Preispoker in Krisenzeiten

Anwender bekommen mehr IT fürs Geld

20.06.2003
MÜNCHEN (rg) - Viele Anwender trotzen derzeit den IT-Herstellern deutliche Preisnachlässe ab. Die Verhandlungsspielräume fallen jedoch bei Hardware, Software und Dienstleistungen unterschiedlich aus.

"Die Preise haben einen historischen Tiefpunkt erreicht", fasst Gérard Richter ,Senior Project-Manager bei Roland Berger Strategy Consultants'' die Situation am IT-Markt zusammen. Die Margen würden immer geringer, es finde ein knallharter Verdrängungswettbewerb statt. Zum Margenverfall kommt laut Richter der Auftritt neuer Marktteilnehmer: "Vor zwei Jahren hätte niemand gedacht, dass eine Großstadt wie München auf Linux migriert." Das löse eine Entwicklung aus, die sogar Microsoft dazu bewogen hätte, deutliche Preisnachlässe zu gewähren. "Und wenn Microsoft die Preise senkt, ist dies ein deutliches Warnsignal für alle Marktteilnehmer", so die Einschätzung des Unternehmensberaters.

In der Folge seien viele Anbieter mittlerweile bereit, kostenfrei Zusatzleistungen zu gewähren, beispielsweise bei der Integration ihrer Software. Außerdem würden derzeit attraktive Pakete aus Hardware, Software und Dienstleistungen angeboten. Häufig könnten Anwender diese Pakete dann zusätzlich mit monatlichen Gebühren auf Leasingbasis abgelten, weiß Richter. Die Anbieter gingen dabei bis an ihre Schmerzgrenze.

Eine weitere Folge des Verdrängungswettbewerbs seien Angebote von IT-Dienstleistern, Integrationen zu Fixpreisen zu verkaufen, ohne vorher eine detaillierte Analyse der aktuellen Systeme vorzunehmen, so Richter weiter. Die Hersteller hofften, beim notwendigen Check der jeweiligen Systeme auf Lücken zu stoßen, die ihnen die Chance bieten, zusätzliche Angebote zu unterbreiten. Insgesamt gebe es für die Anwender eine Reihe von Möglichkeiten, die den IT-Einkauf billiger werden ließen.

Zumindest größere Unternehmen nutzen die Branchenkrise, um IT günstiger einzukaufen. "Selbstverständlich kann man derzeit Konditionen neu verhandeln, und wir nutzen diese Möglichkeit auch", bringt Heinz Köhler, Bereichsleiter IT-Infrastruktur und -Technologie bei Eon Energie, die neue Verhandlungsmacht auf den Punkt. "Entweder wir raufen uns mit dem bevorzugtem Anbieter zusammen, oder die Wege trennen sich." Es sei durchaus schon vorgekommen, dass sein Unternehmen den Hersteller gewechselt habe, weil der alte zu unflexibel gewesen sei. Zu den derzeit erreichbaren Preisnachlässen will Köhler keine pauschalen Aussagen machen - die hingen stark von der Marktstellung des Anbieters ab, wobei sich die Verhandlungen mit den Großen der Branche naturgemäß etwas schwieriger gestalteten.

Köhlers Einschätzung bestätigt auch Reinhold Noppe, Abteilungsleiter IT-Beratung und Softwareentwicklung beim Technischen Einkauf der BMW Group.

In puncto Preisnachlässen müssten die IT-Bereiche getrennt betrachtet werden. Im Hardwareumfeld fielen die Preise beispielsweise schon seit Jahren. Hier hätten sich die Beschaffungsprozesse deshalb kaum verändert. Bei Servern unterscheidet die BMW-Group beispielsweise die Kategorien Lowend- und Highend-Server, die auch separat verhandelt werden. Mit den Anbietern kleinerer Rechner hat der Autobauer Rahmenverträge ausgehandelt. Endanwender können diese Geräte über eine Benutzer-DV-Liste direkt beim Lieferanten abrufen. Abnahmemengen und Konditionen verhandelt der technische Einkauf immer für ein Jahr.

Bei den Highend-Servern verfolgt der Konzern einen anderen Ansatz: " Hier bündeln wir die Bedarfe, schreiben sie aus, gehen dann in die Verhandlungen und entscheiden uns schließlich für einen einzigen Anbieter", erläutert der IT-Einkäufer. Das bedeute nicht, dass bei den Verhandlungen immer derselbe Hersteller zum Zuge komme. "Die BMW-Group stellt sich dem Wettbewerb, und das erwarten wir auch von unseren Zulieferern", so Noppes Credo.

