Einheitliche Benutzeroberfläche wird zur Herausforderung für die DV-Verantwortlichen:

Anwender formulieren eigene "Menü Wünsche"

21.08.1987

CW-Mitarbeiterin

Ob Workstation, Personal Computer oder Terminal - die Anwender hätten am liebsten auf jedem System einen gleich aufgebauten Bildschirm und eindeutig definierte Funktionsbelegungen ihrer Tastatur. Die DV-Realität präsentiert sich freilich alles andere als einheitlich: hier ein Standardpaket, dort ein selbstentwickeltes Programm - bei unterschiedlicher Hardware. Einheitlichkeit in der Benutzerführung kann nur ein Großanwender mit der Macht seiner Kaufkraft durchsetzen. Doch allmählich begreifen auch die Lösungs-Lieferanten, daß ohne einheitliche Anwendungsumgebung auf Dauer kein Geschäft mehr zu machen ist.

"Wozu brauchen wir SAA - wir haben längst unsere eigene Benutzeroberfläche definiert", kommentiert der DV-Verantwortliche eines bundesdeutschen Versicherungsunternehmens das Announcement der IBM vom 17. März 1987. An diesem Tag nämlich schuf Big Blue eine neue Vision: Die bis dato getrennten Welten von PCs, /3X- und 370-Systemen sollen auf Anwendungsebene vereinheitlicht werden, womit sich ein weiterer Standard setzen ließe. Doch was der Marktführer seinen Kunden anbietet - gleiche "Umweltbedingungen" für Daten-Applikationen, Software-Entwicklung und Kommunikation -, trotzen Großanwender ihren Systemhäusern bereits im zähen Kampf ab.

Der Anwender verlangt nach einer bedienerfreundlichen Datenaufbereitung, und die Lösungslieferanten spuren. Eine Organisation, die sich durchgesetzt hat, ist die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg (BfA) mit ihren insgesamt 146 angeschlossenen Ämtern, die seit Beginn der 80er Jahre mit Bürocomputern ausgestattet sind. 1982 kontrahierte die BfA mit dem Münchner Elektronikkonzern Siemens, im Frühjahr 1987 mit

der Nixdorf AG, Paderborn; die Benutzeroberfläche beider Lösungs-Pakete formulierte jedoch die Bundesbehörde.

"Standardsoftware gibt es natürlich nicht, denn Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Leistungsabwicklung sind nun mal spezielle Aufgaben, die außer uns niemand hat", konstatiert Artur Decker, Leiter Informations- und Kommunikationstechnik bei der BfA. Daher mußten nicht nur die Programme, sondern auch die Masken selbst entwickelt werden. Ein Rahmenkonzept war hierzu bereits 1980 unter der Bezeichnung "Cosima-Linie" (Computersysteme im Arbeitsamt) kreiert worden. Die Investitionen, die die Bundesanstalt in die Entwicklung einer solchen einheitlichen Benutzerführung stecken mußte, konnte sie sich allerdings nur als Großanwender leisten.

An die Benutzermenüs stellen die Nürnberger hohe Anforderungen: Die in den verschiedenen Fachbereichen anfallenden Daten müssen ressortübergreifend abrufbar sein. Die Sachbearbeiter sollen nicht bei jeder neuen Anwendung mit einem anderen Bildaufbau konfrontiert werden. Decker: "Die Anwender dürfen eigentlich nicht merken, was hinter ihrem System steckt."

Nixdorf stapft bei BfA in Siemens-Fußspuren

Festgelegt ist weiter der Zugriffsmodus auf die verschiedenen Dateien nicht nur innerhalb einzelner Ämter, sondern bundesweit. An 146 Orten gleiches Recht anzuwenden, stellt für Decker eine enorme Herausforderung bei der Definition von verbindlichen Standards innerhalb der gesamten BfA dar. Gleiche Funktionalitäten der Software sind deshalb ebenso wichtig wie gleiche Benutzeroberflächen. Und weil man bei der Bundesanstalt ohne DV-Profis auskommen wollte und auch künftig will, sah man sich auf dem Markt nach System-Anbietern um, die diese Cosima-Linie mit verwirklichen konnten.

Siemens rüstete die 40 größten Arbeitsämter mit BS2000-Rechnern aus und entwickelte gleichzeitig für die Belange der Enduser Software "in eigener Zuständigkeit, aber unter Verwendung unserer Rahmenrichtlinien", wie Artur Decker betont. Die Nixdorfer "vollziehen jetzt nach, was Siemens bereits realisiert hat". Bis zum Jahre 1990 sollen in 90 mittleren Arbeitsämtern ausfallgeschützte Targon-/32-Rechner installiert sein; rund 12 000 Beschäftigte haben dann einen DV-Arbeitsplatz. Identische Tastaturbelegung und Bildschirmgestaltung auf allen Systemen hält der DV-Verantwortliche für eine Selbstverständlichkeit beider Unternehmen bei dieser Anwendung.

