Online-Recruitment/Der nächste Aufschwung kommt bestimmt

Antizyklisch Personal suchen

01.02.2002
Ist die Konjunktur schwach, reduzieren Unternehmen ihre Recruiting-Anstrengungen. Kommt es erneut zum Aufschwung, stehen die Firmen dann plötzlich mit zu wenig Personal da. Antizyklische E-Recruiting-Strategien können das verhindern. Von Andreas Schultejans und Jochen Richter*

Der Arbeitsmarkt hat sich seit Mitte 2001 grundlegend verändert. Während die ausgehenden 90er Jahre vom Mangel an qualifizierten Arbeitskräften gekennzeichnet waren, kehrten sich die Vorzeichen im Verlauf des vergangenen Jahres um. Immer mehr Unternehmen, darunter auch große IT- und TK-Firmen wie Siemens, Motorola, Lucent und Alcatel, entließen Mitarbeiter im großen Stil. Laut Stellenmarktanalyse von EMC/Adecco hat sich die Zahl der freien IT-Stellen binnen des vergangenen Jahres von 106000 auf 66000 verringert. Damit gewinnt der Begriff "War of Talents" - in Anlehnung an die von der Unternehmensberatung McKinsey stammende Bezeichnung "War for Talent" - wachsende Bedeutung.

Angesichts von Stellenabbau und Gewinnwarnungen erscheint Personal-Recruiting nicht als Erfolgsfaktor und gerät in das Blickfeld der Kosteneinsparer. Das birgt die Gefahr, dass kurzfristig finanzielle Ergebnisse auf Kosten einer langfristig ausgewogenen Recruiting-Strategie verbessert werden. So teilt E-Recruiting in mageren Zeiten das Schicksal des Marketings: Da sein Erfolg sich nicht direkt messen lässt, wird hier eingespart.

Wie sich die Prioritäten verschoben haben, zeigt eine Studie von Futurestep, an der sich deutschlandweit Personalverantwortliche in 85 Unternehmen beteiligten. Den größten Anteil bildeten Hightech-Unternehmen (30 Prozent), gefolgt von Beratungsfirmen (25 Prozent) sowie Finanzdienstleistern. Demnach gibt es beim E-Recruiting vier Problemfelder.

- Recruitment-Controlling: Beitrag zum Unternehmenserfolg darstellen;

- Sourcing and Retention: qualifizierte Talente finden, anziehen und halten.

- Prozess und Organisation: Rekrutierungsfunktion als Dienstleistungsangebot aufstellen, Produktivität und Effektivität des Rekrutierungsprozesses maximieren;

- Recruitment-Technologie: Aufwand für Bearbeitung von Bewerbungen reduzieren.

Reduziert man E-Recruiting auf die Kosten, fehlt die Beziehung der vier Bereiche untereinander. Das ist fatal, denn diese sollten alle Teil einer umfassenden Talent-Relationship-Management-(TRM-)Strategie sein. Eine solche ermöglicht dem Unternehmen, Beziehungen zu Talenten aufzubauen und zu pflegen. Die zugrunde liegende Technologie schafft die Voraussetzung dafür, dass alle Informationen über die qualifizierten Bewerber jederzeit zur Verfügung stehen. Der Studie zufolge zeichnen sich in den vier Problemfeldern folgende Trends ab:

Recruitment-ControllingDie Leistungsmessung in der Einstellungspolitik anhand von Kennzahlen und Vergleichswerten nimmt an Bedeutung zu. Aus der Vergangenheit und von diversen Instituten kennt man folgende Kennzahlen:

-Cost per Hire: Interne und externe Kosten der Personalbeschaffung werden auf die tatsächlich besetzten Positionen umgerechnet;

-Time to Fill: Zeitraum von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Eintritt;

-Costs of Employee Turnover: interne und externe Kosten des Ausscheidens und Ersetzens von Mitarbeitern im Berichtszeitraum.

Diese Einzelkennzahlen erfahren eine Weiterentwicklung im Recruiting-Controlling. Laut Markus Frosch, Geschäftsführer von Futurestep Deutschland, Österreich und Schweiz, sollte sich das Controlling auch an der Prozessgeschwindigkeit, dem Aufbau von Kandidaten-Pools, dem Management von Beziehungen zu Kandidaten und der Prozessqualität orientieren.

