Aufwand für unabhängige Komponenten offenbar unterschätzt

Anwender müssen weiter auf R/3-Module warten

20.06.1997

Der SAP-Vize hatte bereits auf der Sapphire '96 in Wien versprochen, die Standardsoftware mittelfristig in die Hauptkomponenten Finanzwesen (FI), Logistik (LO) und Personal-Management (HR) aufzusplitten. Darauf müssen die Anwender allerdings noch länger warten. Im Release 4.0, das Ende des Jahres ausgeliefert wird, verbleiben die Module FI und LO zunächst in einer Komponente, wenn auch "loser gekoppelt" als bisher. Lediglich das Personalsystem sei mit Version 4.0, so Plattner weiter, als separates System erhältlich.

Die angekündigte Modularisierung war auch eine Reaktion auf die Kritik der Analysten von Forrester Research gewesen. Die Auguren aus Cambridge, Massachusetts, hatten der R/3-Software im Frühjahr 1996 aufgrund ihrer hochintegrierten Struktur Museumsreife attestiert. Daraufhin war der Kurs der SAP-Aktie vorübergehend in den Keller gerutscht.

Offenbar gestaltet sich die Zerlegung in unabhängige Komponenten so schwierig, daß Plattner auch auf der Amsterdamer Konferenz in der vergangenen Woche keinen Zeitplan dafür vorlegen konnte. "Allein beim Herauslösen der Komponente Personal-Management aus der Gesamtanwendung haben wir 54 Schnittstellen identifizieren und realisieren müssen", erklärte Plattner. Wie viele Schnittstellen notwendig sind, um die FI- und die LO-Komponente zu trennen, sagte er nicht.

"Wir haben den Anwendern nicht versprochen, R/3 4.0 bereits in drei Komponenten zu liefern, das geschieht in einer späteren Version", erklärte SAPs Technologie-Marketier Günter Tolkmit auf Anfrage. Zum einen kämen die Anforderungen der Anwender zur Zeit "aus einer anderen Richtung", zum anderen sei es ein "ganzes Stück Arbeit", FI und LO zu trennen.

Das unterstreicht auch Bobby Cameron, zuständig für Standardsoftware bei Forrester Research: Er schätzt die Zahl der notwendigen Schnittstellen auf über 1000. Die Kundenwünsche beurteilt der Analyst allerdings ganz anders als Tolkmit: "Unternehmen sind sehr wohl und auch kurzfristig an Komponentensoftware interessiert. Das ist ein Trend dem sich keiner verschließen kann." Die Anwender kämpften nicht nur mit aufwendigen Release-Wechseln und hohen Wartungskosten, sondern wollten durch Komponententechnik auch bei Standardpaketen in die Lage versetzt werden, die jeweils beste Einzellösung einzusetzen.

Auch Helmuth Gümbel, Managing Director von Strategy Partners, einem Zusammenschluß international tätiger Analysten, sieht in der Aufgabe, R/3 zu entflechten, einen "schwierigen und dornigen Weg. Plattner hatte sich in Wien spontan zu den Inhalten von R/3 4.0 geäußert, obwohl zum damaligen Zeitpunkt noch gar kein abschließender Fahrplan für diese Version existierte." Dieser sei erst seit Ende Januar 1997 bekannt, "und die Entwickler haben wohl festgestellt, daß für die Entflechtung bis Version 4.0 überhaupt keine Zeit mehr ist". Auf der Amsterdamer Veranstaltung sei dies dann auf ein späteres Release verschoben worden.

Ziel von SAPs Produktpolitik ist es, R/3-Module unabhängig voneinander zu entwickeln und als eigenständige Systeme zu betreiben. Auf diese Weise müßten Anwender bei fälligen Release-Wechseln nicht mehr das komplette R/3-System austauschen, sondern erhielten die Möglichkeit, Einzelpakete in jeweils unterschiedlichen Versionen einzusetzen. Dadurch sollte sich der Aufwand für Release-Wechsel und Wartungsarbeiten erheblich reduzieren lassen.

Durch die jüngsten Bekanntmachungen des Unternehmens in Amsterdam sieht Forrester-Analyst Cameron die Kritik aus der letztjährigen Studie im nachhinein bestätigt: Er bezweifelt, daß es dem Standardsoftwaregiganten gelingt, die beiden Blöcke FI und LO zu "desintegrieren". "Wenn die SAP in der Business-Component-Welt, um in ihrer eigenen Terminologie zu bleiben, erfolgreich sein will, muß sie eine komplett neu entwickelte Version von R/3 vorlegen", argumentiert er.