CIM-Perspektiven auf Manager-Seminar von Bull erläutert:

Anwender haben noch vieles zu bemängeln

27.03.1987

LUXEMBURG - Anwender, die das CIM-Konzept im Unternehmen nach und nach verwirklichen wollen fordern vehement universelle Schnittstellen. Dies ist das Ergebnis eines "International Executive Seminar", zu dem der französische Computerhersteller Compagnie des Machines Bull europäische Topmanager eingeladen hatte.

Der Übergang zur computerunterstützten Fabrik ist für Professor Günter Spur von der Technischen Universität Berlin ein Entwicklungsprozeß, der von vorhandenen Insellösungen der Computeranwendung in der Konstruktion, in der Planung, Kontrolle, Fertigung, Qualitätskontrolle und -sicherung ausgeht.

Die computerintegrierte Fertigung erfordere - so Spur - eine funktionale Koordination, bei der die integrierten Erfordernisse gleichrangig mit den dedizierten Bedürfnissen der Fachabteilungen behandelt werden müßten. Die computerunterstützte Fabrikorganisation bringe in den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen eine praktisch unbegrenzte Informationsdurchdringung, verbunden mit einer Verdichtung der Inhalte.

Professor Spur ist überzeugt, daß auf einer intensiv verästelten Programmstruktur mit definierten Schnittstellen basierendes CIM, Schritt für Schritt, zu einer strukturellen Veränderung der Fabrik führt. Voraussetzung hierfür sei die Digitalisierung des gesamten Informationsflusses und die Schaffung von allgemein nutzbaren Datenbanken.

Die Beschaffenheit von CIM-Strukturen erfordere für eine koordinierte Ausführung von Aufgaben des gesamten Fertigungsprozesses einen detaillierten computerunterstützten Zugriff auf aktuelle und archivierte Daten.

Der koordinierte Informationszugriff ermögliche kürzere Verarbeitungszeiten, reduzierte die manuelle Arbeitsvorbereitung, merze Fehlerquellen aus, optimiere die Integration, führe zu größerer Flexibilität bei Varianten und vereinfache Datenverknüpfungen.

CIM stehe - so Spur - für die Veränderung in der Fertigungsorganisation. Es öffne der Fabrik alle informationstechnologischen Vorteile und führe zu permanenten Veränderungen der Fertigungsverfahren. CIM verbessere die Zuverlässigkeit der Produktion. Es erfordere aber nicht nur Investitionen in Hard- und Software, sondern auch in der Mitarbeiterqualifikation. Letztendlich stehe das Wissen des Mitarbeiters, das Wissen des menschlichen Experten hinter der "datenbetriebenen" Fabrik.

Grundlegender Wandel in der Fertigung

Professor Hans-Jürgen Warnecke, Leiter des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnik, sieht den Fertigungsbereich an der Schwelle zu einem - grundlegenden strukturellen Wandel, zu einem Umbruch im Fertigungs-Ingenieurwesen, der strategische und operationale Risiken in sich berge. Die Fabrik werde (auch) zu einem Serviceunternehmen. Die Entwicklung in der Fabrik führe - so Warnecke - zu einem kontinuierlichen, computergestützten Informationsfluß, von der Entwicklung eines Produkts bis hin zu seiner hochautomatisierten Fertigung, Montage und Qualitätskontrolle. Das gelte für den Materialfluß, dessen Charakteristika hochautomatisierte Lager, fahrerlose Transportsysteme und der Einsatz von Industrierobotern in der Logistik

seien.

Notwendig sei ein permanenter Interessenausgleich zwischen Produktivität und Flexibilität, der neue Fertigungsstrategien erfordere. Dazu gehöre auch die Automation von Kontrollaufgaben. Rationalisierungspotentiale der Fertigungsautomation müßten verstärkt ausgenutzt werden. Der reibungslose Material- und Informationsfluß werde zum wichtigsten Produktionsfaktor. Außerdem müßten die Produktionssysteme permanent den Marktbedürfnissen angepaßt werden. Derzeit sei allerdings die Verfügbarkeit neuer Technologien noch höher als ihr Einsatz.

Daß die CIM-Welt (noch) nicht so hell ist, wie dies CIM-Theoretiker und CIM-Anbieter gerne glauben machen wollen, zeigte in Luxemburg der DV-Leiter der Lemmerz Werke, eines in Königswinter beheimateten Zulieferers der Autoindustrie, auf. Hans-Werner Keil, sieht sich als CIM-Anwender von Hard- und Softwarelieferanten nicht so versorgt, wie dies für die optimale systemtechnische Umsetzung eines CIM-Lösungskonzepts erforderlich wäre.

