High-speed-Anschluß zum Billigtarif

Anwender profitieren von Diensten im City-Netz

12.07.1996

Der Nabel des deutschen TK-Wettbewerbs liegt in Frankfurt am Main. Im Eldorado der Banken, Versicherer und anderer Großkonzerne haben sich zwei private Carrier - MFS und Colt Telecom - ins bis dato gemachte Nest der Telekom eingenistet. Die Folgen sind frappierend. Um bis zu 90 Prozent fielen die Preise der Telekom für vergleichbare Dienste laut Horst Enzelmüller, Geschäftsführer der Colt Telecom GmbH. "Es geht fast zu wie auf dem Basar", kommentierte der Colt-Chef kürzlich den Preiskampf zwischen den drei Rivalen.

Wenn sich drei streiten, freut sich der Anwender - zum Beispiel die Dresdner Bank. Die Banker hatten, wie IT-Abteilungsdirektor Rainer Ortwein einräumt, mit jedem der drei Anbieter verhandelt und sitzen nun seit Juni 1996 im Boot von Colt Telecom. Der Zuschlag ging laut Ortwein unter anderem an den Privaten, weil die Vertreter der Telekom zu unflexibel waren und sich während der Gespräche mehrfach in Bonn rückversichern mußten.

"Bei Colt und MFS sieht man, wo sie buddeln und ihre Leitungen verlegen", nennt der IT-Manager ein weiteres Plus der alternativen Carrier und fügt mit einem Schuß Mißtrauen hinzu: "Kunden wissen bei der Telekom nie so genau, welche Verbindung wo geschaltet wird." Tatsächlich ist ein wesentliches Merkmal der frischgebackenen City-Networker, daß sie hinsichtlich der Infrastruktur und Services weitgehend autark sind. MFS und Colt betreiben in Downtown Mainhattan jeweils eigene, sogenannte selbstheilende Netze auf Basis der Technologie Synchronous Digital Hierarchy (SDH). Diese Metropolitan Area Networks (MANs) bestehen aus Monomode-Glasfaserkabeln bis hin zum Endkunden und sind ringförmig konzipiert. Dadurch sollen ein Minimum an Ausfallzeit sowie kurze Reaktions- und Reparaturzeiten gewährleistet sein.

Primäres Ziel der beiden alternativen Carrier ist, Gebäude von zahlungskräftigen Großanwendern mit hoher Bandbreite an ihre 5-Gbit/s-Ringe anzuschließen. Solche Building-Zugänge werden im Fachjargon Points of Presence (PoP) genannt und liefern dem Kunden derzeit in der Regel eine Bandbreite bis zu 155 Mbit/s (später 622 Mbit/s), die variabel geschaltet werden kann.

"Von der Datenautobahn der Telekom gingen bisher nur Feldwege ab", begründet Stefan Hischer, Geschäftsführer der MFS Deutschland GmbH, den Bedarf an High-speed-Infrastrukturen mit End-to-end-Services.

Rechtliche Basis für Colt und MFS, eigene Netze betreiben zu dürfen, war bis zum 1. Juli 1996 ein Passus im Fernmeldeanlagengesetz. Er sah vor, daß ein Betreiber mehrere Grundstücke und darauf installierte TK-Anlagen mit eigenen Leitungen verbinden konnte, vorausgesetzt, keines der Anwesen ist von einem anderen weiter als 25 Kilometer entfernt.

Seit Anfang des Monats ist diese Regelung hinfällig. Alternative Carrier können jetzt mit Einschränkung der Sprachkommunikation selbständig Infrastrukturen betreiben, sofern sie im Besitz einer Lizenz des Postministeriums sind.

Das Frankfurter Modell macht unterdessen Schule. Quer durch die Republik schießen Stadtnetze in den Großstädten und Ballungszentren wie Pilze aus dem Boden oder sind geplant. Deutschland mit seiner geopolitischen Struktur könnte sich dabei für Investoren als goldener Boden erweisen. Hier ist die Industrie im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich über das ganze Land verteilt und leben 34 Prozent der Bevölkerung in den 100 größten Städten .

