Arbeitsmarkt

Angelernte können IT-Profis nicht ersetzen

16.07.1999
Der Personalmarkt für IT-Experten boomt. Werner Dostal, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, fürchtet indes, daß für die extrem komplexen und sensiblen IT-Aufgaben zu wenig professionelle Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Ina Hönicke* sprach mit ihm über seine Bedenken.

CW: Der Arbeitsmarkt für IT-Fachleute ist derzeit überhitzt. Sind das Ihrer Meinung nach lediglich die Probleme der Jahreszahlenumstellung und der Euro-Einführung oder die Folgen der Informationsgesellschaft insgesamt?

DOSTAL: Das läßt sich so global nicht beantworten. Meiner Meinung nach wird die Nachfrage nach IT-Profis, wenn auch mit Schwankungen, bestehenbleiben. Das gilt auch für das neue Jahrtausend. Wenn die Umstellungsprobleme zum Euro und Jahr 2000 gelöst sind, setzen die Betriebe die Programmierer für andere Aufgaben ein. Schließlich hat gerade das Jahrtausendproblem deutlich gemacht, wie viele Unternehmen nach wie vor veraltete Software einsetzen. Also wird das frei werdende Personal für die Qualitätssicherung eingesetzt, und die Kollegen im DV-Bereich haben endlich Zeit, die liegengebliebenen Projekte anzuschieben.

CW: Können die Jobs in der IuK-Branche überhaupt von Informatikabsolventen allein besetzt werden?

DOSTAL: Nein. Nur etwa 20 Prozent der Jobs werden von Informatikern abgedeckt. Das ist nicht verwunderlich, denn die Erstausbildung liefert nur wenige Absolventen. Aus den Informatikstudiengängen der Hochschulen dürften 1998 nicht mehr als 6000 Absolventen auf einem IT-Arbeitsplatz gelandet sein. Andere IT-Grundausbildungen, im dualen Bereich und an Berufsfachschulen, hatten kaum mehr als 2000 Absolventen.

CW: Können hier die vier IT-Ausbildungsberufe nicht Abhilfe schaffen?

DOSTAL: Dazu ist es noch zu früh. Die stark angestiegenen Ausbildungszahlen in den neuen IT-Berufen können sich noch nicht auf den Arbeitsmarkt auswirken, da der erste Jahrgang der Azubis sich noch in der Ausbildung befindet. Die ersten Absolventen mit verkürzter Ausbildung werden in diesem Herbst auf den Arbeitsmarkt kommen, diejenigen mit der Standardausbildung erst im Herbst des nächsten Jahres. Außerdem steht bei diesen Auszubildenden noch nicht fest, ob sie sich alle unmittelbar danach einen Job suchen oder ob sie nach der Ausbildung noch studieren wollen.

CW: Glauben Sie, daß die Zahl der Informatikstudenten in den nächsten Jahren wieder steigen wird?

DOSTAL: Für die nächsten Jahre ist ganz sicher keine große Steigerung zu erwarten. Die Anfängerraten sind zwar im Jahr 1998 um rund 25 Prozent gestiegen, aber das wirkt sich naturgemäß frühestens in fünf Jahren aus.

CW: Was sind die Gründe für derart schwache Absolventenzahlen? Wir haben es hier immerhin mit einer Zukunftsbranche zu tun.

DOSTAL: Da gibt es eine Vielzahl von Gründen. Das Studium gilt als sehr schwierig und hat einige Sollbruchstellen, das heißt, in einigen Fächern werden die Studenten "herausgeprüft". Außerdem drängt es immer mehr junge Leute in Management-Positionen. Dementsprechend bevorzugen sie Studiengänge wie Wirtschaftsinformatik oder Betriebswirtschaftslehre. Als weiteres Manko sehe ich, daß Informatik immer noch kein Schulfach ist. Diese Kontinuität von der Schule bis zur Universität wie beispielsweise beim Fach Mathematik, ist nicht vorhanden.

