BITKOM-Chef

Angriffe auf IT wird es immer geben

07.07.2011
Dieter Kempf hat gerade das Amt als BITKOM-Präsident übernommen und ist damit der oberste Lobbyist der IT-Branche in Deutschland.

Dem 58-Jährigen liegen vor allem Datenschutz und Datensicherheit am Herzen. Doch bei allem Werben für Standards, Selbstverpflichtungen und Aufklärung zeigte er sich im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa in Nürnberg pragmatisch: "Angriffsversuche wird es immer geben."

Herr Kempf, Sie führen mit der Datev ein Unternehmen mit fast 6000 Mitarbeitern. Sind Sie nicht ausgelastet, oder warum haben Sie sich nun auch noch den Vorsitz des BITKOM, des größten IT-Branchenverbands, aufgehalst?

Kempf: Weil der Esel aufs Eis geht, wenn ihm zu wohl wird (lacht). Eigentlich gäbe es genug zu tun. Ich glaube aber, dass Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung haben und wahrnehmen müssen. Die Unternehmen und die handelnden Personen müssen einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag leisten. Ich finde es auch sehr reizvoll, einem Branchenverband durch seine eigene Vorstellung ein Stück Richtung, Gepräge zu geben.

Zuletzt haben gleich mehrere Skandale das Vertrauen der Nutzer in die Sicherheit ihrer Daten im Netz erschüttert. Werden sie künftig besser geschützt?

Kempf: Angriffsversuche wird es immer geben. Wir werden permanent vor der Herausforderung stehen, unsere Sicherheitssysteme nachjustieren zu müssen. Dazu muss man auch wissen, dass Angriffe auf IT-Sicherheit längst nichts mehr mit dem fast idealisierenden Bild des bärtigen, filterlose Zigaretten rauchenden Hackers im Keller zu tun haben, der eine Cola nach der anderen in sich reinzieht und großen Spaß daran hat, Systeme zu überwinden.

Sondern?

Kempf: Was uns wirklich Sorgen macht in der Branche sind längst Strukturen organisierter Kriminalität. Konglomerate von Informationen haben auch hohe Attraktivität für jedwede Art von Diensten, ob dies jetzt zur Wirtschaftsspionage dient oder zu jeder anderen Form geheimdienstlicher Tätigkeit.

Gerade die Deutschen gelten als sehr sensibel, was den Schutz ihrer Daten anbelangt. Gleichzeitig nutzen sie gerne Angebote wie Google Street View oder Facebook, die ihr Geschäft gerade mit der Verknüpfung von Informationen machen.

Kempf: Da klafft eine ganz große Lücke. Mich selber macht es auch zunehmend unzufrieden, weil ich das Gefühl habe, dass sich viele Nutzer hier janusköpfig bewegen. In letzter Konsequenz tendiere ich dann dazu, wenn der Nutzer nicht aufklärungsfähig und aufklärungswillig ist, muss er die Folgen seines Tuns eben auch tragen.

Also Lernen durch Schmerzen?

Kempf: Ich will nicht als der Rächer der Nation erscheinen, aber wenn wir es immer folgenlos lassen, wenn einer seine Geburtstagseinladung in Facebook postet, 3000 Leute erscheinen und die Allgemeinheit den Polizeieinsatz zahlt, dann werden wir das Problem nicht in den Griff kriegen. Ich sage auch umgekehrt nicht, dass ein 16-Jähriger, dem das einmal widerfahren ist, den Polizeieinsatz zahlen muss. Aber ein bisschen wirkungsvoller darauf hinweisen, dass das jetzt blöd war, muss man schon. Sonst werden wir kein Regulativ haben. In der realen Welt hätten wir ja auch eins.

Warum werden Gefahren im Internet selten als solche erkannt und entsprechend falsch agiert?

Kempf: Ein ganz wesentlicher Punkt liegt darin, dass wir im realen Leben über viele Jahrzehnte, mag sogar sein Jahrhunderte Benimmregeln ausgearbeitet haben, an die sich der weit überwiegende Teil der Bevölkerung hält, weil er erkannt hat, dass das Einhalten dieser Regeln ein vernünftiges gesamtgesellschaftliches Zusammenleben garantiert. Warum benehmen wir uns im Internet völlig anders? Warum ist Sprache im Internet, in sozialen Netzwerken völlig anders? Ich habe ein bisschen Angst, dass uns die Zeit zur Herausbildung [...] dieser Benehmensregeln fehlt.

