Maße für den Bereich Bürokommunikation. Hier versucht die IBM auf der Basis des Kabelsystems und Token-Ring-Netzwerkes sowie mit DIA/DCA, Fakten zu schaffen, durch die bei partieller Offenheit gegenüber Nicht-lBM-Geräten der Kunde unter der Kontrolle des Marktführers bleiben soll.

Kurt Homm Leiter Nachrichtenaufnahme Bayer. Rundfunk, München

Kaum ist IBMs Ankündigung über das bereits lange erwartete Token-Netz da, fühlt der abwartende Beobachter sich an einen Hühnerstall erinnert: großes Gegackere! Bleiben nun alle anderen Netze auf der Strecke?

Der Bayerische Rundfunk hat sich vor etwa zwei Jahren Gedanken über den Einsatz von "EDV-Leistung" in seinen Redaktionsstuben gemacht.

In einer hausinternen Studie wurde erarbeitet, daß der Einsatz von Abteilungsrechnern mit Rundfunk-spezifischer Software - Stichworte: Textverarbeitung mit ausführlichen Redigierhilfen und Volltextdatenbank mit Volltextrecherchen - am sinnvollsten erscheint, und auch aus Sicherheitsgründen einem zentralen Rechnersystem vorzuziehen ist. Voraussetzung für eine übergreifende Kommunikation soll ein Netzwerk sein.

Die Vorgehensweise in Schritten (Software, Rechner, Netz) bringt mit sich, daß die Netzwerkfrage am Ende liegt. Das jetzige Angebot an Netzwerken ist recht vielfältig. Es stellt sich die Frage, ob die IBM-Token-Ankündigung im Interesse der Anwender eine Bereinigung bringen kann So, wie sich der IBM-Token-Ring im Moment als PC-Lösung präsentiert, ist das zumindest fraglich. Grundsätzlich muß sich jeder Anwender erst einmal entscheiden, ob er auf der Basisband-Technologie bleibt, der auch der Token-Ring angehört, oder ob eine Breitband-Lösung sinnvoller ist.

Auch die Leistungen des Netzes sind unter den Anwendungsbedingungen zu prüfen. Die IBM-Token-Ring-Lösung zählt mit Sicherheit nicht zu den leistungsfähigsten. Die alleinige Unterstützung des PC reicht für eine Anwendung wie beim Bayerischen Rundfunk sicher nicht aus - sieht doch das Konzept des BR im Endausbau eine Vernetzung von etwa acht bis zehn Rechnern, zumindest der Superminiklasse, vor. Ob dafür die Übertragungsrate von 4 Megabit pro Sekunde ausreicht, ist fraglich. Zumindest in diesem Punkt ist es dem auf dem Markt befindlichen Ethernet mit zehn Megabit pro Sekunde eindeutig unterlegen. Und ob Ring-Netze den Bus-Netzen in puncto Sicherheit überlegen sind, ist umstritten.

Die Frage, ob sich die Netzwerk-Planung des Bayerischen Rundfunks durch die IBM-Ankündigung ändern wird, kann daher eindeutig mit "Nein" beantwortet werden. Ein Grund sind die bereits erwähnten zeitlichen Staffelungen, aber auch die Überlegung, daß das Netzwerk schlechthin noch nicht gefunden ist, das eine Planungssicherheit für längerfristige Anwendungen gibt.

Bernd Falke Netzwerkplaner, BEB Gewerkschaften Brigitta und Elwerath Betriebsführungsgesellschaft mbH, Hannover

Bei BEB wird am Aufbau eines integrierten Kommunikationssystems gearbeitet, in dem alle zentralen und dezentralen Ressourcen zu einem Verbundsystem zusammengefaßt sind. Dieses Kommunikationssystem soll den technisch-wissenschaftlichen Anforderungen der Fachbereiche, die sich mit dem Auffinden, Produzieren und Transportieren von Erdöl und Erdgas befassen, einerseits Rechnung tragen, andererseits aber die enge Verflechtung dieser Aktivitäten mit den kommerziellen Aspekten der Vermarktung, Abrechnung und Finanzierung berücksichtigen.

Das Kommunikationssystem umfaßt ein SNA-Netz, in das DEC-VAX-Systeme über ein Gateway integriert sind. Innerhalb der Hauptverwaltung sind die VAX-Rechner durch Ethernet verbunden, in das ein Tape-Server und der Gateway-Server eingebunden sind. An einem Konzept, alle Inhouse-Ressourcen über eine geeignete LAN-Struktur zu verbinden, wird gerade gearbeitet. Dabei werden die Fachbereiche über einen Netzwerkarbeitskreis im Vorfeld in die Planungen miteinbezogen, um alle Anforderungen frühzeitig erkennen und koordinieren zu können. Ein Schwerpunkt ist dabei, die Kopplung von Host-Systemen und Personal Computern effektiv und zukunftssicher zu lösen.

Das Announcement der IBM mittels eines Token-Ring-LAN die PCs zu vernetzen, hat insofern Planungssicherheit geschaffen, als die Integrations richtung deutlich geworden ist. Gleichzeitig aber bedeutet der Zeitrahmen der Verfügbarkeit, daß die Anwender, die heute den PC in die Host-Welt integrieren wollen, nach wie vor andere Wege gehen müssen. Zumal die Anbindung des Token-LAN an den Host wie die Einbindung der Bildschirme nicht Gegenstand der Ankündigung waren und somit zwar Anhaltspunkte für Vermutungen gegeben sind, aber so gut wie keine Fakten, die heute eine weitreichende Investitionsentscheidung rechtfertigen würden.

Sicher: Plant man ein Bürokommunikationssystem, so ist der IBM PC durch dieses Announcement ein besser berechenbarer Faktor geworden. Und ohne Zweifel ist zu erwarten, daß das Token-Prinzip für die Ebenen 1 und 2 eines LAN Marktstandard wird, an den sich viele Hersteller zumindest im Sinne einer Gateway-Lösung - anpassen werden. Eine Straffung des LAN-Marktes wird ebenfalls eintreten kurzatmige Konzepte werden nicht überleben.

Aber für Integrationsprobleme, die ein Anwender mit stark dezentralisierten Ressourcen insbesondere in einem technisch-wissenschaftlichen Environment hat und die heute gelöst werden müssen, bietet das Announcement nur geringe Anhaltspunkte. Die zu transferierenden Datenmengen sind zu umfangreich und der von IBM anvisierte Zeitrahmen der Integration in das SNA-Konzept ist zu lang, als daß andere Lösungen überflüssig würden.

So werden gut durchdachte Konzepte anderer Hersteller nach wie vor ihren Markt haben, wenn auch diejenigen, die für das Netzwerk-Design eines Anwenders verantwortlich zeichnen, eher mit Umsicht den Ausbau ihrer LAN-Planungen vorantreiben werden. Aber das ist nach der Kompatibilitäts-Euphorie, die den Markteinzug der LANs begleitete, eher zu begrüßen.