Anwender müssen ihre Ergonomie-Forderungen einklagen

01.09.1989

"DV-Branche ohne Ergonomie-Sinn" lautete die Überschrift zu einem Artikel über den SEL-Preisträger Karl-Friedrich Kraiss in der COMPUTERWOCHE vom 14.Oktober letzten Jahres. Dieses traurige Fazit hat offenbar seit dem Beginn der Ergonomie-Diskussion in den siebziger Jahren nicht an Gültigkeit verloren, geistern doch immer wieder Meldungen über flimmernde oder gar giftverdächtige Bildschirme durch die Fachpresse. Das Interesse der Hersteller gilt vor allem der Funktionalität - für ergonomische Gestaltung fehlt ihnen nicht nur der Sinn, sondern vor allem das nötige Know-how. Gefragt ist deshalb die Initiative der Anwender - in der Frage, was zu tun ist, scheiden sich allerdings die Geister: Während zum Bildspiel die HUK-Coburg auf Hardware-Ergonomie setzt und ihren Bildschirm-Park runderneuert, hat die Zahnradfabrik Friedrichshafen versucht, Bildschirmarbeit durch Farbe und eine abwechslungsreiche Menügestaltung erträglicher zu machen.

Wir beschäftigen uns schon seit vielen Jahren mit Ergonomie-Problemen. Wie in anderen Betrieben gibt es auch bei der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG eine entsprechende Betriebsvereinbarung, die schon 1982 abgeschlossen wurde. Wir schicken zum Beispiel jeden Mitarbeiter zu einer augenärztlichen Untersuchung, bevor er am Bildschirm-Arbeitsplatz eingesetzt wird. Diese Untersuchungen werden routinemäßig alle drei bis vier Jahre durchgeführt.

Hard- und Software müssen auf die Bedürfnisse des einzelnen Mitarbeiters zugeschnitten werden. Das Anforderungsprofil wird bei uns für jeden Arbeitsplatz ermittelt. Auf

dieser Basis wird dann individuell festgelegt, welches Endgerät und welche und welche Software der Endbenutzer bekommt.

Wir haben einen einheitlichen Gerätepark. Bis vor ungefähr vier Jahren haben wir nur monochrome und im zunehmenden Maße auch farbunterstützte Bildschirme von Memorex eingesetzt. Mit wachsendem Bedarf für grafikfähige Geräte kommen immer mehr IBM-Bildschirme hinzu, weil Memorex diese Geräte wegen entsprechender Schutzrechte von IBM nicht liefern kann. Neben Bildschirmen werden mittlerweile im verstärkten Umfang PCs eingesetzt. Für die PC-Ausstattung inclusive Host-Emulation und Software gilt ebenfalls das Prinzip des maßgeschneiderten Endbenutzerzuschnitts. Dafür haben wir neben einem Basisgerät einen Katalog von standardisierten Hardware-Optionen und Softwareprodukten festgelegt.

In bezug auf die Hardware wurden bislang kaum ergonomische Zusatzlösungen realisiert. Nur in einigen Fällen haben wir Filter zur Entspiegelung installiert. Auf die Strahlen- und Giftgefahr von Bildschirmarbeitsplätzen bin ich noch nie von Mitarbeitern angesprochen worden. Wir haben eine zentrale Stelle, welche die Installation von Bildschirm-Geräten betreut.

Die Software-Ergonomie ist meiner Meinung nach wichtiger als zusätzliche hardwareergonomische Einrichtungen, weil die Geräte heute alle den üblichen ergonomischen Vorschriften entsprechen. Die Mitarbeiter klagen nur dann, wenn die Software sehr umständlich zu handhaben und die Arbeit allgemein zu monoton ist.

Wir haben fast nur gemischte Arbeitsplätze: Der Bildschirmeinsatz im Bürobereich beträgt 75 Prozent - auf vier Mitarbeiter entfallen damit drei Bildschirme. Die Arbeitszeit am Bildschirm beträgt bei uns nicht mehr als vier Stunden. Dem Benutzer stehen im Durchschnitt zehn bis fünfzehn verschiedene Anwendungen zur Verfügung, die genügend Abwechslung in seine Arbeit bringen.

Kernstück jeder Software-Ergonomie ist die einheitliche Gestaltung der Benutzeroberfläche. Was die IBM dazu unter der Überschrift SAA offiziell seit März 1987 propagiert, wird bei uns seit 1976 praktiziert und ständig weiterentwickelt. Alle von uns programmierten Bildschirm-Transaktionen haben das gleiche Masken-Layout und ein einheitliches Handling für den Endbenutzer.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Software-Ergonomie ist die Frage der Farbunterstützung. Am Anfang habe ich persönlich nicht viel davon gehalten, habe mich aber mittlerweile eines Besseren belehren lassen. Bildschirmmasken, die viele Informationen enthalten, lassen sich mit Hilfe von Farbe viel übersichtlicher gestalten. Farbe gehört auch immer mehr zum Standard von Kaufsoftware. Sie ist bei uns zum Beispiel erforderlich für den gesamten Bereich der Bürokommunikation der industriellen Datenverarbeitung, wo wir die Softwareprodukte "Profs" und "AS" von IBM eingesetzen. Auch der CAD-Bereich, mit seinen heute ungefähr 400 Endbenutzern, ist ohne Farbe nicht mehr sinnvoll denkbar.