CW: Dafür haben Computerprofis im Gegensatz zu den meisten anderen Branchen ziemlich gute Berufsaussichten.

DOSTAL: Das stimmt. Gleichzeitig sind die Beschäftigungsbedingungen im IT-Bereich aber sehr problematisch. Teilzeitarbeit ist praktisch nicht möglich, Überstunden sind gang und gäbe - kurzum, DV-Jobs fressen die Mitarbeiter mit Haut und Haaren. Das wissen die Studenten, und es beeinflußt sie bei ihrer Berufswahl. Einer ganzen Reihe von jungen Leuten ist das Arbeiten in der IT-Welt schlichtweg zu mühsam und zu stressig. Das ist übrigens auch der Grund, warum der Frauenanteil bei den Studienanfängern so dramatisch zurückgegangen ist. In der IT-Branche haben Frauen, die Karriere und Familie vereinbaren wollen, wenig Chancen. Entsprechende Teilzeitmodelle kann man mit der Lupe suchen.

CW: Das heißt, der Arbeitsmarkt bleibt auch in naher Zukunft eng, weil der Nachwuchs nicht genügend Interesse zeigt?

DOSTAL: Das heißt auch, daß der Druck auf die in der IT tätigen Mitarbeiter immer größer wird. Das Problem ist nur, daß die IT-Profis diesem Druck nachgeben und bereit sind, 60 Stunden oder mehr pro Woche zu arbeiten. Damit verderben sich sich letztlich selber die Preise.

CW: Da kann die Branche ja froh sein, daß immer mehr Umsteiger in die IT-Berufe drängen. Wer gehört alles zu dieser Gruppe, und welche Auswirkungen hat dies?

DOSTAL: Die IT-Branche wird sich in der Tat auch weiterhin überwiegend aus Umsteigern rekrutieren. Zu den sogenannten Angelernten gehören Umsteiger aus anderen Berufen, die zuvor häufig als IT-Anwender tätig waren. Also Berufseinsteiger aus benachbarten Fachrichtungen, beispielsweise Mathematiker, Physiker und Ingenieure - oder aber Computerfreaks, die ihre IT-Kenntnisse in der Freizeit erworben haben. Dazu kommen Umsteiger, die längere Zeit in ihrem eigentlichen Beruf arbeitslos waren und - eher der Not gehorchend - in IT-Berufe umgeschult wurden.

CW: Wenn für Umsteiger der neue Job im Grunde nur eine Notlösung ist, wirft das nicht Probleme für den IT-Bereich auf?

DOSTAL: Die Situation ist nicht unproblematisch. Viele Umsteiger, für die ihr neuer Beruf nur zweite Wahl war, wandern sehr rasch wieder ab, was die Personaldecke noch enger macht. In den Unternehmen selbst hat sich die gestufte Qualifizierung - erst eine informatikferne Ausbildung, dann eine Umorientierung in Richtung Informatik - mittlerweile als Normalfall etabliert. Das hatte zur Folge, daß Aufgaben und Tätigkeitsstrukturen auf Umsteiger und nicht auf Informatiker abgestimmt waren. Viele Personalchefs haben aus der Not eine Tugend gemacht und die anwendungsnahe Qualifizierung als optimal bewertet, während die Informatikausbildung als praxisfern abqualifiziert wurde. Darüber hinaus sind Umsteiger leichter und billiger einsetzbar. Welche Qualifikationslücke hier nach und nach entstand - darüber wurde indes nicht gesprochen.

CW: Sie haben in der Öffentlichkeit wiederholt moniert, daß beim IT-Personal zuwenig Professionalität vorhanden ist.