Damit kommen Basiskennzahlen für einzelne Zeiträume hinzu, von der Stellenausschreibung bis zur Präsentation eines Kandidaten, vom ersten Interview bis zur Einstellung. Je detaillierter man Recruiting-Kosten analysiert, desto deutlicher werden Wirkungszusammenhänge, zum Beispiel der Einfluss von nicht besetzten Stellen auf das Ergebnis. Die Kosten einer unbesetzten Stelle lassen sich mit dem entgangenen Ergebnisbeitrag pro Mitarbeiter bewerten. Den Zusammenhang zwischen Stellenabbau und Unternehmensergebnis zeigt eine Studie der Beratungsfirma Bain & Company auf: Firmen, die während der letzten Rezession 15 Prozent und mehr ihrer Stellen abgebaut haben, hatten noch Jahre danach an den Börsen unterdurchschnittliche Unternehmenswerte.

Sourcing and RetentionEinsparungen sind im Sourcing schnell zu erzielen, da hier große Kostenblöcke vorhanden sind. Kostenneutral kann beispielsweise die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber durch offene Kommunikation und Fairness gesteigert werden - trotz gleichzeitigem Abbau von Arbeitskräften.

Größeren Recruiting-Aufwand erfordern Alumni-Netzwerke und Talent-Pools, die spätere Sourcing-Aktivitäten erleichtern, oder Sabbaticals, die diese gar überflüssig machen. Sogar aktueller Bedarf an Spezialisten lasse sich in Zeiten der Unsicherheit leichter decken: "Wenn ein Unternehmen am Markt den Ruf einer fairen, offenen Kommunikationskultur hat, kann ich Top-Kandidaten für einen Wechsel gewinnen, selbst wenn das Unternehmen gleichzeitig Personalreduzierungen meldet", weiß Sörge Drosten von Futurestep Deutschland aus aktuellen Projekten.

Zurzeit stehen Personalabteilungen einer großen Anzahl von Initiativbewerbungen gegenüber. Diese Situation bietet eine bisher noch recht wenig beachtete und kostengünstige Möglichkeit, einen "Talent-Pool" aufzubauen. Damit lassen sich langfristig interessante Talente an das Unternehmen binden. Der Aufbau eines solchen Pools ist wesentlicher Bestandteil einer TRM-Strategie. Dies belegen auch Ergebnisse des WetFeet Recruiting Technology Report 2001, die davon ausgehen, dass ein Talent-Pool einen schnellen Zugang zu qualifizierten Kandidaten bei geringen Kosten ermöglicht.

Recruitment-TechnologieDie in der Studie befragten Unternehmen sehen sich nicht nur der großen Anzahl an Bewerbungen, sondern auch den unterschiedlichsten Formaten (Papier und E-Mail) gegenüber. Die Firmen berichteten von Problemen und Zeitverzögerungen bei Assessment, Selektion und Matching, bei Standardkorrespondenz, Termin- sowie Ressourcenplanung.

Lösungen bieten "Candidate-Selfservice-Szenarios": Jobinteressenten können sich auf der Firmen-Website selbst in einem Standardformular registrieren oder auch per Chat mit einem Unternehmensvertreter kommunizieren. Das erspart dem Unternehmen Bearbeitungsaufwand. Vorteilhaft ist, dass die Daten in elektronischer Form vorliegen und ohne Medienbrüche in den Bewerbungsprozess eingehen. In den USA setzen einer Studie der Hunter Group aus dem Jahr 2001 zufolge 25 Prozent der befragten Unternehmen Candidate-Self-Service-Szenarien ein, weitere 65 Prozent planen dies für die nahe Zukunft.

