SAP in der Kritik

Anwender kritisieren zu komplexe Systeme

01.03.2010
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

SAP-Projekte oft komplexer als erwartet

Dazu kommt die steigende Komplexität der SAP-Systeme, mit der sich die Anwender nach eigenen Angaben zunehmend herumplagen müssen. Der DSAG-Umfrage zufolge entwickeln sich 64 Prozent der SAP-Projekte komplexer als ursprünglich erwartet. Grund dafür ist unter anderem die große Zahl von SAP-Systemen, die viele Unternehmen betreiben. Laut der Umfrage sind in jeder Anwenderfirma durchschnittlich 17 SAP-Systeme im Einsatz, davon nur fünf produktiv. Die übrigen dienen der Qualitätssicherung und der Entwicklung beziehungsweise sind Altsysteme oder fungieren als Sandbox zum Experimentieren.

Am Problem der wachsenden Komplexität müssten allerdings Anbieter und Anwender gemeinsam arbeiten, ermahnt Lenck beide Seiten: "Es ist zu kurz gegriffen, die Fehler nur auf Herstellerseite zu suchen." Häufig würden Unternehmen die SAP-Systeme nicht so einsetzen, wie es ursprünglich gedacht war. "Viele Entwickler bei der SAP waren im Nachhinein überrascht, was die Anwender mit der von ihnen entwickelten Software machen", berichtet der DSAG-Vorstand. "Mit dieser Haltung muss Schluss sein."

Lenck fordert klare Regeln, wie Entwickler Software erstellen und Anwender diese einsetzen sollten. Dieses Leitbild, eine System Landscape Governance, mache allen Beteiligten klar, in welchem Rahmen sie sich bewegen könnten. Dafür müsse der Hersteller allerdings für Transparenz sorgen und gut informieren. "Derzeit ist für die Anwender in aller Regel nicht nachvollziehbar, welche Folgen Veränderungen an der Software nach sich ziehen", kritisiert der DSAG-Vorstand. Verletzungen des Standards könne man in Kauf nehmen, solange es nicht zu viele seien und klar sei, welche Auswirkungen sie hätten. Das war in der Vergangenheit jedoch offenbar nicht der Fall. "Viele schlechte Installationen passierten unbewusst, weil die Anwender falsch beraten waren oder über zu wenige Informationen verfügten."

Doch es wird dauern, bis sich das ändert. Zwar wächst Lenck zufolge die Bereitschaft der Anwender, sich angesichts des Leidensdrucks stärker an Standards und Regeln zu halten. Allerdings bleibe die Frage, wie motiviert die Unternehmen sind, laufende Systeme anzupacken, nur um ein mögliches Supportproblem der Zukunft aus dem Weg zu räumen. Der Leitfaden werde dann greifen, wenn es um Neuinstallationen oder Änderungen gehe, glaubt Lenck. "Es wird aber nicht so sein, dass jeder Anwender sofort anfangen wird, seine SAP-Systeme umzubauen."

SAP-Spitze muss Vertrauen zurückgewinnen

Hätte DSAG-Vorstand Marco Lenck drei Wünsche an die SAP frei, würde er sich neben fehlerfreier Software und weniger Komplexität die Wiederherstellung der guten Kundenbeziehungen aus der Vergangenheit wünschen. Er ist aber optimistisch, dass sich SAP mit der neuen Doppelspitze aus Jim Hagemann Snabe und Bill McDermott wieder stärker auf die Bedürfnisse der Anwender konzentrieren wird. Auch die Impulse von SAP-Gründer Hasso Plattner, der offenbar im Hintergrund wieder fester die Fäden in der Hand hält, sieht der Anwendervertreter positiv. Es sei zwar nicht so, dass jeder nur auf In-Memory-Datenbanken warte, sagt Lenck. Zunächst benötigten die Anwender fehlerfreie Software und eine solide SAP-Basis, erst dann könne man von technischen Visionen träumen. Plattner könne jedoch im neuen SAP-Gleichgewicht eine sinnvolle Ergänzung bilden. "Wir brauchen eine innovative SAP, aber nicht um jeden Preis."