Anwender schrecken vor dem Einsatz komplexer Verbindungssoftware zurück:\Mehr als Bitschaufelei ist nicht gefragt

10.05.1985

"Bits hin und her schieben ist heute kein Problem mehr", resümiert Lutz Martiny von der Schering AG in Berlin, "die Schwierigkeit ist, Anwendungen auf dem Host und dem Mikrocomputer miteinander kommunizieren zu lassen." Genau diese "Bitschaufelei" reicht aber der Mehrzahl der DV-Anwender. Sie beschränken sich bei der Mikro-Mainframe-Kommunikation auf Terminal-Emulatoren á la Irma oder Pcox.

In diesem Punkt unterscheiden sich die bundesdeutschen DV-Manager allerdings nicht viel von ihren sonst experimentierfreudigeren amerikanischen Kollegen. So ermittelte das US-Fachblatt Datamation, daß von nahezu 650 befragten Anwendern nur gut ein Viertel bestätigten, Mikro-/Mainframe-Verbindungen zu benutzen. Beim Einsatz komplexerer Verbindungssoftware sinkt der Prozentsatz sogar auf 20 Prozent. Zum einen machten viele DV-Verantwortliche die Erfahrung, daß mancher Anbieter mehr versprach, als er bei näherem Hinsehen halten konnte. Die Werbung verschweige die noch vorhandenen technischen Limitierungen, die organisatorischen Probleme und die oft ungenügende Reife der angepriesenen Produkte.

Qualitative Ansprüche sind nicht hoch

Andererseits ist das Leistungspotential der Programmpakete in fast allen Fällen höher als die qualitativen Ansprüche der Anwender an die Software. Den DV-Leitern geht es nämlich fast ausschließlich um den einfachen Filetransfer vom Host auf den Mikrocomputer. Viele Anwender haben offensichtlich noch nicht gelernt, ihre Anforderungen exakt zu definieren und "wursteln" dementsprechend alleine vor sich hin.

Deswegen verhalten sich die Datenverarbeiter in puncto MML(Mikro-Mainframe-Link)-Produkte zurückhaltend: Man beschäftigt sich zwar mit dem Problem, wartet aber lieber auf die Erfahrungen der Kollegen und harrt geduldig aus, was sich bei Big Blue in dieser Hinsicht tun wird. Reagieren statt agieren scheint die Devise.

Schließlich ist der Mehrzahl der DV-Manager auch bewußt, welche organisatorischen Auswirkungen die Anbindung der Mikrocomputer an den Großrechner nach sich ziehen wird. Ohne Benutzerservicezentrum seitens der DV, so die Meinung der Experten, wird der Anwender mit seinem MML-Produkt sehr schnell überfordert sein.

Benutzerservice ist notwendig

Die Einführung eines organisatorischen Konzeptes vor Anbindung der Mikrocomputer an die IBM Großrechner 3084 und 3081 sieht Hans Peter Schmidt, Leiter DV-Planung/ Services bei MBB in Hamburg denn auch als Grund, daß der Filetransfer in seinem Unternehmen relativ problemlos über die Bühne ging. Der Hamburger DV-Leiter zurückblickend: "Auch bei den Endbenutzern ohne DV-Erfahrung funktionierte es auf Anhieb, da ihnen unser Benutzerservicezentrum mit Rat und Tat zur Seite stand." Bei MBB sind 40 Mikrocomputer im Einsatz, von denen 90 Prozent mit der Pcox-, der Rest mit der Irma-Karte ausgerüstet sind. Beide Produkte bieten nach Meinung von Branchenkennern Basisunterstützung für den Einsatz des Mikros bei Hostanschluß:

- Terminalemulation als 3278- oder 3279-(Farbgrafik-) Terminal

- Filetransfer von und zu einer Standardumgebung am Host

- Programmschnittstelle zum Einbinden des Mikros in beliebige Dialoganwendungen

In der Praxis zeigen sich beim Einsatz der Karten indes einige Unterschiede. So erklärt der Hamburger DV-Profi: "Vor allem hat Pcox eine schnellere Übertragungsrate." Dabei sei gerade die Übertragungsgeschwindigkeit das Problem, denn es ließen sich nur relativ kleine Dateien in einer vertretbaren Zeit transferieren. Allerdings hätten sich die Benutzer mit diesem Mangel-Zustand abgefunden und kämen auch mit schon sehr gut vorselektierten Extrakten aus. Dabei würde ihnen, so der Hamburger, das Softwarepaket Focus helfen.

