Reaktion auf "Archer Group" überwiegend gelassen

Anwender: Keine Zeit für Unsicherheit

28.10.1988

MÜNCHEN - Sollte das Ziel der Anbieter die Verwirrung der Kunden gewesen sein, so haben sie es verfehlt: Verärgert, aber keineswegs ratlos reagieren Anwender auf die Querelen der Unix-Anbieter. Unter dem Druck, Anwendungen erstellen zu müssen, fällt die Entscheidung für V.3 als kleinstem gemeinsamen Nenner meist nicht schwer.

"Dieses Techtelmechtel der Hersteller ist uns außerordentlich unlieb; am liebsten würden wir warten, bis sich alles von selbst aufgelöst hat. Aber unsere Anwender werden unruhig." So kommentiert ein DV-Experte aus der chemischen Industrie, gerade im Begriff, den Schritt nach Unix zu wagen, die Stimmung angesichts des zweigeteilten Anbieterlagers (siehe Seite 1: "Unix-Marktführer setzen voll auf Version V.4").

Auch Klaus Grundstein, Leiter EDV-Produktion bei den Schott Glaswerken in Mainz und ebenfalls künftiger Unix-Anwender, würde nach eigenem Bekunden lieber warten, bis die Hersteller ihre Unstimmigkeiten ausgetragen haben; doch dafür hat er keine Zeit: "Der Betrieb lebt ja weiter."

"Es wird immer schwieriger, unserem Management gegenüber die Entscheidung für Unix als strategisch richtig zu vertreten", klagt indes Herbert Fuchs, Projektleiter Bürokommunikation bei der GEW Werke Köln AG. Bereits die OSF-Gründung sei Wasser auf die Mühlen derjenigen gewesen, die sich mit einer Hersteller-eigenen Lösung auf der sicheren Seite glauben. Die Konsequenz aus der Zweiteilung, so Fuchs, könnte sein, daß Unix seine Herstellerunabhängigkeit einbüßt.

Gefahr aus dieser Richtung wittert auch Frank Raudszus, Geschäftsstellenleiter des Softwareproduzenten Danet GmbH in Darmstadt; zwar sieht er für die Unix-Klientel objektiv keinen Grund zur Beunruhigung, doch fürchtet er, daß die Rechnung der Anbieter mit der Unsicherheit weiter Kundenkreise trotzdem aufgeht: "Das Unix-Rad zurückdrehen können die Hersteller nicht; vielleicht gelingt es ihnen aber, die Anwender zu verunsichern, um sie so wieder an sich zu binden."

Allerdings haben die großen Anwenderbetriebe, die öffentlichen Verwaltungen und die Normierungsbehörden - insbesondere in den Vereinigten Staaten - hier auch noch ein Wort mitzureden. Dazu ein DVer aus dem Verwaltungsbereich: "Die Standardisierungsbemühungen in den USA sind so stark, daß es auf jeden Fall eine sehr große Untermenge geben wird."

Als diese Untermenge betrachten viele Anwender das AT&T-Produkt Unix System V.3. Grundstein: "Meine Experten sagen mir, wenn wir schon an Unix ran müssen, dann ist V.3 das Richtige. Und ich denke, das ist eine Entscheidung, mit der wir leben können."

Bereits im Einsatz ist die aktuellste am Markt erhältliche Version des AT&T-Betriebssystems bei den Kölner GEW-Werken. Dort wird - ungeachtet der Grabenkämpfe auf der Herstellerseite - auch weiterhin unter V.3 entwickelt. Fuchs: "Was sollen wir tun? Wir müssen schließlich Anwendungen erstellen."

Unterstützung erhalten die Kunden hier von seiten des Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Diebold Deutschland GmbH mit Sitz in Frankfurt (vergleiche in dieser Ausgabe, Seite 12: "Diebold rät zu gelassener Unix-Haltung"). "Mit V.3 kann der Anwender nichts verkehrt machen", raten die Frankfurter Analysten. Zur Nummer Sicher werde V.3 deshalb, weil auch die OSF sich zu einer Kompatibilität ihres Betriebssystemprodukts mit dem AT&T-Release verpflichtet habe.

