Wissensbasierte Systeme im technischen Bereich:

Anforderungsdefinition hat zentrale Bedeutung

13.06.1986

Durch den Einsatz wissensbasierter Systeme im technischen Bereich ergeben sich neue Perspektiven für Bereiche wie Qualitätssicherung und Instandhaltung. Im Verlauf dieser Entwicklung hat sich auch das Tätigkeitsbild des Konstrukteurs geändert: Aus dem Ersteller der Konstruktionen wurde ein Bewerter und Qualitätsprüfer, der einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung der Wissensbasis liefert. Ein aktiv selbstlerndendes System scheint jedoch auf absehbare Zeit nicht realisierbar.

Die fortschreitende Computertechnologie hat dem alten Wunsch, menschenähnliche Maschinen zu schaffen, neue Nahrung gegeben. Rechnergenerationen sind entstanden, die viele in der modernen Industriewelt anfallende Arbeiten schneller und präziser bewältigen. Erfaßte die Automation zunächst nur manuelle Arbeitsplätze, so hat sie nun auch im technischen Büro Einzug gehalten. Bisher beschränkte sich der Computereinsatz dort nur auf eine Unterstützung der Konstruktionstätigkeit, während die schöpferischen und die eine weite Wissensbasis verlangenden Arbeiten ein Vorrecht des Technikers und Ingenieurs blieben. In diese Domäne dringen nun Maschinen und Programme ein, die künstliche Intelligenz unterstützen.

KI-System identifiziert fehlerhafte Komponenten

Zum Erzeugen intelligenten Verhaltens von Programmen ist das Nachbilden menschlicher Denkweisen erforderlich. Abbildung 1 stellt hierfür das Anforderungsmodell dar. Hier wird gezeigt, daß durch den Verstand die Abbildung der Welt erst möglich wird. Er ist es, der den Rahmen und die Regeln für den Aufbau des Modells enthält und das Modell etabliert. Mit den sogenannten KI-Sprachen, wie Prolog, vornehmlich in Europa, und Lisp, vornehmlich in den USA, werden dem Anwender Sprachelemente bereitgestellt, die gerade diese Funktionen erfüllen. Reicht das aber aus, die Komplexität des Verstandes abzubilden?

Sicherlich ist es mit diesen Sprachen gelungen, die Rolle des Intellekts, des Verwalters und Strukturierers weitgehend zu simulieren, das Bewußtsein hingegen ist nur durch eine Fehlerbehandlung in der Ausprägung des Nichtdefiniertseins vorhanden. Ein Bewußtsein seiner selbst liegt jedoch in keinem Falle vor.

Diese Aussage hat weitreichende Konsequenzen. Sie impliziert Schwachen im Aufbau der Erkenntnisrelationen und damit in der Modellbildung selbst. Sie verhindert, allgemein formuliert, das freie Wechseln der Teilmodelle und ihre Synergie, die Grundlagen für Kreativität.

Für bestimmte Fachgebiete sind Sprachen geschaffen worden, die ein Bewußtsein simulieren. Hierzu gehört der Sprachschatz des CAD-Systems "Cadbau 3", mit dem die nachfolgend beschriebene Anwendung vorgenommen wurde. Diese Sprache ist so ausgelegt, daß das System aufgrund eines Konstruktionsfehlers die betroffenen Elemente identifiziert, die ihnen zugewiesenen Attribute analysiert und automatisch die modellanalogen Konsequenzen zieht.

Die punktuelle Vertiefung ist jedoch mit der Einschränkung des Intellektes und damit der Modellmächtigkeit erkauft worden. Es ist nämlich nur ein Teilabbild der Realität zulässig: Der Konstruktions- und Fertigungsaspekt eines Objektes. Wie kompliziert das nachfolgend aufgebaute Modell auch sein mag, das System kann keine allgemeinen oder vergleichenden Schlüsse zum Beispiel über den Sinn oder die Ästhetik der erstellten Objekte ziehen, oder aber andere als die vorgegebenen Elemente einbauen und gemäß den Regeln bearbeiten.

Die Abbildung der Realität auf für den Rechner zugängliche Strukturen ist dem traditionellen Programmieren ähnlich. Abbildung 2 zeigt den Zyklus der Software- Entwicklung für die schon oben erwähnte technische Anwendung, welcher, mehrfach durchlaufen, zu einer stetigen Verbreiterung der Wissensbasis führt.

Durch den direkten Vergleich konventionell und rechnergestützt erarbeiteter Lösungen kommt der Anforderungsdefinition eine besondere Bedeutung zu. Das hier durchgängig betrachtete Beispiel einer CAD/ CAM-Anwendung belegt damit die Problematik einer detaillierten Wissenserhebung.

Der Konstrukteur kann bei seiner täglichen Arbeit auf einen Fundus gesammelter Erfahrungen zurückgreifen und wird versuchen, einen großen Teil der ihm gestellten Probleme nach bewährten Grundsätzen zu lösen. Diese von ihm angewandten Konstruktionsregeln sind oft durch Beispiele erlernt und durch die Praxis des jeweiligen Konstrukteurs gereift. Sie bleiben aber meist unausgesprochen und damit nicht formuliert.

Man stößt sofort auf dieses Problem, wenn in einem Konstruktionsbüro ein Computer Konstruktionshilfen leisten soll. Es gilt dann, klare und unmißverständliche Algorithmen zu erarbeiten, um Detaillierungsprobleme, die der Konstrukteur am Zeichenbrett routiniert lost, beschreiben zu können.