Der überwiegende Teil des Datentransfers besteht bei MBB in der Einbahnstraße Host - Mikro. Wollen allerdings die Anwender ihre Daten untereinander austauschen, so übermitteln sie diese auf den Großrechner und stellen sie somit anderen Usern zur Verfügung.

"Unser Problem war", beanstandet Hans Peter Schmidt, "bei der Einführung wirkliche Unterstützung von den Anbietern oder entsprechenden Softwarehäusern zu erhalten. So tauchten beispielsweise Schwierigkeiten auf, als in dem MBB-Rechenzentrum in Bremen die Pcox-Karte lief, im Hamburger Rechenzentrum die Übertragung dagegen nach kurzer Zeit abbrach. Der Hamburger DV-Profi kritisch: "Es war damals aussichtslos, für dieses Problem einen kompetenten Ansprechpartner zu finden. Da das gesamte Mikro-Zubehör aus den USA kommt, ist der nötige Support nicht vorhanden." Es habe Monate gedauert, bis die MBB-Leute endlich einen amerikanischen DV-Spezialisten zu fassen bekamen, der weiterhelfen konnte. Bis dahin mußten sie ihre Arbeit immer wieder unterbrechen und selbst "rumbasteln". Laut Schmidt bezogen sich diese Schwierigkeiten beim Hamburger RZ jedoch nur auf den Filetransfer. Die 3270-Emulation verlief dagegen reibungslos.

Auch Herbert Dressler, Systemanalytiker bei der Bauaktiengesellschaft Bilfinger + Berger ist im großen und ganzen mit dem Einsatz der Irma- und Pcox-Karten zufrieden. Der Mannheimer: "Wir haben beide Karten ausprobiert, derzeit verwenden wir jedoch nur Irma". Im normalen Dialogverkehr liefen, berichtet der DV-Profi, beide zufriedenstellend, auch der Datentransfer vom IBM-Großrechner auf den Mikro klappte. Dagegen hatte Dressler große Probleme bei der Datenübertragung vom Mikro auf den Host. Diese lief nach seiner Aussage mit Pcox überhaupt nicht, während sich mit der Irma-Karte wenigstens ab und zu gute Ergebnisse einstellten. Vor allem in Spitzenbelastungszeiten brach der Datentransfer immer wieder zusammen. Ein Problem, mit dem der DV-Profi jedoch leben kann, da die Übermittlung Mikro - Host die Ausnahme ist.

Datentransfer Host-Mikro bevorzugt

Der Mannheimer Systemanalytiker steht mit dieser einbahnigen Bitschaufelei nicht alleine da. Aus dem Erfahrungsaustausch mit Kollegen anderer Unternehmen weiß er, daß diese noch nie versucht haben, Daten in beide Richtungen fließen zu lassen.

Ansonsten wartet Dressler erst einmal ab, was IBM in dieser Richtung noch ankündigen wird. Zudem sei der preisliche Anreiz für den Kauf der Irma-Karte auch nicht besonders groß. Mit 3000 Mark koste die Karte fast soviel wie ein Standalone-Bildschirm .

Anonym bleiben möchte der DV-Leiter eines Werkes der papierverarbeitenden Industrie in Bayern, der vor dem Einsatz von Kommunikationssoftware drei Produkte unter die Lupe nahm. Auf den Prüfstand kamen "Petra" von CS Controlling Software GmbH, Hamburg, "Siros" von Ton Beller, Bensheim, und Micro/Answer von Informatics General (Deutschland) GmbH, Düsseldorf. Rund 23 Prüfkriterien mußten die Produkte durchlaufen.

An die Spitze setzte sich bei diesen Tests das System Micro/Answer. Dieses Produkt wird demzufolge in dem bayerischen Unternehmen eingesetzt werden.

Ebenfalls gute Noten erhielt Siros. Die Software sei, so der Prüfbericht, durchaus empfehlenswert für Unternehmen, in denen ein Benutzerservicezentrum zur Verfügung steht.

Software auf dem Prüfstand

Am schlechtesten schnitt Petra bei der Beurteilung ab. Bei diesem System hatten die "Prüfer" das Gefühl, es sei noch nicht richtig ausgetestet. Sowohl beim Datentransfer vom Host zum Mikro als auch vom Mikro zum Großrechner hätte es große Schwierigkeiten gegeben. Es sei einfach nicht möglich gewesen, die Daten vom Mikro zum Host zu transferieren, da das System immer wieder "ausstieg". Als weitere Schwäche dieses Programms wurde festgestellt, daß sich keine sequentielle Datei ansprechen ließ.

