Anwender sehen 4GL-Tools positiv - mit Abstrichen

19.01.1990

MÜNCHEN (CW) -"Ressourcenfresser", aber in der Anwendungsentwicklung durchaus produktiv - so das Fazit einer Anwenderumfrage der COMPUTER WOCHE zum Thema Sprachen der vierten Generation. Als zentrales Problem tauchte wiederholt der hohe CPU- und Plattenverbrauch von 4GL-Systemen auf. Kritisch beurteilt wurde auch die Herstellerabhängigkeit, in die sich 4GL-Anwender zwangsweise begeben. Außerdem scheinen für die Programmierung von Großanwendungen nicht alle 4GL-Sprachen

gleichermaßen tauglich zu sein. Erstaunlich ist, wie viele der Befragten bisher

noch keinerlei Erfahrungen mit 4GL-Werkzeugen gemacht haben. Die

CW-Fragen lauteten: "Setzen Sie Sprachen der vierten Generation ein?

Sind Schwierigkeiten, insbesondere in den Bereichen Ressourcen, Ausbildung

und Herstellerabhängigkeit aufgetreten?"

Udo Hey, DV-Leiter bei der Staff GmbH & Co. KG, Lemgo.

Neuentwicklungen entstehen bei uns ausschließlich mit Natural. Wir sind schon vor Jahren in diese 4GL-Sprache eingestiegen und hatten es damals leichter als diejenigen, die heute in die neueste Version einsteigen wollen. Vieles konnte im Selbststudium und einer kurzen anschließenden Nachschulung erlernt werden.

Natürlich ist der Anwender - wie so oft in der Datenverarbeitung - auf den Hersteller angewiesen. Wichtig ist jedoch, sich zu überlegen, von welchem Unternehmen man abhängig sein möchte. 4GL-Produkte sollten in jedem Fall unabhängig von der Hardware sein.

Hauptspeicher- und Plattenbedarf vergrößern sich, wenn man 4GL-Produkte einsetzt, aber Komfort muß immer bezahlt werden. Wir als mittelständisches Unternehmen haben mit der Hardware sowieso keine Probleme, weil wir auf Secondhand-Produkte setzen.

Für uns ist es sinnvoller, mit Sprachen der vierten Generation zu arbeiten und entsprechende Investitionen für Arbeitsspeicher vorzunehmen, als ein Heer von Programmierern einzusetzen, die mit herkömmlichen Programmiersprachen arbeiten.

Erwin Schmiedt, Ressortleiter der Programmierung bei der Überlandwerk Nord-Hannover AG, Bremen.

Wir sind hundertprozentige Adabas- und Online-Natural-Anwender. Werkstudenten oder Praktikanten, die geringfügige oder gar keine Programmiererfahrung haben, finden den Einstieg in die Programmierung am leichtesten mit Natural. Die Einarbeitung in Cobol oder

PL/1 hätte bei derart kurzen Beschäftigungszeiten keinen Sinn.

Unsere 4GL-Experten sind bei uns deshalb sehr erfolgreich, weil sie den Fachabteilungen binnen kürzester Frist brauchbare und komfortable Online-Lösungen bieten können.

Bis ein Anfänger in Cobol oder PL/1 ein echter Experte ist, können Jahre vergehen. Probleme gibt es weniger, wenn Cobol- oder PL/1 -Experten in Natural einsteigen wollen, als wenn umgekehrt Kenner der 4GL-Systeme in die traditionellen Sprachen einsteigen sollen.

Herstellerabhängigkeit bedeutet immer ein gewisses Risiko. Wir haben uns frühzeitig für die Software AG entschieden und haben das Glück, daß das deutsche Softwarehaus heute zu einem der wenigen erfolgreichen europäischen Großanbieter zählt.

Extra-Investitionen in CPU- oder Plattenkapazität sind bei uns durch die neuen 4GL-Systeme nicht nötig geworden. Natürlich ist der CPU-Bedarf groß, doch wenn die Größenordnung der Hardwareplattform stimmt, ist die Performance mit den Puffermöglichkeiten von Natural kein Problem. Durch den Einsatz von Adabas benötigen wir weniger Plattenkapazität als unter VSAM. Wir arbeiten unter DOS/VSE und haben keine Platzprobleme, was die virtuelle Speicherkapazität angeht.

Kerl-Heinz Schneider, Bereichsleiter Organisation und Datenverarbeitung bei der Hottinger Baldwin Meßtechnik GmbH, Darmstadt

Sprachen der vierten Generation sind viel komfortabler als herkömmliche Programmiersprachen. In den letzten Jahren haben wir über 2000 zum Teil sehr komplexe Programme geschrieben - das wäre in einer Cobol-Umgebung völlig unmöglich gewesen. Wir sind mit der Realisierung von Projekten und der Prototyp-Erstellung weitaus schneller als mit Sprachen der dritten Generation.

