Anwender forderten Client-Server-Architektur Roche beschloss Migration von Minicomputern auf PC-Systeme

11.03.1994

Die DV-Abteilung des Baseler Pharmariesen F. Hoffmann-La Roche bekam Druck von unten: Marketing-Verantwortliche aus 40 Laendern forderten den Aufbau eines globalen Informationssystems auf PC- und Windows-Basis - und somit die Abkehr vom Minicomputer. Alain Blaes* berichtet ueber die Umstellung auf PC-basierte Client- Server-Systeme.

Die Entscheidung trafen die "Medical Manager" des Konzerns in Sankt Moritz waehrend eines weltweiten Meetings. Medical Manager sind bei Roche - so wird der Schweizer Konzern gemeinhin genannt - Produktverantwortliche im Marketing.

Die Medical Manager kritisierten vor allem die stockende Kommunikation zwischen den einzelnen Unternehmensstellen und forderten Besserung. Ein globales Informationssystem, auf das alle Zugriff haben wuerden, sollte ihr Problem loesen. In der Pharmaindustrie sind die wichtigsten Marketing-Mittel klinische Studien, die mehrere Jahre andauern koennen und in Kliniken, Forschungszentren oder bei praktischen Aerzten durchgefuehrt werden. Sie beweisen die Vorteile eines Produkts oder finden Nebenwirkungen heraus, die gelegentlich erst in langfristigen Tests zutage treten. Ferner helfen klinische Pruefungen die Einsatzmoeglichkeiten eines Praeparats zu definieren - alles wichtige Erkenntnisse fuer die Marketiers des Pharmakonzerns.

Rege Kommunikation zwingend notwendig

Weil jeder Medical Manager, der eine Studie zu einem Produkt lokal durchfuehrt, auf Informationen seiner Kollegen aus anderen Laendern angewiesen ist, um seine Ergebnisse zu vervollstaendigen, ist eine rege Kommunikation angesagt. Faxe und Telefone liefen in der Vergangenheit heiss, um die Infor-mationen zu erhalten - oft ohne Erfolg: Mal ist der Kollege im anderen Land verreist oder krank, mal funktioniert das Fax nicht, und ab und zu wurden Dateien zugesandt, die auf Stand-alone-PC-Datenbanken laienhaft erstellt worden waren und nicht ausgewertet werden konnten - ein muehsames Vorgehen. Auf die Kritik der Medical manager hin wurde das Kommunikationsprojekt "Medical Information Network" (Mednet) aufgesetzt. Leiter Dieter Reichert (Basel) startete einen Pilotversuch unter dem Datenbanksystem Oracle, das auf einer VAX- Plattform ablief - und von den kuenftigen Usern prompt abgelehnt wurde: "Zu benutzerunfreundlich", so der Kommentar der Marketiers, die laut Reichert "in der Regel Computerlaien" sind und eine grafische, intuitive Oberflaeche verlangen.

So blieb den Informatikern nichts anderes uebrig, als der gewohnten Minicomputerwelt den Ruecken zu kehren und sich, zumindest Front- end-seitig, dem PC zuzuwenden.

Weil der Zugriff vom PC auf die Oracle-Daten der VAX nicht ganz reibungslos lief, entschied das Team um Reichert kurzerhand, auch das Back-end auf dem PC einzurichten. Die Entscheidung fiel dabei zugunsten von Guptas Datenbank-Server "SQL Base". Die Front-end- Applikationen, so beschloss man, wuerden mit "SQL Windows" erstellt.

Mednet ist ein weltweites Online-Informationssystem, das die Roche-Zentrale mit den einzelnen Landesgesellschaften verbindet. Die DV-Spezialisten entwickelten eine Art Hyperoberflaeche, eine Kombination aus Datei- und Programm-Manager, die auf Windows aufsetzt, aber einfacher zu bedienen ist. Sie integriert Standardapplikationen wie Winword oder Excel, das E-Mail-Programm cc:mail sowie verschiedene selbstentwickelte Roche-Applikationen. Die wichtigste davon ist, "Clinical Trials Overview Database" (CTO); sie verwaltet die klinischen Studien und ist exakt auf die Beduerfnisse der Medical Manager zugeschnitten.

