Web

Thema des Tages

Antitrust-Verfahren: Die Lage für MS spitzt sich zu

25.06.1999
Thema des Tages

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) – Gestern endete die Beweisaufnahme in dem seit sechs Monaten laufenden Kartellverfahren gegen den Softwaregiganten mit einem Verzweiflungsakt des Angeklagten. Nachdem Chefankläger David Boies alle drei Zeugen der Verteidigung auseinandergenommen hatte, reichte Microsoft einem Bericht des Brancheninformationsdienstes "Computerwire" zufolge einen Fernsehbeitrag ein, der die Akquisition der Firma Microworkz.com durch AOL bekanntgab. Microworkz.com stellt den Billigcomputer "iToaster" her, der primär zum Surfen im Internet ausgerichtet ist und auf dem keinerlei Software von Microsoft läuft – weder Windows, noch Word oder Excel. Der angebliche Merger zwischen beiden Firmen sei eine potentielle Gefahr für das

Betriebssystem Windows, argumentiere die Gates-Company, die ihre Monopolstellung zu widerlegen suchte.

Der vorgelegte Fernsehbericht entpuppte sich jedoch als wenig verläßlich. Zum einen hatte der eigene Fernsehsender des Softwareriesen, MSNBC, den Beitrag erstellt – wohl extra für das Verfahren –, zum anderen kann von einem Merger zwischen AOL und Microworkz keine Rede sein. Rick Latman, President und CEO (Chief Executive Officer) von Microworkz, bestätigte lediglich, daß beide Firmen in bezug auf Marketing-Maßnahmen kooperieren würden, jedoch eine Übernahme nicht stattgefunden habe. Außerhalb des Gerichtssaals bezeichnete Chefankläger Boies diese letzte Aktion der Redmonder als einen bewußten Versuch, von dem zentralen Thema des Prozesses abzulenken. Wörtlich meinte er: "Der iToaster hat nichts mit den unlauteren Wettbewerbsmethoden von Microsoft zu tun, und außerdem haben [Microsofts] eigene Zeugen ausgesagt, daß diese Geräte den PC nicht ersetzen werden."

Staatsanwalt Boies hatte noch ein weiteres Trumpf-As im Ärmel. Er legte ein internes Dokument der Firma vom Dezember 1998 vor, das handschriftliche Notizen – angeblich von Bill Gates selbst verfaßt – zur Kooperation von AOL, Netscape und Sun Microsystems enthielt. So lautete ein Kommentar, daß AOL gar nicht in der Lage sei, Microsoft im Plattform-Markt anzugreifen. Die Verteidigung hatte jedoch zu beweisen versucht, daß seitens AOL Gefahr drohe. So hatte Richard Schmalensee, Dekan der Sloan School of Management am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), in diesem Punkt zugunsten von Microsoft ausgesagt. Boies wollte nun gestern von dem Wissenschaftler wissen, wie er denn diese Randnotiz mit seiner Aussage vereinen könne. Schmalensee erwiderte ausweichend, er würde der Bemerkung keinerlei Bedeutung beigemessen. Schon am Mittwoch hatte Boies die Glaubwürdigkeit von Schmalensee in Frage gestellt, als er ihm nachwies, in den letzten zwei

Jahren zirka 250 000 Dollar von Microsoft erhalten zu haben.

Die Beweisaufnahme für das Antitrust-Verfahren ist jetzt beendet. Beide Parteien haben bis zum 10. August Zeit, ihre Berichte vorzulegen. Am 21. September sollen die Schlußplädoyers gehalten werden. Die Urteilsverkündung kann sich dann bis Ende dieses Jahres oder Anfang nächstes Jahres hinziehen. Allgemein wird erwartet, daß sich das Gericht zugunsten der Anklage entscheiden wird. Dann dürfte Microsoft in Berufung gehen und das Kartellverfahren noch Jahre dauern.