Unzufrieden waren die DV-Profis auch beim Anlegen neuer Datensätze. "CICS mußte jedesmal erst runter und dann wieder hochgefahren werden".

Zu den untersuchten Kriteriengehörten unter anderem die Benutzeroberfläche, Systembetreuung getrennt nach Host und Mikro, Anwendungsbetreuung, Funktionen der Abfragesprache, Datenschutz, Dateizugriff, Download, Upload.

Während Petra bei den Anschaffungskosten am besten abschnitt, erhielt Siros bei den Funktionen der Abfragesprache sowie bei Dateizugriff die besten Noten. Insgesamt konnte aber das System Micro/Answer die meisten Pluspunkte auf sein Konto verbuchen.

Der bayerische DV-Leiter nach der Untersuchung: "Eine Software, zusammengesetzt aus diesen drei Programmen, wäre optimal."

Dezentral-orientierte PPS-Systeme

Ein PPS-System, das dieser Entwicklung Rechnung trägt, besteht dann aus mehreren dezentralen kleineren Steuerungssystemen, die von einem übergeordneten PPS-System nur noch koordinierend gesteuert werden. Die Koordinaten der Inseln kann dennoch DV-technisch erhebliche Probleme bereiten.

Am Beispiel der Materialwirtschaft wurde in den Bereichen Disposition und Einkauf eine Abgrenzung nach Teilegruppen vorgenommen. Das heißt, daß einem Disponenten eine ganz bestimmte Teilegruppe für die Bearbeitung auf seinem Mikrocomputer zur Verfügung gestellt wurde und er diese dezentral bearbeiten konnte. Bezüglich der PPS-Planungs(....)en Kapazitätsplanung, Auftragsfreigabe, Fertigungssteuerung und Betriebsdatenerfassung ist das Gliederungskriterium die Betriebsmittelgruppe, also gedanklich eine Fertigungsinsel, ein Bearbeitungszentrum oder eine sonst organisatorisch isolierbare Anlagengruppe.

Obwohl die Funktionen weiterhin als integraler Bestandteil eines PPS-Systems angesehen werden, sind sie insoweit dezentralisiert, daß die Dispositionsfähigkeit auf den ausgelagerten Aufgabenausschnitt beschränkt ist. Es wird somit davon ausgegangen, daß Koordinationsfunktionen von einem übergeordneten System vorgenommen werden - selbstverständlich muß dies dann mit den einzelnen Mikrocomputern vernetzt sein. Innerhalb der Bewertung zeigt sich, daß der Einsatz von Mikrocomputern mittlerweile in breitem Umfang in PPS-Systemen möglich ist. Es werden dabei vor allen Dingen die Organisationsvorteile sowie die höhere Verfügbarkeit aus Benutzersicht als Maßstab der Bewertung herangezogen.

Als Ergebnis dieser Untersuchungen ist festzustellen, daß Mikrocomputer in Systemen zur Produktionsplanung und -steuerung bei der gegenwärtigen zentral-orientierten Struktur lediglich in Zusatzfunktionen erfolgreich eingesetzt werden können. Durch die fortschreitende Ausnutzung der Vorteile neuer Organisationsformen, die ohnehin zu kleineren Regelkreisen und einer höheren Dezentralisierung drängen, eröffnen sich aber für den Mikrocomputer weitreichende Anwendungschancen.

Zunächst werden noch neue Hardware-Systeme mit "veralteten" Anwendungssystemen betrieben. Dieses kennzeichnet auch die gegenwärtige Situation: Die Hardware ist mehr und mehr dezentral ausgerichtet, während die wichtigsten Anwendungssysteme zentral orientiert sind. Die effiziente Nutzung eines DV-Systems erfordert aber die Abstimmung zwischen Hardware- und Softwareeigenschaften. Dazu ist gegenwärtig die Neukonzeption der Anwendungssoftware unter Einbeziehung der Mikrocomputer erforderlich.

(Auszug aus den Veröffentlichungen des Instituts für Wirtschaftsinformatik, 6600 Saarbrücken, Informationsschrift Nr. 48 vom April 1985 "Kriterien für die Aufgabenverteilung in Mikro-Mainframe-Anwendungssystemen" von Prof. Dr. A.-W. Scheer. Diese Veröffentlichung enthält auch eine ausführliche Literaturliste.