Data-Warehouse/

Anwender berichten nicht nur Positives

02.05.1997

Andreas Zilch, Research Director der Meta Group, nimmt kein Blatt vor den Mund: "Wir wissen von zahlreichen Projekten, die ein umfassendes Corporate-Warehouse zum Ziel hatten, jedoch bereits in der Evaluierungsphase im Sande verlaufen sind."

Eines ist klar: Viele Unternehmen beschäftigen sich mit dem Aufbau eines Data-Warehouse. Hochleistungsrechner, relationale Datenbanksysteme sowie Werkzeuge für Datenzugriff und -analyse stehen ganz oben auf der Wunschliste der Anwender. Siebenstellige Investitionsvolumen für die Projekte sind keine Seltenheit.

Wer ganz sicher gehen will, bindet sich an einen Partner, der die Generalunternehmerschaft für das Gesamtprojekt übernimmt. Key-Player auf dem deutschen Markt für DW-Dienstleistungen sind HP, SNI, Oracle, Informix, SAG, SAS Institute und Beratungshäuser wie CSC-Ploenzke oder Andersen Consulting.

Wer ein Data-Warehouse baut, hat es nicht auf DV-Lorbeeren abgesehen, sondern will Marktlücken erschließen oder seine Vertriebsstrukturen neu ordnen. Wo immer bei der Zusammenführung von Datenressourcen ein strategischer Vorteil winkt, macht sich Data-Warehousing bezahlt.

Ein Paradebeispiel für die Funktionsweise eines Data-Warehouse ist die exakte Erstellung von Kaufverhaltensprofilen, die aus Informationen über Mitbewerber und Kunden hervorgehen. Versicherungsunternehmen etwa ermitteln aus aktualisierten Kundendaten, wo sich neue Sicherheitsbedürfnisse in konkrete Leistungsangebote ummünzen lassen. Dienstleistungsspezialisten nutzen ein Data-Warehouse, um ihre Kunden durch besseren Service bei der Stange zu halten.

Insgesamt ermöglicht die Technologie ein permanentes Feedback über die eigenen Unternehmensprozesse, was wiederum kundenorientiertes Verhalten fördern könnte. "Vor allem der Aspekt der Entscheidungsunterstützung ist eines der zentralen Themen der Datenverarbeitung", erklärt Zilch. "Stark engagiert sind Handel, Banken und Versicherungen sowie die Telekommunikation. Überall, wo Monopole wanken, ist Data-Warehousing im Kommen. Wettbewerb ist die Grundvoraussetzung für Data-Warehousing."

Zu den Unternehmen, die sich hierzulande auf die Herausforderung Data-Warehouse einlassen, zählt die E-Plus Mobilfunk GmbH in Düsseldorf. Wie Projektleiter Martin Tins berichtet, soll das DW ab Juni im Testbetrieb laufen. Für Anfang September ist die erste Stufe des Produktionsbetriebs geplant. Zehn 250-Megahertz-Parallelprozessoren auf der Sun 6000 sollen fünf Millionen Datensätze pro Tag durcharbeiten, damit sich Marketiers und Vertriebsspezialisten, aber auch Analysten und Controller ein Bild von ihren Tarifstrukturen und Servicediensten machen können.

Spezialisten geben sich die Klinke in die Hand

Seit Anfang 1995 die Data- Warehouse-Idee aufkam, bastelt der Telekommunikationsspezialist an der Ausgestaltung des Systems, dessen Projektkosten sich inzwischen auf mehrere Millionen Mark belaufen. Evaluation, Akquisition und konkrete Projektplanung dauerten allein gut anderthalb Jahre.

Zahlreiche Anbieter strichen angesichts des Anforderungsprofils in der Telekommunikationsbranche frühzeitig die Segel. Heute geben sich Spezialisten von Sun, Informix, Prism, Arbor und Unternehmensberatungen im Norden Düsseldorfs die Klinke in die Hand, damit das Prestigeprojekt wie geplant zum Abschluß kommt.

"Information ins Unternehmen bringen", so Tins, sei die wichtigste Zielsetzung des gesamten Projekts. Nachdem die Geschäftsführung überzeugt worden war, habe sie das Projekt zur Chefsache erklärt. Zwar liege man gegenüber der D2-Konkurrenz und deren inzwischen abgeschlossenem Data-Warehouse-Projekt etwas zurück.