In vereinzelten Fällen gibt es Mitarbeiteranfragen zur Installation von Positiv-Bildschirmen. Dabei handelt es sich um Arbeitsplätze mit schwierigen Lichtverhältnissen. An einem Arbeitsplatz war ein solcher Positiv-Bildschirm auch für längere Zeit installiert. Dabei sollte ursprünglich nur eine Probeinstallation vorgenommen werden: Der Mitarbeiter bat jedoch nach der Testphase darum, das Gerät behalten zu dürfen. Daraufhin kamen auch Anfragen von anderen Mitarbeitern, die ebenfalls Problemarbeitsplätze mit ungünstigen Lichtverhältnissen haben. Es wurde ihnen freigestellt, mit Positiv-Bildschirmen zu arbeiten, aber mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die fehlenden beziehungsweise mangelhaften Möglichkeiten der Farb- und Grafikdarstellung. Wegen des heute schon weit verbreiteten Nutzens von Farbe und Grafik in unserem Unternehmen hat dies dazu geführt, daß keine weiteren Installationen durchgeführt wurden.

Die ersten Bildschirme haben wir 1970 eingeführt. Damals waren es vierzig Stück, heute sind es hundertmal soviel. Anfang der achtziger Jahre haben wir noch mit ---tischen gearbeitet, um viel Mitarbeiter mit einem Bildschirm zu bedienen. Damals gab es noch viel weniger Dialoganwendungen, und die Zentraleinheiten waren in ihrer Kapazität auch nicht für 4000 Bildschirme ausgelegt. Inzwischen hat nahezu jeder Sachbearbeiter sein eigenes Gerät am Arbeitsplatz.

Wir haben über die Arbeit an Datensichtgeräten in unserem Unternehmen eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat geschlossen. Darin sind auch regelmäßige innerbetriebliche ärztliche Augenuntersuchungen vorgeschrieben. Seit wir diese interne Vereinbarung haben, gibt es von Mitarbeitern keine Beschwerden mehr.

Die meisten unserer DV-Arbeitsplätze sind sogenannte Mischarbeitsplätze. Der Sachbearbeiter verbringt also nicht seine gesamte Arbeitszeit vor dem Bildschirm, sondern er bearbeitet Anträge weiterhin am Schreibtisch und bedient sich des Bildschirms lediglich zur Unterstützung.

In den siebziger Jahren hatten wir die IBM-Bildschirme (Modell 3180) wegen ihrer ergonomischen Vorteile, nämlich Höhenverstellbarkeit, Schwenkbarkeit und Neigbarkeit ausgewählt. Nun laufen die Leasing-Verträge für viele Geräte in diesem Jahr aus. Damit stellte sich für uns das Problem, ein geeignetes Nachfolgegerät zu finden. Das Nachfolgemodell von IBM, das Modell 3192, ist leider nicht mehr höhenverstellbar.

Für uns ist die Höhenverstellbarkeit aber ein wesentliches Kriterium, das ja auch in den Vorschriften der Verwaltungs- und Berufsgenossenschaft festgelegt ist. Auch bei den Mitarbeitern hat sich diese Eigenschaft seit den ersten Bildschirm-Installationen als großer Vorteil erwiesen.

Zunächst haben wir uns also auf dem Markt nach einem geeigneten Hersteller umgesehen und Geräte verschiedener Anbieter, unter anderem von IBM, SEL und Siemens (Tandberg) getestet. Einige Mitarbeiter von Fachabteilungen, einschließlich der Programmierung, haben dann jeweils zwei bis drei Wochen lang probeweise an den Negativ- und Positivschirmen gearbeitet. Zur Beurteilung erhielt jeder Mitarbeiter ein Bewertungsschema. Darüber hinaus sollte noch ein kleiner Testbericht zu Software-ergonomischen Themen wie Zusatzfunktionen, Notizbuchseiten oder integriertem Taschenrechner angefertigt werden. Bei den Mitarbeitern machte eindeutig der Positiv-Bildschirm des Herstellers Tandberg das Rennen - insbesondere wegen seiner Höhenverstellbarkeit.