Voraussetzung fuer die angestrebte Verbesserung der weltweiten Kommunikation war, dass die Landesgesellschaften LANs installierten, damit sie via Weitverkehrsnetz (X.25) mit anderen Roche-Toechtern und der Zentrale kommunizieren koennen. Die Hardwarevoraussetzungen sehen in den Laendern weitgehend gleich aus: 386er- oder 486er-PCs als Clients sowie ein Novell-Netz mit entsprechenden Fileservern (meist 486er mit einer Festplattenkapazitaet von 600 MB bis 1 GB und mindestens 16 MB Hauptspeicher).

Die Medical Manager sind nunmehr angehalten, die Ergebnisse ihrer Studien in CTO einzugeben, wo sie lokal gespeichert werden und den Kollegen in den anderen Laendern zur Verfuegung stehen. Eine Kopie aller relevanten lokalen Daten wird zentral in Basel abgelegt. Sie stellt zwar nur eine Uebersicht der Aktivitaeten dar, die global durchgefuehrt werden, dafuer erlaubt sie aber dem lokalen Medical Manager, schnell und problemlos einen ersten Eindruck ueber die laufenden Projekte zu gewinnen. Von da aus kann er auf die in Frage kommenden lokalen Datenbank-Server zugreifen, um dort weitere Informationen einzuholen.

Mednet ist ein Beispiel fuer die Macht der Anwender - auch in Grossunternehmen. Zentrale DV-Abteilungen haben erkannt, dass sie Applikationen in Zusammenarbeit mit den Usern mit ihm entwickeln muessen. Bei Roche ist daraus ein vorbildliches System entstanden, das den Bruch zwischen althergebrachter und moderner DV deutlich dokumentiert:

- PC-Datenbank-Server stehen denen der Mini- und Mainframe-Welt in nichts mehr nach - im Gegenteil. Sie liefern heute oft bessere Performance als mancher Grossrechner. Auch die Sicherheits-Features von Datenbank-Servern koennen mit den Hosts konkurrieren: Crash- Recovery oder Online-Backup sind mittlerweile Standard, und auch die sonstige Funktionalitaet hat Host-Niveau, etwa mit Features wie Stored Procedures, Triggers und Scrollable Cursors.

- 4GL-Tools erlauben heute Teamprogrammierung und die Erstellung unternehmensweiter Client-Server-Applikationen. "Sie sind schnell zu erlernen und man kommt sehr schnell zum Ergebnis, insbesondere beim Prototyping", unterstreicht Reichert. Erstellungskosten fuer Applikationen betragen oft nur einen Bruchteil dessen, was in der Host-Welt investiert werden muss und schonen die Budgets.

- Die grafische Oberflaeche von Windows findet groesste Akzeptanz bei den Anwendern - groessere auf jeden Fall als Terminals mit der umstaendlichen Bedienerfuehrung und anwenderfeindlicher Zeichenorientierung.

- Die Weiterverarbeitung von Daten ist auf dem PC mit Standardsoftware problemlos.

Fuer die Medical Manager von Roche hat die grafische Oberflaeche von Mednet und CTO "eine wesentliche Rolle gespielt", so Projektleiter Reichert. Die Motivation, das System auch wirklich intensiv zu nutzen, ist gross.

Mednet soll ueber 1000 Anwender verbinden

Nicht nur schneller erhalten die Marketiers jetzt ihre Information, die laut Reichert "frueher sehr muehsam zusammengetragen werden musste". Auch die Arbeitsqualitaet hat sich seit der Einfuehrung der PC-Applikation wesentlich verbessert. So kann der Status von Studien oefter abgerufen werden, eine Feinsteuerung ist deshalb prinzipiell moeglich. In den gleichen Zeitabstaenden koennen beispielsweise aktuelle Daten fuer Reports oder Praesentationen weiterverarbeitet werden - eine grosse Hilfe fuer das Management, das eingehender informiert werden kann. Auch ist der Dialog mit dem "International Medical Manager", eine Art Supervisor, massgeblich unkomplizierter geworden. Auf einfache Weise koennen von ihm jetzt beispielsweise Studien genehmigt oder auch offiziell abgeschlossen werden. "All das hilft uns, wettbewerbsfaehiger zu werden", unterstreicht Reichert.

In der Endausbaustufe soll Mednet annaehernd 40 Landesgesellschaften und ueber 1000 Anwender am PC miteinander verbinden. Reichert naehert sich diesem Ziel mit grossen Schritten: Die Firmensitze aus 18 Laendern haben sich bereits eingeklinkt.

*Alain Blaes ist freier Journalist in Muenchen.