Zusätzlicher Aufwand bei der Bestandsaufnahme zahlt sich aus:

Anforderungsanalyse spart langfristig Kosten

29.05.1987

Der Weg zu einem Produktionsplanungs- und -steuerungssystem ist für den Anwender meist mit einer Reihe von Stolperdrähten gespickt: Die Angebote der verschiedenen Hersteller bieten in den seltensten Fällen eine einheitliche Basis für objektive Vergleiche. Außerdem scheut der potentielle Kunde oft den zusätzlichen Aufwand einer fundierten Anforderungsanalyse. Tips für die Vorgehensweise bei der PPS-Auswahl gibt Klaus Fagenzer*.

Statistisch betrachtet steht in einem Unternehmen der Fertigungsindustrie etwa alle 10 bis 15 Jahre die Aufgabe an, die im Produktionsbereich eingesetzten DV-Lösungen grundsätzlich zu erneuern. Das ist eine Arbeit, die geradewegs einen zentralen Lebensnerv des Unternehmens trifft. Wenn man bedenkt, daß eine Personalgeneration inklusive des Managements nur durchschnittlich zwei- bis dreimal im Berufsleben vor dieser Aufgabe steht, dann Wird klar, daß bei der Auswahl des neuen Systems nur mit wenig Routine zu rechnen ist. Keine leichte Entscheidung also, den Zug in Richtung Erneuerung des Produktionsplanungs- und -steuerungssystems in Gang zu

setzen.

Heute sind kurze Lieferzeiten, hohe Anteile kundenindividueller Produktgestaltung bei konkurrenzfähigen Kalkulationen zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren geworden. Es ist also kein Wunder, daß der Kampf um Marktanteile in vielen Unternehmen der Fertigungsindustrie zum großen Teil in der Produktion entschieden wird. Fertigungsorganisationen, die von alters her auf die Produktion "optimaler" Lagerlose nach langfristig festgelegten Produktionsplänen ausgerichtet sind, eignen sich dafür nicht. Die Vergewaltigung derart abgestimmter Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme mit vielen kleinen Losen und Eilaufträgen führt zur Verstopfung der Werkstätten und hohen Umlaufbeständen. Wenn man daneben noch versucht, mit diesen Systemen die Bestände herunterzufahren, sind Fehlteile die Folge. Das Gegenteil des mit dem Eilauftragsaufkleber erwünschten Effekts ist erreicht. Statt Flexibilität und schnellem Reaktionsvermögen kommt es zu einer Lähmung bis zum "nichts geht mehr".

Das ist die Situation, die es zu vermeiden gilt. Die Angst davor ist der häufigste Grund in den Unternehmen, über die Erneuerung der Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme nachzudenken. Auch wenn man sicher ist, daß das bestehende PPS-Produkt die Ursache allen Übels ist, sollte man sich bei der Auswahl des neuen Systems trotzdem Zeit für ein zweistufiges Vorgehen lassen.

Entscheidende Fakten sind meist schon bekannt

Bevor größere Mengen an Geld und Zeit in die eigentliche Software-Auswahlphase investiert werden, gilt es, in einer Grundsatzentscheidung Art und Umfang der Reorganisation abzustecken. Dazu ist als Grundlage der Zustand der bestehenden Systeme zu dokumentieren, ihre Schwachstellen sind aufzulisten, der Nutzen der Erneuerung ist abzuschätzen.

Dies hört sich nach einer großen Vorstudie an; aber die Praxis hat gezeigt, daß es in den meisten Fällen schon reicht, systematisch zu dokumentieren, was "alle schon jahrelang" schlecht finden. Mit etwas zusätzlicher Ursachenforschung und einigen Folgerungen sind dann die Entscheidungsgrundlagen gelegt. Mit anderen Worten: Die entscheidenden Fakten sind meistens schon jahrelang in den eigenen Reihen bekannt. Leider können jedoch meist nur wenige Mitarbeiter die erkannten Mängel mit der notwendigen Selbstkritik systematisch dokumentieren und in abteilungsübergreifende Zusammenhänge einordnen. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, muß das auf viele Köpfe verteilte Wissen gesammelt werden. Nur auf diese Weise lassen sich umfassende und vollständige Ergebnisse schnell erzielen.

Zunächst sollte eine qualitative Erhebung durchgeführt werden. Auf dieser Basis überlegt man dann, welche Nutzenerwartungen zu quantifizieren sind. Als systematisches Vorgehen bietet es sich an, den

Schwachstellenkatalog zu durchforsten und danach zu fragen, welcher Nutzen durch das Abstellen der Schwachstelle entstehen würde.

Bedeuten beispielsweise zu viele Fehlteile eine Schwachstelle, dann kann man zur quantitativen Auswirkung fragen:

- Wieviel Prozent der Aufträge warten durchschnittlich wie lange wegen Fehlteilen?

- Wie hoch ist der durchschnittliche Materialeinsatzwert eines Auftrages?

Ausgehend von diesen Ergebnissen läßt sich leicht die durch Fehlteile bedingte Kapitalbindung im Umlaufvermögen ausrechnen. Selbst wenn eine Frage zu grob erscheinen mag oder in der Praxis schwer zu beantworten ist, kann sie trotzdem als Einstieg in die fallbezogene, praktische Analyse oder systematische Schätzung dienen.

