Unsicherheit über Brüsseler SW-Richtlinien

Anwender befürchten Re-Engineering-Verbot

14.09.1990

MÜNCHEN (CW) - "Die Folgen wären katastrophal" urteilte R.W. Briggs über die EG-Richtlinien zum Urheberschutz für Software. Um gegen diese noch nicht verabschiedeten Richtlinien vorzugehen, hat sich der DV-Verantwortliche des britische Bezirks East Sussex mit Gleichgesinnten zu einer Organisation mit der Bezeichnung "Computer Users of Europe" (CUE) zusammengeschlossen.

Hauptgrund für die ablehnende Haltung der CUE ist die Befürchtung, daß die Brüsseler Richtlinien in der jetzigen Gestalt unabhängigen Software-Entwicklern die Möglichkeit des Reverse-Engineering verbieten könnten. Diese Technik dient Anwendern und Software-Anbietern zur Entschlüsselung von Programmen und deren Schnittstellen. Sie ist immer dann von Bedeutung, wenn bei der Entwicklung einer Software sichergestellt werden muß, daß sie sich mit den Produkten anderer, Hersteller verträgt.

Die Anwender sehen im Reverse-Engineering eine legitime Methode, um über die genaue Kenntnis von Schnittstellen die Voraussetzung für interoperable Software zu schaffen. Hersteller wie DEC, Siemens und IBM argumentieren dagegen, daß eine solche Analyse ihrer Produkte Raubkopierern Tür und Tor öffnen könnte und fordern daher den Schutz ihrer Urheberrechte auch an den Schnittstellen.

Sollte sich der Standpunkt der Hersteller durchsetzen, dann "würde uns das in die Zeit der absoluten Herrschaft von proprietären Systemen zurückversetzten", prophezeit CUE-Chef Briggs.

Professor, Michael Lehmann, Referent am Max-Planck-Institut für internationales Patentrecht, hält diese Befürchtungen allerdings für unbegründet. Zwar gebe es durchaus Einschränkungen für das Reverse-Engineering, diese beträfen aber nur solche Schnittstellen, die vom Hersteller bereits offen. gelegt oder auf andere Weise zugänglich seien.

Ist die Schnittstellenbeschreibung jedoch ungenügend, so ist ihre Entschlüsselung nach seiner Interpretation durchaus zulässig.

Der Jurist betont, daß er das Ziel der EG-Richtlinien darin sehe, offene und interoperable Systeme zu fördern und die Dominanz einzelner Hersteller einzudämmen. Ein Verbot des Reverse Engineering für Schnittstellen würde dieser Absicht zuwiderlaufen. (Vergleiche auch COMPUTERWOCHE Nr. 29 vom 20. Juli 1990, Seite 1: "EG lehnt Urheberrechtsschutz für Software-Schnittstellen ab").