Von den bei uns ausgeführten Programmierarbeiten sind mehr als neunzig Prozent in Natural geschrieben. Mit dieser 4GL-Sprache haben wir ein komplettes PPS-System sowie ein Ein- und Verkaufssystem geschrieben. Außerdem wird ein Betriebsdatenerfassungssystem dazukommen.

Längere Ausbildungszeiten waren nicht erforderlich. Nach einer vierzehntägigen Schulung waren unsere Mitarbeiter in der Lage, sich selbst zu helfen. Um einen tieferen Zugang zu der 4GL-Sprache zu finden ist allerdings ein längerer Lernprozeß nötig. Am Anfang haben wir zum Beispiel das Definieren von Deskriptoren viel zu weit getrieben, weil wir den Anweisungen der Software-AG blind gefolgt sind. Wenn man große Datenbestände hat, wie wir, dann tut einem jeder Deskriptor, der nicht unbedingt gebraucht wird, weh.

Wir arbeiten in einer DEC/VAX-Umgebung und haben mit der Speicherkapazität keinerlei Probleme. Wenn man natürlich mit drei Megabyte herkommt, ist mit 4GL-Systemen kein Blumentopf zu gewinnen.

Wenn die Software AG bestimmte Features nicht anbietet, können wir sie auch nicht einsetzen. So mußten wir zum Beispiel lange auf ein Grafik-Tool warten. Herstellerabhängigkeit ist also ein Problem. Heute würden wir uns für logisch verteilte Datenbanken interessieren: Wir möchten Transaktionen aufteilen können, so daß wir unsere Dateien irgendwo im Netz ablegen können. Wenn wir gänzlich herstellerunabhängig sein wollten, dann dürften wir ausschließlich Cobol oder Fortran einsetzen.

Folgender Anwender zog es vor, ungenannt zu bleiben. Name und Anschrift sind der Redaktion bekannt. Wir setzen das 4GL-Produkt "Linc" auf unserer Unisys-Anlage ein. Gegenüber Cobol wurde uns eine Effizienzsteigerung von eins zu zehn in Aussicht gestellt - die leider nie eingetroffen ist. Außerdem hat sich gezeigt, daß die Sprache für Großanwendungen völlig ungeeignet ist. Linc ist bei Unisys noch immer ein strategisches Produkt, doch wir als Anwender sind damit Oberhaupt nicht zufrieden.

Bernd Ruhle, verantwortlich für Kommunikation und Information bei der Union Transport in Düsseldorf.

Wir setzen operative Systeme mit Standardsoftware ein und ergänzen diese Umgebung mit den 4GL-Komponenten Natural, Predict und Adabas. Unsere Mitarbeiter können sich dadurch die Informationen, die sie gerade benötigen, selbst aus den Datenbanken generieren.

Der Einstieg in Sprachen der vierten Generation ist für Anwender mit Programmiererfahrung keine Schwierigkeit - weder am PC noch am Großrechner. Wichtig ist, sich vorher zu überlegen, wer diese Sprachen benutzen soll. Mitarbeiter, die nur einmal im Jahr am Bildschirm sitzen, werden natürlich ihre Schwierigkeiten haben, ein Programm zu stricken.

Sprachen der vierten Generation sind echte Ressourcenfresser, aber das ist der D-Zug-Zuschlag, den man gerne zahlt, wenn einem dafür schnelle Lösungen geboten werden. Wer Leistung will, kommt um Investitionen in Hauptspeicher und Platten nicht herum.

Horst-Dieter Schmitt, Leiter des Benutzerservice bei der DAS in München.

Sie unterstellen mir, daß ich sehr fortschrittlich bin! Sprachen der vierten Generation sind für uns noch kein Thema. Wir beschäftigen uns seit eineinhalb Jahren mit dem Einsatz von PCs - das kann bei einer traditionell zentralistischen Datenverarbeitung durchaus zu einem Problem werden.

Wir beobachten zwar die Entwicklung, doch trimmen wir unsere Mitarbeiter zunächst nur auf Standardprogramme. Der Einsatz von 4GL-Systemen setzt Spezialisten voraus. Vielleicht würden wir in diesen Bereich investieren, wenn wir über das

reine Versicherungsgeschäft hinaus Datenverarbeitung betreiben müßten.

Gerhard Steinke, DV-Leiter bei der Nike International Ltd., Weiterstadt.

Wir arbeiten noch nicht mit Sprachen der vierten Generation, da uns der Aufwand zu groß ist. Der Source-Code würde so umfangreich, daß unsere Kapazitäten gesprengt würden. In Zukunft, wenn die Hardware keine so große Rolle mehr spielt, wird das Thema sicher auch für uns relevant.