Großes Sparpotenzial bei IT-Dienstleistungen

Am stärksten habe sich der Bereich Beratung und Softwareentwicklung in Richtung Käufermarkt bewegt, beobachtet Noppe. "Hier haben wir in Einzelfällen Preise erzielt, die mehr als 50 Prozent unter den bereits verhandelten Angeboten lagen", bilanziert der Einkaufsprofi. Diese Schnäppchen seinen natürlich nicht dauerhaft zu erzielen und beschränkten sich auf einzelne eng umrissene Projekte. Bei den neuen Auftragsvergaben der vergangenen vier Wochen habe die BMW-Group Preise erzielen können, die im Durchschnitt um 25 Prozent unter den vorher verhandelten Konditionen gelegen hätten, obwohl schon diese Preise deutliche Nachlässe enthielten. "Vor zwei Jahren waren wir noch genötigt, sehr hohe Vergütungen zu akzeptieren, um gute Berater zu bekommen. Heute stehen die Spezialisten Schlange", stellt Noppe nüchtern fest. Anders sehe es dagegen im Softwarebereich aus. Nachlässe auf bereits rabattierte Preise gebe es dort nicht. Hier verhandelt BMW die Konditionen einmal im Jahr für die folgenden zwölf Monate. Dabei festgeschriebene Konditionen werden bei kleineren Softwareprojekten zu Grunde gelegt. Startet das Unternehmen jedoch ein Großprojekt, gehen die Einkäufer in Nachverhandlungen. Anfragen bei Wettbewerbern sind wegen der Jahresvereinbarungen nicht ausgeschlossen.

Mit SAP, so Noppe, habe BMW beispielsweise ein Gesamtvolumen für die nächsten fünf Jahre verhandelt. Das beinhalte aber keine Zusage, dass es zu diesem Gesamtabschluss kommen werde. Damit sei sein Unternehmen in der Lage, einzelne Projekte aus dem Gesamtverhandlungswerk mit SAP herauszubrechen und an den Wettbewerb zu vergeben, wenn sich zeige, dass die Lösung eines Konkurrenten deutlich günstiger ist.

Rabatte in die Zukunft retten

Bei den Wartungsgebühren bestehen die BMW-Einkäufer darauf, dass diese nach dem Kaufpreis und nicht nach den Listenpreisen berechnet werden. "Da akzeptieren wir auch keine Gebührenhöhe von 20 Prozent oder mehr - wir liegen deutlich darunter", so Noppe. "Alles andere wäre nicht zu verantworten." Wenn ein Softwareanbieter für die Wartung 20 bis 30 Prozent seiner Listenpreise berechne, bedeute das für den Kunden finanziell, dass er das Produkt innerhalb von drei bis vier Jahren quasi noch einmal kaufen müsse.

Generell versucht die BMW-Group, die Situation zu nutzen, um die gegenwärtig günstigen Preise in die Zukunft zu retten. Bei längerfristigen Vorhaben handeln die Einkaufsspezialisten Rahmenverträge aus. Ansonsten versuchen sie mittels Geschäftsvereinbarungen, den derzeitigen Preis-Level auch künftig zu halten. Diese Abschlüsse haben allerdings nicht den Charakter von Rahmenverträgen, da hier keine konkreten Aufträge verhandelt werden.

Von Rahmenverträgen mit Microsoft und SAP profitieren auch die vielen Landesniederlassungen und Töchter der Rütgers AG. Der dezentral organisierte Chemiekonzern stellt in vier eigenständigen Unternehmensbereichen Spezialkunststoffe her, erzielte 2002 weltweit einen Umsatz von 2,4 Milliarden Euro und verfügt über ein beträchtliches IT-Budget.

"Früher sind wir immer losgelaufen und haben lokal eingekauft", beschreibt CIO Klaus Mazurek die Einkaufsstrategie für IT-Komponenten und -Dienstleistungen. In den vergangenen Monaten habe der Konzern jedoch auch Softwareeinkäufe bündeln können, die noch nicht durch die Rahmenverträge mit Microsoft und SAP abgedeckt wurden. "Bei diesen Ausschreibungen haben wir phantastische Konditionen erzielen können, die in Einzelfällen 60 Prozent unter früheren Preisen lagen", freut sich der IT-Chef.

