Weil die Anforderungen an DV-Profis ständig zunehmen

Anwender leistet sich in der DV eigenen Personalstrategen

20.11.1992

WIESBADEN (hk) - Einen interessanten Weg, die Personalarbeit in der DV zu professionalisieren, geht die R + V Versicherungsgruppe in Wiesbaden. Seit Frühjahr hat der hessische Finanzdienstleister eine Stabsstelle unterhalb des DV-Vorstands eingerichtet, die sich ausschließlich der Ausarbeitung von strategischen Personalkonzepten für diesen Bereich widmet. Michael Mühl, der die Position innehat, erläutert die Motive dieser Entscheidung.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, macht Mühl deutlich, daß man mit der neugeschaffenen Position "keinesfalls aus dem personalpolitischen Rahmen des Unternehmens ausscheren will", auch wenn im Vorfeld zahlreiche Diskussionen um die Einrichtung dieser Stelle geführt wurden.

So gab es durchaus Irritationen in einigen Organisationseinheiten des Unternehmens, und die Linienchefs fürchteten, daß sich eine zusätzliche Person innerhalb der eigenen Abteilung in Personalangelegenheiten einmischen könnte. "Jetzt, da die ersten positiven Ergebnisse sichtbar sind, ist die Rolle akzeptiert, und wir arbeiten konstruktiv zusammen", so der Versicherungs-Manager.

Mühl rechnet mit erheblichen Veränderungen in der Versicherungswirtschaft, die auch Einfluß auf die Informationssysteme hätten. Damit stiegen die Anforderungen an die Informatiker, so daß neue Wege der Personalarbeit erforderlich seien, denn "wir können es uns nicht leisten, Mitarbeiter einzustellen, die morgen nicht mehr einsetzbar sind". Das Berufsbild des Informatikers, das einem ständigen Wandel unterliege, werde sich gerade in den nächsten Jahren drastisch ändern: "Dies muß jetzt gesehen und entsprechend weitsichtig gehandelt werden." Immerhin dauere die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters ein bis zwei Jahre, "bis er produktiv arbeitet", und die Kosten beliefen sich auf weit über

100 000 Mark.

Mühl will den Personalern nicht ihre Kompetenz streitig machen, glaubt aber, daß er mit seinem Aufgabenspektrum in der DV besser aufgehoben sei, weil er sich näher an den Problemen befinde und deren Lösung mit gezielten Konzepten vorantreiben könne. Als Beweis für seine Aussage weist der Wiesbadener auf einige erste Erfolge in seiner neugeschaffenen Funktion hin.

So wurde zum Beispiel ein für R + V neues DV-Erstausbildungskonzept entwickelt. Weiterhin hat Mühl im Verbund mit der Universität Leipzig, einem anderen Versicherungsunternehmen und einem DV-Hersteller den Diplom-Studiengang Informatik mit Schwerpunkt Versicherungswirtschaft ausgearbeitet, der im Herbst 1993 starten soll. Auf Mühls Initiative geht auch die Erhöhung der Praktikantenzahl von fünf auf 20 zurück.

Auch auf die Präsenz auf dem COMPUTERWOCHE-Karrierezentrum anläßlich der CeBIT ist der Stratege stolz, wurde sie doch zunächst mit der Begründung: "Was hat denn eine Versicherung auf einer Computermesse zu suchen", heftigst abgelehnt. Heute, nachdem einige hochqualifizierte Mitarbeiter aufgrund der CeBIT-Präsenz akquiriert werden konnten, wobei "uns die Suche eines einzigen Profis über herkömmlicher Beschaffungsmaßnahmen wie Anzeigen oder Headhunter mehr gekostet hätte als die gesamten Messekosten", sei das Thema vom Tisch. Mit der Beschaffung allein ist es noch nicht getan. Mühl muß sich auch Konzepte überlegen, wie die DV-Spezialisten zu halten sind "in einer Region, in der die meisten Mitbewerber sitzen".

Der R+V-Planer verweist hier auf die Entwicklungsperspektiven sowohl in einer Führungslaufbahn als auch in einer adäquaten Fachlaufbahn bis hin zur Abteilungsleiterebene, "und dies nicht nur auf dem Papier", wie er betont. Er widerspricht damit der COMPUTERWOCHE-Studie, wonach es für Spezialisten kaum Aufstiegschancen gebe.

Unerläßlich ist für Mühl auch gezielte und konsequente Rotation, wobei die R + V vom genossenschaftlichen Finanzverbund profitiere. Fünf Mitarbeiter aus der DV wechselten in letzter Zeit ihren Arbeitsplatz für ein paar Monate zu einem anderen Unternehmen innerhalb des Verbundes. Auch innerhalb des Unternehmens gebe es

zahlreiche Rotationen, denn "wir wollen nicht den in Kästchen denkenden Mitarbeiter".

Selbstverständlich seien die Mitarbeiterpotential-Analyse und die rege mäßigen Zielplanungs- und Erfolgsanalyse-Gespräche, die als Führungsaufgaben von den DV-Linien-Managern wahrgenommen werden.

Bei der Besetzung von Stellvertreterpositionen, und zwar auf Führungs- und Fachposten, sei noch einiges zu tun: "Es darf nicht passieren, daß Know-how wegbricht und wir nicht sofort Ersatz haben."

Vor fünf bis zehn fahren sei die Personalabteilung allein für die Beschaffung von DV-Personal verantwortlich gewesen. Heute ist die Beteiligung der DV-Führungskräfte an dem Einstellungsprocedere im Assessment Center obligatorisch, und sie treffen letztlich auch die Entscheidungen. Die Personalentscheidungen und strategischen Planungen der DV-Profis finden im DV-Ressort statt. "Wir sind dem Unternehmen und unseren Mitarbeitern schuldig, uns heute mit Szenarien von morgen zu beschäftigen und rechtzeitig Personalkonzeptionen darauf auszurichten", resümiert Mühl.

Mitarbeiter für teamorientierte Projektarbeit

Das Zentralresssort Informanssysteme ist mit seinen 500 Mitarbeitern das mit Abstand größte von drei für die gesamte R + V-Versicherungsgruppe zuständigen Zentralressorts. Da die IV-Technologie vom Wiesbadener Finanzdienstleister "als mitentscheidender Wettbewerbsfaktor" bezeichnet wird, spielte in diesem Zusammenhang die "Qualität der Mitarbeiter eine wesentliche Rolle".