Für uns war das Urteil der Mitarbeiter ausschlaggebend für die Wahl der künftigen Bildschirme. Preisvergleiche ergaben, daß der Tandberg-Schirm auch nicht teurer als der von IBM ist. Beim Austausch von IBM- gegen Tandberg-Geräte, der jetzt läuft, bevorzugen wir Problemarbeitsplätze. Der bisherige 3180-Schirm ist ein Negativschirm mit der Darstellung grün-auf-schwarz. Auftretende Spiegelungsprobleme haben wir bisher mit Hilfe von Filtern gelöst. Gerade bei Arbeitsplätzen mit ungünstigen Lichtverhältnissen zeigen sich jedoch die Vorteile des Positivschirms. Mit den neuen Geräten sind die Mitarbeiter durchweg sehr zufrieden.

Beim Aufstellen der Geräte erfolgt eine Einweisung der Mitarbeiter, die sich nicht nur auf die Bedienung der Tastatur beschränkt, sondern auch bei der Wahl des richtigen Standorts weiterhelfen soll. Die Einweisungen geschehen mit Unterstützung unserer Betriebsorganisation, die auch für die Arbeitsplatzgestaltung zuständig ist.

Der Austausch wird zum größten Teil bis Ende des nächsten Jahres abgeschlossen

sein. Zur Zeit sind in der Coburger Zentrale bereits zirka 1250 der neuen Bildschirme im Einsatz. Bundesweit sind schon etwa 2000 Tandberg-Schirme installiert. Ein Geräteaustausch, der sich nur auf die Zentrale beschränkt hätte, wäre für uns zwar wirtschaftlicher gewesen, weil in Coburg die Möglichkeit von Zuschüssen im Rahmen der Grenzlandförderung besteht - aber die Zufriedenheit der Mitarbeiter hatte bei der Planung Vorrang.

In der Vergangenheit gab es einige Male Anfragen von Mitarbeitern zur gesundheitlichen Gefährdung durch Bildschirm-Strahlung. Hierzu liegen jedoch konkrete Meßergebnisse vor, welche die Strahlungsmenge als unbedenklich ausweisen. Darüber hinaus bietet gerade Tandberg neben anderen Herstellern wie Philips oder Nokia einen besonders strahlungsarmen Bildschirm an. Auch die von der Presse geführte Diskussion um

Gasentwicklungen beim Bildschirmbetrieb ist unseres Erachtens ohne größere Bedeutung. Tandberg wirbt zwar mit dem Hinweis auf ein ungefährliches Flammenschutzmittel, aber man kann daraus beim besten Willen nicht ableiten, daß die Bildschirme anderer Hersteller generell gesundheitsgefährdend sind.

Beim Bildschirmarbeitsplatz handelt es sich um eine typische Mensch-Maschine-Schnittstelle. Bei der Ergonomie-Diskussion ist es daher sinnvoll, verschiedene Problembereiche voneinander abzugrenzen. Wir unterscheiden vier Ebenen: Zum einen gibt es die Ein-/Ausgabe-Ebene, die unter den Begriff Hardware-Ergonomie fällt; daneben besteht die Dialogebene - also die Dialogformen, Bediensequenzen, die Befehlssyntax und die Interaktionstechnik, für die die Software-Ergonomie zuständig ist.

Der dritte Bereich ist die Funktionsebene, dem alle integrierten Gerätefunktionen wie Help- und Erklärungsfunktionen, aber auch Diagnose- und Entscheidungshilfen zugeordnet sind. Diese Funktionen, die dem Benutzer das Leben leichter machen, werden unter dem Begriff Kognitions-Ergonomie zusammengefaßt. Ein großer Teil der Expertensysteme gehört in diese Ebene - soweit sie den Benutzer auf diese Weise unterstützen.

Schließlich gibt es die vierte Ebene, die sogenannte Organisationsebene - dazu gehört die Arbeitsteilung Mensch/ Maschine, die Teamorganisation sowie Ausbildungskonzepte. Für diesen vierten Bereich ist die Systemergonomie zuständig.

Die Gestaltung eines DV-Arbeitsplatzes unter ergonomischen Gesichtspunkten darf sich nicht nur auf die Qualität von Bildschirmen und Masken beschränken, sondern sollte alle vier Bereiche berücksichtigen. So ist die Gestaltung der Ein-/Ausgabe-Ebene, also die Hardware-Ergonomie, heutzutage zwar kein Forschungsthema mehr, spielt aber nach wie vor eine wichtige Rolle.

Auf der Hardware-Ebene gilt es nunmehr, Bekanntes anzuwenden. Die Erkenntnisse liegen vor, aber es hapert noch an der Umsetzung. Ein Grund hierfür liegt darin, daß die Geräte-Entwickler im ergonomischen Bereich immer noch nicht entsprechend ausgebildet sind. Die Vermittlung von ergonomischem Wissen findet im Studium nicht statt und wird auch später in der Praxis kaum nachgeholt.

Andererseits müssen die Anwender auch Druck auf die Industrie ausüben, wenn sich die Situation bessern soll. Solange nur eine geringe Nachfrage nach Hardware-ergonomisch optimalen Geräten besteht gibt es für die Hersteller keinen Grund, bestehendes Wissen konsequent umzusetzen.