DOSTAL: Die größte Gefahr ist der Mangel an Professionalität. Überall dort, wo die Aufgaben komplex und sensibel sind, können hohe Schäden entstehen, wenn fehlerhaft und nachlässig gearbeitet wird. Deshalb sollten die Firmen in diesen Bereichen keine Angelernten einsetzen. Dazu kommt, daß mittlerweile das Bewußtsein zugenommen hat, daß IT-Lösungen eine ähnliche Sensibilität besitzen wie der medizinische Bereich oder das Verkehrswesen. Und wenn sich immer häufiger herausstellt, daß größere Katastrophen nicht auf klassische Ursachen wie Materialermüdung, sondern auf Softwarefehler zurückzuführen sind, wird das aufmerksam registriert. Deshalb wird die Öffentlichkeit verstärkt ähnliche Qualitäts- und Sicherheitsprüfungen verlangen. Im Softwarebereich empfiehlt es sich, bei der Professionalität der DV-Profis anzusetzen. Softwarequalität kann nur so gut sein wie die Professionalität ihrer Macher.

CW: Wie läßt sich dieses Dilemma in den Griff bekommen?

DOSTAL: Das ist nicht so einfach. Grundsätzlich ist es möglich, daß auch angelernte IT-Profis die nötige Professionalität erreichen. Doch dieser Weg ist sehr viel schwieriger, als wenn von Anfang an ein klarer Ausbildungsweg beschritten wird. Nehmen wir als Analogie den medizinischen Bereich. Hier sind für alle Stufen der ärztlichen Aufgaben eindeutige Vorgaben für die Qualifikation der Berufstätigen festgelegt. Ärzte müssen eben ein Medizinstudium mit den erforderlichen Praxisanteilen erfolgreich durchlaufen haben. Nur dann werden sie zugelassen.

CW: Die Medizin hat aber im Gegensatz zur jungen IT-Welt eine lange Geschichte. Hier hat es auch viele Jahrzehnte gedauert.

DOSTAL: Das stimmt natürlich. Im IT-Bereich stehen wir noch mitten in diesem Professionalisierungsprozeß. Gerade deshalb dürfte es sinnvoll sein, ähnlich wie in der Medizin eine Qualifikationshierarchie zu definieren, in der Informatiker mit Hochschulausbildung diejenigen verantwortungsvollen Tätigkeiten übernehmen, die besonders sensibel gehandhabt werden müssen. Daneben könnte eine Basis von betrieblich Ausgebildeten die Wartung und Umsetzung ausführen. Die Gruppe der Fachschulabsolventen mit entsprechenden Zertifikaten wiederum könnte die erforderlichen Organisations- und Koordinationsaufgaben umsetzen. Diese klare Aufgabenzuteilung sollte schnellstmöglich begonnen werden. Nur so ist in absehbarer Zeit mit einem stabilen Ergebnis zu rechnen.

CW: Ist in einem ohnehin ausgeschöpften Arbeitsmarkt ein solcher Konsolidierungsprozeß überhaupt möglich?

DOSTAL: Boomphasen, wie wir sie gerade erleben, sind dafür in der Tat nicht besonders günstig. Dennoch bin ich optimistisch. Vielleicht kann dieser Prozeß eine Reihe von Berufswählern motivieren, in die IT-Berufe einzusteigen. Eins steht fest - der IT-Bereich kann seine Aufgaben nur erfüllen, wenn er die Professionalität seiner Leistungsträger fördert. Um das zu erreichen, müssen sowohl Berufsverbände als auch Arbeitgeber klare Signale für die Zukunft setzen.

Die Arbeitgeber sind gefordert, eine stabile Erwerbschance für die Dauer eines Berufslebens anzubieten, Qualitätsmaßstäbe vorzugeben und zu überwachen. Gelingt dies nicht, dann kann die IT-Branche auf Dauer ihre Aufgaben nicht kompetent erfüllen. Das würde wiederum dazu führen, daß noch weniger Berufsanfänger in diesen Bereich gehen und die Gesellschaft sich weiterhin mit ungenügender Qualität von IT-Produkten und -Dienstleistungen abfinden muß. Zum Glück sind mittlerweile einige Arbeitgeber aufgewacht.

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.