Doch mit seiner vergleichbar höheren Komplexität werde E-Plus "den Wettbewerbern in nichts nachstehen". Sobald das Projektziel erreicht sei, wolle man vor allem operativen Marketing-Zwecken dienen.

Mit ausgefeilten kundenspezifischen Vorschlägen und neuen Serviceangeboten rechnet sich das Unternehmen gute Marktchancen aus.

Während E-Plus, so Produktmanager Detlef Scholz, gerade auf die Ziellinie einbiegt, sonnt sich ein anderer Anwender bereits im Glanz frisch erworbener Meriten. So wurde die R+V Versicherung 1996 für ihr DW-Projekt ausgezeichnet, das freilich in weitere Aufgabenbereiche expandieren soll. Im Unterschied zu der Mehrheit heutiger DW-Projekte verfolgt die R+V einen gesamtunternehmerischen Ansatz.

In dem Projekt, das im Bereich Systementwicklung entstanden ist, arbeiten Helmut Schönherr und etwa 20 Kollegen an einer konsolidierten, nachvollziehbaren Datenbasis für alle Geschäftsbereiche der Versicherung. Eine Basis von über 4000 Außendienstmitarbeitern, 2600 Banken mit rund 20000 Zweigstellen und zahlreichen Agenturen hatte die Belastbarkeit des Großrechners in Wiesbaden zu sehr strapaziert. Für Quartalsauswertungen lief der Mainframe rund 50 Stunden an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit, an ein monatliches Reporting war überhaupt nicht zu denken.

Heute leisten das zwei Unix-Server mit 24 parallel arbeitenden Prozessoren in einem Viertel der Zeit, obwohl sich der Datenbestand inzwischen auf über 100 Gigabyte vervierfacht hat. Auf die mehrdimensionale und vereinheitlichte Datenstruktur, die bis in die Ergebnisse der kleinsten Vertriebseinheit hinunterreicht, greifen Führungskräfte, Con- troller, Filialen und Versicherungsverkäufer zu, um schnell über Produkte, Tarife und Strategien entscheiden zu können.

An einem anderen Großprojekt werkelt Rolf Giersch. Der DV-Berater und Geschäftsführer der Wiese + Partner Unternehmensberatung in Hamburg arbeitet seit Anfang 1995 an einem Data-Warehouse für die Sparkassenversicherung in Wiesbaden. Rund 13 Manntage pro Monat steht Giersch "Gewehr bei Fuß", um ein sogenanntes "Führungsinformationssystem" (FIS) auf die Beine zu stellen. (Vergleiche auch Interview in CW 27 vom 5. Juli 1996, S. 41ff.)

Das Anforderungsprofil ist "nicht von Pappe": Der alle Bereiche und Datenstrukturen umfassende Ansatz soll die wesentlichen Geschäftsprozesse abbilden, die Datenbasis für alle Auswertungen vereinheitlichen und last, but not least, die DV entlasten. Zwar liegt das vom Vertrieb angestoßene Projekt im großen und ganzen auf Planungskurs, doch um die aufgetretenen Probleme macht Giersch keinen Bogen: "Vor allem die Anforderungen der Fachbereiche verursachen oft hohen DV-Aufwand, der eine Realisierung teuer macht oder ganz verhindert."

Das Daten-Management sei zeitaufwendig und auch der Aufbau der Client-Server-Architektur nicht ohne Tücke, weshalb man sich zu umfassendem System-Management entschlossen habe. Zudem gebe es immer wieder Akzeptanzprobleme bei den Anwendern, wenn entweder die Datenqualität nicht stimmt, technische Konflikte wie zum Beispiel beim Ausfall von Servern und Netzen die DW-Nutzung erschweren, Daten nicht eindeutig und einheitlich definiert werden und wenn Oberflächen nicht anwenderfreundlich und intuitiv nutzbar sind. Giersch bestätigt damit ein vielleicht zu wenig berücksichtigtes Phänomen: Über Erfolg oder Mißerfolg eines Data-Warehouse stimmen die Anwender auf ihren Tastaturen ab.

Platzhirsch im Wiesbadener Sparkassenversicherungsprojekt ist der DW-Spezialist SAS Institute. Der als die "IBM der DW- Sphäre" beleumundete Player zieht sich vor allem Großprojekte an Land. SAS liefert die Software für die DW-Entwicklung und den DW-Betrieb sowie die notwendigen Systemexperten.