Verbindliche Regeln führen zu gemeinsamer Basis

Da die Erfahrungen verschiedener Konstrukteure meist nicht deckungsgleich sind, wird oftmals erst in der einsetzenden Diskussion deutlich, wie unterschiedlich die Positionen selbst innerhalb eines Unternehmens sein können. Es gilt, allgemeinverbindliche Regeln aufzustellen, auf die alle Konstrukteure zurückgreifen sollen, sowie die Grenzen zwischen ständig wiederkehrenden, standardisierbaren Konstruktionen und Sonderfällen abzustecken. Nur so ist es möglich, daß verschiedene Ingenieure aus gleichen Vorgaben auch gleiche Konstruktionen erstellen können.

Erst wenn diese Vorarbeit geleistet ist und ein Konstruktionskonzept akzeptiert wird, kann CAD (Computer Aided Design) sinnvoll eingesetzt werden.

Selbst wenn die Wissenserhebung das Erstellen eines vollständigen Abbildes erlaubt, was nur unter der Annahme konservativer Modelle der Fall ist, bleiben als Konsequenz für den Einsatz von KI-Systemen dennoch folgende Grundbedingungen:

- Solange es nicht gelingt, KI-Systemen Relationen, und damit Bewußtsein, handhabbar zu machen, können Entscheidungsprozesse nur innerhalb eines Modells möglich sein.

- Der eigenständigen Erweiterung des Modells durch Schlüsse auf der Basis des aufbereiteten Regelwerkes sind Grenzen gesetzt. Sie manifestieren sich in der Problematik, von einer Hierarchie-Ebene des Modells in die nächsthöhere zu gelangen. Ein Vorgang, der wiederum Selbstbewußtsein voraussetzt.

Neue Perspektiven für die Arbeitswelt in Sicht

Da es in der Realität kein konservatives System gibt, in welchem außer den Metaregeln keine Bezüge zu anderen Systemen existieren, kann das KI-System nur im Rahmen der einprogrammierten Wissensbasis selbständig arbeiten. Hier jedoch ergeben sich neue Perspektiven auf die Arbeitswelt von morgen. In dieser Welt wird jedoch der Mensch wegen seiner Kreativität und seiner Fähigkeit, Ergebnisse und komplexe Tatbestände bewerten zu können, nicht zu ersetzen sein.

Daß ein wissensbasis-verarbeitendes System erfolgreich eingesetzt werden kann, ist mit der Anwendung des CAD/CAM-Systems "Cadbau 3" nachgewiesen worden. Bei dieser Anwendung werden Regeln für die Konstruktion von Rohrhalterungen in Kraftwerken und die Einplanung von Verankerungen in den Betonkörper in der Wissensbasis, einer Methodenbank, formuliert. Abbildung 3 zeigt schematisch den Aufbau des Systems.

Eine vorgegebene Situation, eine Aufgabenstellung, wird dem CAD-System vorgegeben. Die Identifikation der Teile wird, reduziert auf die verfügbaren Grundelemente, vom Programm vorgenommen. Diese Funktion läßt eine Interpretation der Wissensbasis bezüglich der Aufgabenstellung zu. Mit der Möglichkeit, die erarbeitete detaillierte Konstruktion auszugeben, werden die zur Simulation verstandesmäßiger Prozesse notwendigen Anforderungen vom CAD-System erfüllt.

Methodenbank steuert den Lösungsweg

Welcher Weg vom Erkennen der Situation bis zur Lösung zu beschreiben ist, wird durch die Methodenbank gesteuert, welche die Konstruktionsvorschriften sowie die Randbedingungen der Montage und der Instandhaltung beinhaltet. So greift beispielsweise das Instandhaltungsmodule auf eine Datenbank zurückgegriffen, in der relevante Daten von verwendeten Elementen gespeichert sind. Diese werden aufbereitet und in eine projektbezogene Instandhaltungsdatenbank eingespeist, aus der sich wichtige wartungstechnische Informationen während der Lebensdauer des Projektgegenstandes entnehmen lassen.

Der Konstruktionsvorgang ist Sache der Methodenbank. Sie benötigt als Anfangsbedingung die aktuelle Aufgabenbeschreibung und als Randbedingungen die Datenbankinformationen. Diese werden ständig aktualisiert und stellen den jeweils neuesten Erkenntnisstand der aus der Fertigung, Montage und Wartung eingehenden Rückmeldungen dar. Zur besseren Nachvollziehbarkeit sind diese konstruktionsrelevanten Informationen in einer projektbezogenen Datenbank abgelegt.

Wissensbasis ist hierarchisch strukturiert

Wie bereits in Abbildung 1 dargestellt, wird die Wissensbasis, in der die Konstruktionsalgorithmen abgelegt sind, hierarchisch strukturiert. Die Ausprägung dieses Aufbaus ist in Abbildung 4 dargestellt.

Der Aufbau der Datenstruktur ist dem der Methodenbank ähnlich. Es wird dadurch eine Trennung der Ebenen der Wissensbasis erreicht, die es dem Anwender erlaubt, den jeweils geeigneten Automatisierungsgrad zu wählen.

Ferner ermöglicht der hierarchische modulare Aufbau der Methodenbank die sukzessive Erweiterung der Wissensbasis, wie sie in Abbildung 2 vorgesehen ist, um ein möglichst vollständiges Abbild des Konstruktionsalltages zu erreichen.

Konstruktionsvorgang muß nachvollziehbar sein

Dazu gehört auch, daß der Anwender den Vorgang des rechnergestützten Konstruierens nachvollziehen kann. Hierzu wird ein Protokoll ausgegeben, aus dem der Konstrukteur wichtige Informationen über die gewählten Elemente und deren Alternativen finden kann.

* Dieter Wißfeld ist Mitarbeiter des Bereichs CAD/CAM bei der SCS Organisationsberatung und Informationstechnik GmbH, Mülheim/ Ruhr.