Pekka Perttula, Geschäftsführer der Helsinki Telecom Deutschland GmbH, schätzt das Marktpotential der City-Carrier in den 100 größten Städten für 1996 auf 660 Millionen Mark, im Jahr 2003 sollen es rund drei Milliarden Mark sein. Auf einem Symposium der Telak GmbH zum Thema "Neuer TK-Wettbewerb: Alternative Stadtnetze" in Düsseldorf betonte der Berater das große Interesse der Wirtschaft, im Bereich der MANs Dienste nicht nur von der Telekom, sondern auch von anderen TK-Anbietern zu beziehen.

Neben MFS und Colt, hinter denen finanzstarke private Investoren stehen, gehen einige Kommunen selbst mit Stadtwerken oder Stadtsparkassen als Gesellschafter von City-Netz-Projekten ins Rennen. Zwei solche Betreiber sind die Isis Multimedia Net GmbH in Düsseldorf sowie die Netcologne in Köln. Beide sind mit ihren Netzen bereits in Betrieb, weshalb der Telekom jetzt auch am Rhein der Wettbewerbswind heftig entgegenbläst.

Ein Nutznießer des Konkurrenzkampfes in Köln ist Walter Grau, Gruppenleiter bei der Corona Informations-Services GmbH, einer Tocher der Colonia Versicherung. "Telekommunikation und komplexe Anwendungen sind plötzlich bezahlbar geworden", berichtete der TK-Fachmann auf dem Kongreß über seine jüngsten Einkaufserfahrungen. Die Bandbreite, so Grau, sei nicht mehr das Maß aller Dinge.

Tatsächlich purzeln die Tarife für Mietleitungen in Städten mit lokalen Anbietern aufgrund des Wettbewerbs. Gemessen an früheren Entgelten der Telekom sind die 1400 Mark Monatsgebühr der Netcologne für eine 2-Mbit/s-ISDN-Festverbindung ohne Entfernungslimit im Stadtgebiet als Dumpingpreis zu bezeichnen. Die gleiche Gebühr erhebt die Isis GmbH, allerdings gilt bei den Düsseldorfern eine Entfernungsbegrenzung. Zum Vergleich dazu liegt der Telekom-Tarif laut Werner Hanf, Geschäftsführer der Netcologne, knapp doppelt so hoch bei rund 2700 Mark.

Voll-Carrier von Tante Emma bis zum Profi

Diese Entwicklung macht deutlich, wovor viele Marktbeobachter warnen. Mit Infrastruktur allein ist in diesem Geschäft kein Geld zu verdienen. Das wissen auch die City-Carrier: "Wir wollen nicht als billiger Jakob auftreten, sondern durch neue TK-Services, die über die reinen Verbindungsdienste hinausgehen, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis erzeugen", gibt Horst Schäfers, Geschäftsführer der Isis GmbH, seine Marschroute aus.

Mit der Parole von modernen Diensten, Beseitigung von Infrastrukturengpässen im Stadtgebiet, Senkung von TK-Kosten und Stärkung des Wirtschaftsstandortes hat sich Isis die gleichen Ziele ins Stammbuch geschrieben wie die anderen MAN-Wettbewerber auch. Selbst wenn die Nordrhein-Westfalen, wie Schäfers betont, "ab 1998 als Voll-Carrier jeden bis hin zur Tante Emma anschließen wollen", haben alle in erster Linie nur eine Zielgruppe im Visier - die Geschäftskunden.

Geschäftskunden eben wie die bereits erwähnte Dresdner Bank, aber auch den Mittelstand. Dieser Klientel bieten die City-Dienstleister ein breites Produktspektrum im One-stop-Shopping an: Dazu gehören in der Regel Sprach- und Datenkommunikation, LAN-LAN- und LAN-WAN-Verbindungen, Netzwerk-Management, TK-Anlagenkoppelung, Host-Anbindungen, Videokonferenzen, Centrex-Dienste wie ISDN und später einmal Endkundenzugänge auf Basis des drahtlosen Dect-Standards sowie Multimedia-Services wie integrierte Arbeitsplätze, Teledienste wie Bildübertragung in der Medizin und Online-Informationen über das Internet.

Sich von der Konkurrenz, in den meisten Fällen die Telekom, durch maßgeschneiderte Services abzugrenzen wird für die City-Carrier jedoch schwer. Der Ex-Monopolist hat reagiert und stampft seinerseits in den größten Metropolen Deutschlands MANs aus dem Boden. Hamburg, Berlin, Frankfurt und München sind bereits am Netz, elf weitere Städte sollen noch 1996 folgen.