Bei der Sparkassenversicherung sollen demnächst Führungskräfte, Mitarbeiter in den Fachbereichen und Controller auf Standreports, Simulationen und Ad-hoc-Abfragen zugreifen können. Sollte das Projekt trotz aller Probleme zu einem erfreulichen Abschluß kommen, sind - laut Giersch - weitere Ausbaupläne vorgesehen. Neben der Verfeinerung der Planungswerkzeuge soll auch das Data-Mining eine Chance erhalten. Die Verantwortung für die DW-Weiterentwicklung soll künftig in DV- und Fachabteilungen liegen. Die technischen Probleme und die individuellen Sorgen des Topmanagements oder Vorstands unter einen Hut zu bringen, sei Erkennungszeichen großangelegter DW-Projekte, meint zum Beispiel R+V-Manager Schönherr. Wer hier einen Tummelplatz für DV-Experimente vermutet, liegt völlig daneben. Gefragt sind weniger DV-, sondern vielmehr betriebswirtschaftliche Wissensgebiete, nach Möglichkeit vor internationalem Hintergrund. Gefragt sind Kompetenzen im Projekt-Management und Erfahrung in der Teamarbeit in interdisziplinären Konstellationen. Beileibe kein Terrain für selbstverliebte DV-Darsteller.

Meta-Group-Analyst Zilch gibt DW-Interessenten einen grundsätzlichen Rat: Man sollte nicht auf fertige Produkte hoffen, sondern komplette Lösungen anstreben, und zwar zum Festpreis. Viele Anbieter hätten inzwischen ihre Bereitschaft signalisiert, auf dieser Grundlage zu arbeiten. Ein weitverbreiteter Fehler sei es, so Zilch, von vornherein das perfekte Data-Warehouse im Auge zu haben. Die bessere Variante beginne mit einem Pilotprojekt oder einem abteilungsbezogenen Data-Mart.

Dieser Empfehlung ist die Firma Espe Dentalmedizin im oberbayerischen Seefeld von vornherein gefolgt. Der Anstoß zum Data-Warehousing kam aus der Geschäftsführung, die für ein "generelles Umdenken", so Projektleiter Christian Wagner, in Fragen des Informations-Managements eintrat. Wo drückt der Schuh im weltweiten Außendienst, wie entwickeln sich die Margen, sind die Ausgaben unter Kontrolle, wie schnell antworten wir auf Serviceanfragen?

Bei Espe war man sich einig: Heute reicht es nicht mehr aus, Datenvolumen zentral vorzuhalten und je nach Anforderung programmiertechnisch abzurufen. Dies wäre eine aufwendige und dem steigenden Anspruch nach schnellem Datentransfer nicht mehr entsprechende Leistung. Zudem wird die Datenverarbeitung immer mehr auf die individuellen Bedürfnisse der Anwender ausgerichtet.

Niemand möchte sich noch länger an den Möglichkeiten und Grenzen eines Programmcodes orientieren. Doch obwohl Informationen für Trendanalysen, Marktbeobachtungen und die eigenen Ergebnisse im Überfluß existieren, gelingt es anscheinend nicht, sie effizient zu bündeln und für überzeugende Auswertungen zu verwenden. Ein für die Qualität von Entscheidungen äußerst problematischer Umstand.

Auf der Basis einer Oracle-Datenbank und des von Cognos gekauften Tools "Powerplay" für Online Analytical Processing konfigurierten Wagner und seine Kollegen ein Data-Mart, das Vertriebs-, Bestands- und in Zukunft auch Kundeninformationen auf Knopfdruck liefert - und zwar an Mitarbeiter über alle Hierarchien hinweg. Die Akzeptanz der neuen Abfrage- und Analyseinstrumente sei erstaunlich gut, berichtet Wagner.

Von den bislang üblichen meterlangen Listen habe sich jeder gerne getrennt. Nur das "Selber-machen", eine Grundbedingung für den erfolgreichen Einsatz des Datamarts, gelinge nicht jedem Anwender von heute auf morgen. Auf jeden Fall, bilanziert Wagner, habe das System zu mehr Transparenz geführt. Umsatz und Kosten gehören in Seefeld künftig untrennbar zusammen.

*Max Leonberg ist freier Journalist in München.