Prozess und OrganisationWie die Futurestep-Studie ergab, liegen die Herausforderungen dieses Themas in der Steuerung und Moderation des Gesamtprozesses, der Projektplanung und der Steuerung der Sourcing-Aktivitäten. Obwohl zurzeit viele Unternehmen Personal abbauen, ist die individuelle Situation des Unternehmens und seiner Branche entscheidend. Glaubt man der aktuellen Gartner-Studie "Trends und Visionen in der Informationstechnologie 2002", so werden in Europa 2002 rund zwölf Millionen IT-Professionals benötigt. Davon seien 1,5 Millionen zu wenig am Markt, behauptet Wolfgang Franklin, Senior Director Executive Programs Gartner, im Rahmen von "Visions 2002".

Gerade jetzt ist es an der Zeit, über Qualitäts-Management, kontinuierliche Prozessverbesserungen sowie die Definition von Richtlinien und Guidelines nachzudenken - eine Situation, die sich Unternehmen zum Zeitpunkt der Studie Mitte vergangenen Jahres herbeisehnten. Weiterhin nimmt die Auswahl und Koordination externer Dienstleister genauso wie die interne Definition der Aufbauorganisation (Cost Centre/Profit Centre) eine erfolgskritische Rolle für die Zukunft ein. "So ist im Recruiting mit ähnlichen Entwicklungen wie in Logistik und Supply-Chain-Management zu rechnen, bei denen die Zusammenarbeit Unternehmensgrenzen überschreitet, genauso wie die zugrunde liegenden Recruiting-Prozesse", sagt Sven Dormann, Projektleiter Mysap HR E-Recruiting bei der SAP AG.

Man findet bereits einige, zumeist größere Unternehmen, die eine verknüpfte Betrachtung der einzelnen Probleme von Sourcing, Retention, Technologie, Prozess, Organisation und Controlling vornehmen. Ansätze hierfür sind interne Talent-Pools, deren erklärtes Ziel es ist, die Mitarbeiterbindung und Zufriedenheit zu erhöhen. Diese sollen durch die freiwillige Selbstregistrierung im internen Talent-Pool gefördert werden, in dem die Führungskräfte aktiv nach Profilen suchen und wo die Talente selbständig auf Stellenausschreibungen reagieren können.

Ein weiteres Beispiel für einen innovativen Ansatz bietet die "Job-Allianz", ein Gemeinschaftsprojekt von Lufthansa, Fraport, Deutsche Bank und Degussa. Die 60000 Mitarbeiter dieser Unternehmen können sich über diese Plattform beraten, fortbilden und testen lassen. Ziel ist es, die Beschäftigten bei der Gestaltung ihrer beruflichen Zukunft zu unterstützen. Mit Hilfe eines "Kompetenzspiegels" können die Mitarbeiter anonym ihre Stärken und Schwächen herausfinden. Angeboten werden auch Sprach- und Computertests.

Schnupperpraktika in anderen FirmenNach der Analyse des Ist-Zustandes können die Beschäftigten Workshops besuchen, um sich weiterzubilden. Sie erhalten außerdem die Möglichkeit, Praktika bei einem der vier Unternehmen zu machen und sich im vernetzten internen Stellenmarkt nach anderen Aufgaben umsehen. Die Arbeitnehmer sollen so die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt besser bewältigen lernen, sagen die Organisatoren. Zudem hätten die Arbeitgeber die Möglichkeit, besser qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Solche und ähnliche Ansätze zeigen die Chancen des Talent-Relationship-Mangements auf.

TRM-Strategien bieten in gesamtwirtschaftlich angespannten Zeiten eine Möglichkeit, antizyklisch auf Marktveränderungen zu reagieren, um so für kommende Aufschwungphasen gerüstet zu sein. Voraussetzung hierfür ist, dass man den E-Recruiting-Prozess als Gesamtheit aller Wirkungszusammenhänge sieht. Verbindendes Element ist die Technologie, die ein Zusammenspiel aller Aktionsfelder im E-Recruiting ermöglicht. (hk)

*Andreas Schultejans ist Projekt-Manager Online-Recruiting, New Services, Jochen Richter ist Berater bei Futurestep Deutschland.

Abb: Personalsuche: Die vier Hauptprobleme

In Krisenzeiten wird mehr gerechnet: 18 Prozent der befragten Unternehmen gaben Controlling als dominante Frage im Recruiting-Prozess an. Quelle: Futurestep E-Recruiting Studie 2000