Die Reaktion des TK-Giganten ist verständlich. Mit Großkunden ê la Dresdner Bank, die in Frankfurt ihr Corporate Network samt Sprach- und Datenkommunikation in die Hände von Colt gelegt hat, ist viel Geld zu verdienen. Das weiß die Telekom und will sich deshalb prestigeträchtige Auftraggeber nicht abjagen lassen.

Das Portfolio der Bonner sowie die Verfügbarkeit der Netze und Reaktionszeiten unterscheidet sich kaum von dem der Wettbewerber. Mit "City-Connect", "City-Voice", "City-LAN" und "City-ATM" hat die Telekom beziehungsweise ihre Tochter DeTeSystem vergleichbare Dienste zum Beispiel wie "ISI-LAN", "ISI-Net", "ISI-Fon" etc. der Isis GmbH oder "Net-Corporate", "Net-Voice", "Net-Switch" etc. von Netcologne im Programm.

Dennoch ist Schäfers sicher, gegen die Telekom bestehen zu können: "Die Stärke der City-Carrier liegt darin, einem Teilnehmer an einem Punkt gleichzeitig die Dienste verschiedener überregionaler Netzbetreiber anbieten zu können." Je nach Bedarf wird dann computergestützt der preiswerteste Service ausgewählt.

Leistungsstarke Rechner im Isis-Netz ermöglichen es den Düsseldorfern ferner, sogenannte Centrex-Dienste zu vermarkten. In diesem Fall ersetzt ein Knoten die TK-Anlage des Unternehmens. Der Kunde muß künftig also keine Nebenstellenanlagen mehr in eigener Regie fahren, sondern kann sie in Form einer Dienstleistung an den Netzbetreiber auslagern. Die Nordrhein-Westfalen locken Kunden derzeit außerdem mit kostenlosen Telefonaten. Wer bei Isis einen Glasfaseranschluß bucht, kann ab sofort, unabhängig von der Zahl der Standorte in Düsseldorf, gratis im Unternehmensverbund telefonieren.

Standard dürfte in Stadtnetzen auch der neu eingeführte Datendienst der Isis werden. Unternehmensbereiche und Büros an verschiedenen Orten im Stadtgebiet werden dabei wie in einem virtuellen LAN geschaltet. Mitarbeiter erhalten somit Zugriff auf gemeinsame Ressourcen wie Datenbanken, Archive, Drucker und Programme im Network.

Anwender profitieren aber nicht nur durch mehr Services von dem zunehmenden Wettbewerb. Auch bei der Vertragsgestaltung schafft die veränderte Marktsituation jetzt mehr Spielraum. Laut Angelika Scheiffele, Marketing-Verantwortliche bei Colt, gibt es bei den Frankfurtern keine Mindestlaufzeit für Verträge. Bei Colt, so Scheiffele, habe eine längerfristige Bindung nur marginale Auswirkungen auf die Tarife und sei die Preisüberprüfung Bestandteil der Vereinbarung. Ähnlich verhält es sich bei MFS, allerdings müsse der Anschluß eines Kunden für den Carrier Hischer zufolge schon rentabel sein.

Im Gegensatz zu den Privaten hält die DeTeSystem an ihrem Modell der Rabattierung fest. Die Telekom-Tochter bietet bei City-Netzen Verträge mit Laufzeiten von einem, drei und fünf Jahren an, wobei längerfristige Vereinbarungen günstiger tarifiert werden. Kunden, die sich für mehrere Jahre vertraglich gebunden haben, können jedoch, wie Dieter Roose, Produkt-Manager der DeTeSystem, in Düsseldorf sagte, auf Wunsch zur Konkurrenz wechseln.

Vieles deutet also darauf hin, daß der Kunde in Sachen TK-Dienstleistung zum König wird. Ob er der neuen Situation auf Anhieb gewachsen ist, muß sich jedoch zeigen. Anwender Grau hat jedenfalls Zweifel: "Ich befürchte, daß die Kunden auf Wettbewerb am TK-Markt nicht vorbereitet sind. Ob wir mit unseren Applikationen so blitzschnell auf den Markt reagieren können, ist fraglich." Es stehen also spannende Zeiten bevor, für City-Carrier und Anwender.