Wer Portabilität haben will, so ein Diebold-Sprecher, müsse allerdings auf zusätzliche Features wie beispielsweise den Realtime-Zusatz des Hewlett-Packard-Derivats HP-UX verzichten: "Im anderen Fall muß der Anwender sich darüber im klaren sein, daß er sich wieder in einer geschlossenen Welt bewegt."

In ihrer Forderung nach übertragbaren Anwendungen wissen die Anwender sich einig mit den Softwareherstellern. Für V.3 als Basis der Unix-Entwicklung plädiert denn auch der Danet-Manager Raudszus: "Es gibt keine Alternative dazu. Berkeley-Unix wird als eigenständiges Betriebssystem über kurz oder lang verschwinden, und einen Grund, bei V.2 zu bleiben, gibt es nicht." Auch X/Open, bislang noch auf die ältere Unix-V-Version eingeschworen, müsse schnellstmöglich nachziehen.

Als die Basis der OSF-Entwicklungen sieht Raudszus jedoch nicht V.3, sondern den IEEE-Vorschlag Posix. "Wenn IBM und DEC sich schon mit Unix beschäftigen müssen, so können sie sich keineswegs ein Produkt vorschreiben lassen", begründet der Software-Experte seine Ansicht. Vom Standpunkt der Hardwarehersteller betrachtet, sei das Ergebnis unabhängiger Normierungsbemühungen das kleinere Übel: Von einem Standard abhängig zu sein, ist für IBM schon schlimm genug; von einem Produkt abhängig zu sein, ist noch viel schlimmer."

Laut Raudszus hatte sich der Markt vor der OSF-Gründung deutlich in Richtung einer Produktstandardisierung, nämlich in Richtung auf V.3, bewegt. Auf den Plan gerufen, so der Darmstädter, wurden die großen Hardware-Anbieter dadurch, daß Unix nun seinem technisch-wissenschaftliches Mauerblümchendasein entwachsen sei und einen "Milliardenmarkt" verspreche: "Die OSF war eine Kampfansage an AT&T auf rein marktwirtschaftlicher Basis."

Anpassungsschwierigkeiten

Aus der offiziellen Stellungnahme der German Unix User Group zur Gründung der Archer Group:

"Wir vermuten hauptsächlich politische Beweggründe hinter den Schachzügen der Hard- und Softwarehersteller, die sich hier zusammengefunden haben. Das Fazit liegt nahe: All die Unruhe, die in den letzten Monaten entstanden ist, entspringt der Unfähigkeit der Hersteller, sich rasch genug auf eine Welt der offenen Systeme einzustellen. Man bildet Gruppen und Grüppchen, man verhandelt und politisiert, um für das eigene Unternehmen ein möglichst gutes Stück aus dem Kuchen herauszuschneiden.

Haben Sie Kinder? Dann werden Sie es erlebt haben: Wie schön die lieben Kleinen doch zu Hause gespielt haben, als sie ihre Bauklötze (sprich: Anwender) für sich hatten! Und wie schwierig die erste Zeit im Kindergarten war, als sie plötzlich die Anwender, pardon: Bauklötze, mit anderen teilen mußten.

Die Hersteller werden das lernen müssen. Der Zug der offenen Systeme ist abgefahren, und die Anwender setzen heute mit ihren Kaufentscheidungen die Maßstäbe. Daran wird sich auch in nächster Zeit nichts ändern.

Falls die verschiedenen Vereinigungen noch Kompromißformeln benötigen, wie wäre es mit dieser hier: AT&T nimmt Abschied von einigen hinderlichen Paragraphen in der Unix-Lizenzierung und gibt System V Release 4.0 inklusive NFS, Open Look und News an die OSF."