Verhandelt wurden dabei in erster Linie Konditionen für die Lizenzierung von PC-Software wie Tourenplaner, Virenschutzprogramme oder CAD-Systeme. Dabei mussten nicht einmal Mengenverpflichtungen eingegangen werden. "Dieser ganze Kleinkram summiert sich im Konzern auf ein Volumen von rund drei Millionen Euro", so Mazurek. Außerdem habe Rütgers sowohl bei Herstellern als auch Distributoren eine Reihe von zusätzlichen Serviceleistungen ausgehandelt. Durch die Bedarfsbündelung werde man als Kunde für die Anbieter natürlich attraktiver, aber auch die aktuelle Marktsituation habe bei den Verhandlungen sehr geholfen. Einem der billigsten Anbieter konnte Rütgers allerdings keinen Zuschlag erteilen. "Der war zu klein, als dass er unsere weltweiten Anforderungen logistisch erfüllen könnte."

Auch im Hardwarebereich hat der Konzern seine Bedarfe gebündelt und Verträge mit Distributoren und Herstellern wie Fujitsu-Siemens, HP und Sun ausgehandelt. Dell kam dabei nicht zum Zuge, obwohl die Niederlassungen in den USA verstärkt Dell-Produkte einsetzen. An dieser Stelle weicht Mazurek deutlich von der gängigen Beratermeinung ab, möglichst die komplette IT zu standardisieren. Er will die amerikanischen Töchter keinesfalls zwingen, auf die Geräte der Unternehmen zu wechseln, mit denen Rahmenverträge abgeschlossen wurden. "Wir verzichten darauf, Druck auszuüben. Das funktioniert sowieso nicht und sorgt für schlechtes Klima", begründet der CIO seine liberale Haltung. Die Töchter hätten schließlich gute Gründe für die Wahl von Dell und darüber hinaus viel Know-how aufgebaut. Ein Wechsel der Hardwarestrategie sei nicht sinnvoll, nur um ein paar Euro zu sparen.

Nicht alles eignet sich für zentralen Einkauf

In der Folge hält Mazurek bei international aufgestellten Unternehmen wenig von der Zentralisierung des Einkaufs. Eine strikte Standardisierung lohne nur, wenn alle Komponenten auch vor Ort betreut werden könnten: "Das will ich sehen, wenn beim deutschen Einkäufer ein Chinese anruft. Der weiß doch nicht mal, was der für einen Stecker braucht." Es sei fast unmöglich, Spezialisten zu finden, die sich sowohl mit den lokalen Einfuhr- und Zollbestimmungen als auch mit der IT auskennen. Bei weltweit tätigen Konzernen erzeuge die strikte Bedarfsbündelung, ergänzt durch aufwändige Kontrollmechanismen, einen riesigen Overhead, der mögliche Einsparungen wieder schlucke.

Tipps für den IT-Einkauf

Ein Bericht der Unternehmensberatung McKinsey kommt zu dem Schluss, dass Anwenderunternehmen zehn bis zwanzig Prozent beim IT-Einkauf sparen können, wenn es ihnen gelingt, drei Kernfragen besser in den Griff zu bekommen:

- Wie viel müssen wir kaufen?

- Wie können wir verhandeln?

- Wie gehen wir bei Beschaffungen vor?

Unternehmen müssen demnach überlegen, ob sie eher von Bündelungseffekten eines zentralen Einkaufs profitieren können oder ob es günstiger ist, lokal einzukaufen. Zumindest sollten sie unternehmensweit alle Informationen und Daten zur IT-Beschaffung sammeln, um Potenziale für die Bedarfsbündelung zu erkennen. Insbesondere warnen die Autoren davor, - wie in vielen Unternehmen immer noch üblich - IT-Manager mit dem Einkauf allein zu lassen. Einkaufsteams sollten stattdessen immer sowohl mit Beschaffungs- als auch IT-Spezialisten besetzt sein.

Außerdem fehlen bei Anwendern häufig klar strukturierte Einkaufsprozesse. Dazu zählen Methoden, den Bedarf der User zu ermitteln sowie zur Auswahl von bevorzugten Anbietern oder für Analysen, wie Verträge mit IT-Zulieferern zu besonders günstigen Konditionen abgeschlossen werden können. Erst wenn Unternehmen diese Hausaufgaben erledigt haben, können sie nicht nur in der Krise den einen oder anderen Rabatt erlangen, sondern auch langfristig beim IT-Einkauf sparen.

Die McKinsey-Berater verweisen ferner darauf, dass IT-Hersteller sehr viel Aufwand betreiben, um so viel wie möglich über ihre Kunden in Erfahrung zu bringen. Die Anwender seien jedoch über die Anbieter und deren Leistungsportfolio in der Regel nicht ausreichend informiert. Derartiges Wissen stärke aber die Verhandlungsposition und biete darüber hinaus einen gewissen Schutz vor unliebsamen Überraschungen.