Sie fordern Kontroll- und Sanktionsmechanismen, die die Rechte des Einzelnen einschränken, um die Rechte der Allgemeinheit zu schützen. Können Sie die Bedeutung solcher Regeln beispielhaft erläutern?

Kempf: Wir haben in Deutschland viele Rechner, die am Netz hängen und Bestandteil eines meist internationalen Botnetzes sind, d.h. die Rechner werden längst - weil von Viren und Trojanern befallen - fremdgesteuert. Gleichwohl müssen wir erkennen, dass jemand, dessen Rechner Bestandteil eines Botnetzes ist und der selbst nichts dazu tut, seinen Rechner zu säubern, natürlich nicht nur sich gefährdet, sondern auch die Allgemeinheit gefährdet. Bei bestimmten ansteckenden Krankheiten lassen wir die Menschen ja auch nicht mehr frei herumlaufen, sondern nehmen sie in Quarantäne, bis keine Ansteckungsgefahr für die Allgemeinheit mehr vorliegt. Wir könnten überlegen, dies auf Rechner zu übertragen, die andere Rechner mit Schadprogrammen infizieren.

Sie beschäftigten sich nicht nur mit Datensicherheit, sondern auch mit dem Fachkräftemangel, der sich in Ihrer Branche vor allem beim Mittelstand bemerkbar macht. Frauen sollen die Lücke füllen - wird die IT-Branche eine Vorreiterrolle bei der Gleichstellung einnehmen?

Kempf: Ich glaube, dass unsere Branche zu denjenigen zählen muss, bei denen es viel weniger Gründe für Scheitern gibt als bei anderen. Und wenn das so ist, dann müssen wir auch ein Stück vorneweg marschieren und zeigen, dass wir das auch können und auch tun wollen. Das hat nichts mit gesetzlicher Quote zu tun, da bin ich weit weg. Das hat damit zu tun, dass wir alle miteinander es uns nicht mehr leisten können, große Teile eines hervorragend ausgebildeten Potenzials nicht zu nutzen - obwohl wir es könnten, wenn wir mehr Intelligenz in unsere Arbeitsformen stecken würden.

Doch noch immer gibt es nicht überall in Deutschland schnelles Internet, mit denen die Unternehmen, aber auch deren Mitarbeiter zu Hause arbeiten können. Wie wollen Sie das ändern?

Kempf: Beim Festnetzausbau könnten wir zum Beispiel was ganz Verrücktes machen: Wir könnten jedem, der den Boden aufgräbt, zur Verpflichtung machen, ein standardisiertes Leerrohr zu verlegen. Damit würden wir uns wahrscheinlich 80 Prozent der Infrastrukturaufwendungen des Breitbandverlegens sparen. Wir werden in manchen Bereichen aber nicht umhinkommen, dies durch Funkstrecken zu tun.

Darüber hinaus will sich der BITKOM auch intelligenten Steuerungen der Energieversorgung und der Verknüpfung von Produktion und Verbrauch zuwenden. Was kann IT in diesem Zusammenhang leisten?

Kempf: Wir werden Energieproduktion und -verbrauch optimaler aufeinander abstimmen müssen. Jetzt kann man sagen, das ist vielleicht ziemlich wahnsinnig, aber wäre es denn tatsächlich so unsinnig, eine stationär betriebene Stereoanlage, die aller Erfahrung nach nur tagsüber läuft und nur relativ selten nachts, den Strom zu jener Zeit aus dem Netz ziehen zu lassen, wo er preiswert und im Übermaß zur Verfügung ist? Ich denke, wir können da durch IT-Steuerung ganz viel bewegen in der optimierten Abstimmung zwischen Erzeugung und Verbrauch.

Also ein neues Profilierungsfeld für die Branche, die weltweit nur an fünfter Stelle liegt. Woran liegt das?

Kempf: Das Thema Wagniskapital ist ein ganz wichtiges, da tun wir uns einfach schwer mit unseren traditionellen Finanzierungskonzepten. Der wagende Unternehmer hat in den USA eine deutlich höhere Akzeptanz als bei uns. Der erfolglose Unternehmer hat in Deutschland keine Chance, wieder aufzustehen. (dpa/tc)