Keil teilte seine aus praktischen Erfahrungen resultierenden CIM-Anwenderwünsche in fünf Rubriken ein: 1. Festlegung verbindlicher Normen für die Übertragung von Daten (Dialog- beziehungsweise Batchorientiert). Keil: "Es darf nicht passieren, daß zwei Hersteller vom gleichen reden, der Verbindungsaufbau zwischen den von ihnen gelieferten Komponenten aber Wochen dauert." 2. Jedes Datenendgerät muß an jedes Rechnersystem (steckerkompatibel) anschließbar sein. 3. Die Datenübertragungsleistung von externen Datenspeichern zum Rechner ist wesentlich zu beschleunigen, da künftig erheblich mehr Daten zu übertragen und zu verarbeiten sind. 4. Bereitstellen von mehr und besseren Werkzeugen zur schnelleren Entwicklung von Anwendersoftware. 5. Die Anwenderproblemstellung ist von der Datenbank oder dem Bildschirmdesign loszulösen.

Das primäre Interesse galt der totalen Automation

Shinichi Ogata, Executive Director der in Tokio beheimateten SRI International, referierte über die Entwicklung der Fertigungsindustrie aus japanischer Sicht. Noch 1985 - so Ogata - sei in seinem Lande kaum ein Artikel über CIM veröffentlicht worden. Die japanischen Computer- und Fertigungsfachzeitschriften hätten das Interesse ihrer Leser primär auf die "totale Fertigungsautomation" gelenkt. Inzwischen würden viele Experten und Fertigungsingenieure sorgfältig die Fortschritte bei CIM beobachten. Das reflektiere sich auch in der Fachpresse.

Wie in anderen Ländern, so gebe es auch in Japan noch keine einheitliche Definition für CIM. Die geläufigste Erklärung sei die eines Fertigungs-Computersystems, das dazu diene, die Produktivität und die Qualität zu erhöhen sowie die Flexibilität zu steigern. Für japanische Firmen sei eine hohe Fertigungsproduktivität lebenswichtig. Zwangsläufig werde CIM dabei künftig eine Schlüsselrolle spielen.

Der von Shinichi Ogata skizzierte Hintergrund für CIM sei weitgehend deckungsgleich mit dem der europäischen Industrie. Auch japanische Firmen hätten mit einem raschen Wandel der Kundenwünsche zu kämpfen.

Der Nutzen von CIM sei aus japanischer Sicht in zwei Kategorien einteilbar. Im ersten Fall ist CIM ein System, das integrierte Informationen für alle fertigungsbezogenen Aktivitäten liefert, um kleine Losgrößen mit geringstmöglichen Kosten produzieren zu können. Zum zweiten erscheint CIM als ein System, das die indirekten Fertigungskosten reduziert. Dabei spiele die vertikale Rechnerintegration, vom Großcomputer bis zum System auf Maschinenlevel, eine Schlüsselrolle.

Relativ wenig CIM derzeit noch in Japan

Nach Angaben von Shinichi Ogata ist der Implementierungsstatus von CIM in Japan derzeit relativ gering. Obwohl das Konzept noch nirgends umfassend eingeführt sei, gebe es graduell durchaus schon beachtliche Implementierungen. Einige Unternehmen der Automobil- und der Elektronikindustrie hätten bereits mit vorbereitenden Schritten für die Einführung von CIM begonnen.

Bis CIM in seiner ganzen Nutzenbreite Realität geworden sei, mußten noch beachtliche Hürden überwunden werden. Der in seiner Firma das Advanced Technology Department leitende Referent teilte die Hindernisse in folgende Kategorien ein: Erforderliche technische Innovationen; Implementierungserleichterungen; Managementaspekte. Der letztgenannte Punkt sei besonders wichtig, da CIM große Investitionen erfordere und eine starke Auswirkung auf das Management habe.

Ein Vier-Phasen-Modell bei der Konzeption

Die in Genua beheimatete Firma Ansoldo Componenti verfügt schon seit einiger Zeit über einen eigenen CIM-Manager namens Rama. Er referierte in Luxemburg über das Vorgehen seines Unternehmens, eines Herstellers von Stromerzeugungsaggregaten, bei der Einführung von CIM.