Moderne Pakete, erklärt Ulf Schiewe, Geschäftsführer der MSA Deutschland GmbH & Co. OHG, Düsseldorf, bieten Komponenten, mit denen der "Anwender seine Individualität bei der Bildschirmgestaltung frei entfalten kann". Ohne diese Möglichkeit läßt sich seiner Meinung nach Software nicht mehr verkaufen. Die meisten Systemhäuser binden daher solche Maskeneditoren in ihre Programmangebote ein.

Eindeutige und übersichtliche Programm-Masken allein machen den Anwender aber noch nicht glücklich, ergänzt Helmut Torkewitz, zu ständig für den Bereich Informationstechnologie für Mikroservice beim Wilhelmshavener Softwarehaus ADV/Orga: "Anwender wollen möglichst wenig Knöpfe drücken." Zudem müsse das System so konzipiert sein, daß sich Fehlbedienungen weitgehend ausschalten ließen.

Ähnliche "Menü-Wünsche" hegen Kunden der Hamburger Hafen und Lagerhaus AG (HHLA), einem Software-Dienstleistungs- und -Entwicklungsunternehmen. In Anspruch genommen wird die HHLA von Handelshäusern wie Ottoversand und Fuji-Film. Obwohl alle mit eigenen DV-Abteilungen ausgestattet sind, entwickelt die HHLA die Software nach den speziellen Vorstellungen der Anwender. Die Benutzeroberflächen für die verschiedenen Programme aus den Bereichen Import und Verteilungslager sind einheitlich und unkompliziert, denn "unter den Hafenarbeitern sind DV-Experten schwer zu finden", sagt HHLA-Mitarbeiter Elmar Traks.

Wirtschaftlichkeit steigt mit gezieltem DV-Einsatz

Ohne den gezielten Einsatz von Datenverarbeitung ist seiner Meinung nach eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit nicht mehr zu erreichen. Dabei kommt aber gerade in einer modernen, dezentral organisierten DV-Welt der "Software-Ergonomie" größte Bedeutung zu. Programme und ihre Erscheinungsform auf dem Bildschirm müssen nicht allein "an die intellektuellen Fähigkeiten des Anwenders angepaßt sein", wie Ludwig Ellermann von der Universität Bremen erläutert; DV-Lösungen müssen vielmehr auch ein Spiegelbild der gesamten "Unternehmenskultur" sein.

Eine weitere Anforderung an benutzerfreundliche Programme formuliert Elmar Traks von der Hafen und Lagerhaus AG in Hamburg: "Wenn Datenverarbeitung als Mittel zum Zweck eingesetzt wird, haben Betriebe keine Alternative zu maß- und anwendergeschneiderten Programmen." Standardpakete, die den Benutzern aus Kostengründen zunächst vor die Nase gesetzt würden, führten nicht selten in eine Sackgasse: "Wenn diese Systeme nicht funktionieren, stehen die Unternehmen vor der Wahl, entweder die interne Organisation des Betriebes so zu ändern, daß die Standardlösung paßt, oder für viel Geld ein individuelles Konzept entwickeln zu lassen." Fällt die Entscheidung dann schließlich zugunsten des firmenspezifischen Systems, ist meist schon reichlich Lehrgeld bezahlt worden.

Weniger selbstbewußte Unternehmen beugen sich da zunächst noch lieber der Strategie des Marktführers - und setzen auf "Qualität durch Stärke". Beispielhaft hierfür ist die württembergische Stadt Esslingen, die "mit einer 4381-02 noch mitten in der Aufbauphase" steckt, wie Dieter Ihle berichtet, der als Amtsleiter des Hauptamts unter anderem für Org./ DV zuständig ist.

Eine einheitliche Benutzeroberfläche hat hier noch keine der drei dem Hauptamt unterstellten Amtsstellen gefordert. Im Gegenteil: Vor rund drei Jahren, rekapituliert Ihle, hatte man den Sachbearbeitern des Krankenhauses, der Stadtwerke und Verkehrsbetriebe das IBM-Anwendungssystem AS überlassen.

IBM-Systemlösung war zu kompliziert

Doch die Angestellten und Beamten konnten mit dem Programm nichts anfangen - die Maskengestaltung erwies sich als zu komplex. Die Verwaltungsabteilungen lehnten das System ab; AS wurde nicht installiert. Auch gegenwärtig besteht noch kein Verlangen nach einer einheitlichen Bildschirm-Oberfläche für alle Applikationen. Dieter Ihle: "Im Moment finden wir verschiedene Bildschirmdarstellungen für die Unterscheidung der Anwendungen sehr hilfreich". Über die Realisierung einer einheitlichen Menüführung werde man "später einmal" nachdenken, wenn die Bedienung der einzelnen Programme zu umständlich wird und die Insellösungen überhand nehmen.

Im Augenblick hat die Stadt Esslingen allerdings mit Schwierigkeiten solcher Art nicht zu kämpfen: Das Gros der Sachbearbeiter hantiert nämlich noch mit Listen und Karteikarten - und nicht mit Dateien. Die Zielrichtung der Datenverarbeitung steht für Dieter Ihle indes fest: "Im Zweifel für den Endanwender!"