Die Konzeptionserarbeitung sei - so Rama - in vier Phasen erfolgt. In der ersten, der Analysephase, habe das aus Managern und Spezialisten von Ansoldo Componenti bestehende CIM-Projektteam die Betriebsleiter der von CIM betroffenen Fabriken interviewt und dabei die jeweiligen Informationsflüsse zwischen Marketing, Entwicklung und Konstruktion, Einkauf, Fertigung, Qualitätskontrolle und Verkauf erfragt.

In der zweiten Phase sei ein CIM-Modell definiert worden, in dem festgelegt wurde, welcher Level der Automation und Integration angestrebt wird, und welche Werkzeuge sowie Datenbasen für jede Funktion erforderlich sind.

In der dritten Phase habe das Projektteam die CIM-Systemarchitektur festgelegt. Dies beinhaltet Aussagen darüber, welche Hardware, Software und welche Netzwerke so verfügbar sein sollen und welche Datenbasen verteilt werden sollen. In der vierten Phase schließlich sei ein Implementierungsplan erarbeitet und eine Referenz-Dokumentation erstellt worden. Parallel zur Erarbeitung eines CIM-Master-Plans würde nach Angaben von Rama in einer Elektromotorenfirma mit rund 500 Beschäftigten ein Pilotprojekt gestartet, das dazu diente, die konzeptionellen Ansätze zu überprüfen und eine Erfahrungsbasis für die Implementierung von CIM zu schaffen.

Bull profitiert von Anwendererfahrungen

Ansoldo Componenti hat laut CIM-Manager Rama auch die ungefähren Kosten und den Nutzen der auf sechs Jahre terminierten Einführung von CIM ermittelt. Allein der Aufwand für das CIM-Training der Mitarbeiter für die nächsten sechs Jahre werde mit 150 Mannjahren veranschlagt. Je nach Produkt und Fertigungsart sei als möglicher CIM-Nutzen geschätzt worden: 15 bis 20 Prozent Effektivitätsverbesserung in der Fertigung, 1 bis 2 Prozent Ersparnis im Einkauf und eine 15- bis 20prozentige Reduktion der Lager- und Umlaufbestände.

In bezug auf die sich veränderte Situation in der Fabrik und die computerintegrierte Fertigung ist die Konzernmutter der deutschen Honeywell Bull sowohl ein Anbieter von CIM-Komponenten als auch ein Anwender. Alain Asheuer, Manager der Industrial Management

Division, erläuterte den firmeneigenen Lösungsansatz für CIM. Er sei wesentlich geprägt von den Anforderungen und Erfahrungen des Unternehmens als Anwender. Für Bull stelle sich die Ausgangslage exakt so dar: das unternahmen verspüre einen starken Kostendruck, müsse sich um absolute Liefertreue bemühen sowie schnell und flexibel auf Kundenwünsche reagieren und sei gehalten, für seine Produkte stets nach neuesten Fertigungsverfahren zu suchen.

Dar Ansatzpunkt für die Qualitätssicherung verlagere sich immer mehr weg vom fertigen Produkt. Er beginne bereits bei der Entwicklung und Konstruktion, um dann den ganzen Fertigungsprozeß zu begleiten. Als Unternehmen der Fertigungsindustrie sehe Bull Ansatzpunkte für CIM in allen Unternehmensbereichen, von der Entwicklung und Konstruktion, über den Materialfluß, die Arbeitsorganisation, den Fertigungsprozeß bis hin zur Qualitätssicherung.

Als Hersteller von CIM-Komponenten habe Bull, so Alain Asheuer, aus eigenen und Kunden-Anwendererfahrungen heraus klar erkannt, daß sich eine umfassende, flächendeckende CIM-Lösung nicht mit den Produkten eines einzigen Anbieters realisieren lassen. Wer CIM-Komponenten offeriere, müsse diese daher mit universellen Schnittstellen versehen. Bull bekenne sich klar zu offenen Systemen und dokumentiere dies unter anderem durch seine Mitarbeit bei den unterschiedlichen Normierungsaktivitäten.

Flexibilität bei Bull eine komplexe Aufgabe

Michel Bernhard, Industriell Director von Bull Transac, schilderte praktische CIM-Probleme in der Bull-Gruppe. Flexibilität in die Massenproduktion von Computerhardware zu bringen, sei in der Produktionsstätte Villeneuve d'Ascq eine komplexe Aufgabe. Die bei Lille gelegene Fabrik produzierte Mikrocomputer, Terminals und Arbeitsstationen für die Büroautomation. Bull sei hier einem besonders starkem Marktdruck ausgesetzt. Er zwinge zu häufigem Produktwechsel, zu großen Variationen in den Losgrößen und Konfigurationen und zu höchsten Qualitätsanstrengungen.