Fragenkatalog sollte knapp gehalten werden

Eine solche Erhebung umfaßt gewöhnlich im Umfang und Detaillierungsgrad zwischen 50 und 100 DIN-A4-Seiten. Der auf den Nutzen bezogene Fragenkatalog sollte zehn Seiten nicht übersteigen. Dahintersteht ein Aufwand, der in diesem frühen Projektstadium gerechtfertigt ist und der Ergebnisse liefert, die sich nicht im Detail verlieren, also entscheidungsrelevant sind.

Mit dem ersten Schritt zur Erneuerung des Produktionsplanungs- und -steuerungssystems sollte man also folgende Ergebnisse erzielen:

- Es ist begründet und dokumentiert, in welchem Umfang, das heißt für welche globalen Unternehmens funktionen auf der Kette Einkauf Produktion, Vertrieb eine Software Erneuerung durchgeführt werden muß.

- Es ist festgestellt, ob die Erneuerung in Form einer Weiterentwicklung der bestehenden, mangelhaften Lösung möglich ist.

- Die Schwachstellen der bestehen den Abwicklung sind katalogisiert.

- Der qualitative und quantitative Nutzen einer Erneuerung ist aufgelistet.

Die Bewertung und Abwägung dieser Ergebnisse wird in vielen Fällen zu der Entscheidung führen, erst einmal nach einer Standard-Software-Lösung zu suchen. Damit tritt man in die zweite Stufe der eigentlichen Software-Auswahl ein.

Das weitere Vorgehen ist damit häufig ebenso schnell wie unpräzise festgelegt. Schulbuchmäßig wird jetzt erst mal ein Pflichtenheft als Ausschreibungsunterlage erarbeitet. Man schreibt aus und benutzt dann das Pflichtenheft wieder, um die eingehenden Angebote zu prüfen. In dieser Prüfung "Pflichtenheft gegen Leistungsprofil der Angebote" wird dann Punkt für Punkt abgehakt, und der Vergleich der Kandidaten, zum Beispiel in Form einer Nutzwertanalyse, führt zu einem eindeutigen Sieger.

Man kann vor der Einfachheit dieser so einleuchtenden Betrachtungsweise nur eindringlich warnen. Die Praxis hält bei diesem grundsätzlich richtigen Vorgehen einige Stolperdrähte bereit. Ein paar dieser Fallen sollen hier kurz illustriert werden, um die Notwendigkeit einer detaillierteren Vorgehensplanung zu untermauern.

Die beschriebene Betrachtungsweise suggeriert, es läge hier eine Methode vor, um systematisch, objektiv und mit 100prozentiger Sicherheit das am besten passende Standard-Software-Paket herauszufinden. Aus Unerfahrenheit wird in den meisten Fällen davon ausgegangen: Je genauer der gewünschte Funktionsumfang detailliert ist, desto besser fühlt man sich vor einer Pleite bei der Software-Auswahl gesichert. Deshalb wird nur allzu häufig für die Erarbeitung des fachlichen Sollkonzepts der Löwenanteil des zur Software-Auswahl insgesamt geschätzten Aufwands geplant. Erst in der Phase der Angebotsprüfung, also zu einem Zeitpunkt, wo man eigentlich schon kurz vor dem Ziel sein sollte, wird mit Entsetzen festgestellt, daß das Abhaken der Paket-Eigenschaften gegen das Pflichtenheft in der restlichen Zeit unmöglich ist.

Es zeigt sich, daß die Qualität der Angebote vom übersandten DIN-A4-Faltblatt bis zur mehrhundertseitigen Dokumentation streut. Ferner läßt sich feststellen, daß kaum ein Anbieter bereit war, sich mit dem mühevoll ausgearbeiteten Pflichtenheft individuell auseinanderzusetzen. Auch angefertigte Fragebogen sind eventuell überhaupt nicht oder offensichtlich flüchtig und widersprüchlich ausgefüllt worden, und schon gar keiner der Anbieter war bereit, aufgrund des Pflichtenhefts schon einen Preis für Software- und Anpassungen zu nennen. Wenn man sich dann an die Nachfaß-Aktionen und die Prüfung der wenigen, im ersten Anlauf erhaltenen aussagefähigen Angebote macht, folgt die nächste, fast noch schlimmere Enttäuschung: Kaum eine der detailliert erarbeiteten, funktionalen Anforderungen findet sich bei genauerem Hinsehen 1:1 erfüllt in einem der Angebote wieder.

Am Ende ist der potentielle Auftraggeber nach harter Arbeit froh, überhaupt noch zwei oder drei Alternativen zu haben, die wenigstens ungefähr die Hauptabläufe und Verfahrensweisen des Unternehmens abbilden. Steigt man bei diesen verbleibenden Alternativen weiter in die Detail-Untersuchung ein, wird erst richtig klar, wie falsch die Vorstellung ist, umfangreichere Software-Anwendungspakete in der Praxis objektiv und systematisch vergleichen zu wollen.

Kein einheitliches Level für Produktvergleiche

Wer das wirklich will, muß für diesen Anspruch einige Mann- und Zeitjahre opfern. Dazu ein Beispiel: Im Paket A wird eine große Auswahl an fertigen Auswertungsprogrammen für "Bildschirmanzeigen und Listen" angeboten, 100 Typen mit einigen Varianten. Der Anbieter von Paket A behauptet, er habe in über 50 Einsatzfällen seines Pakets festgestellt, daß die Kunden bis auf ein oder zwei zusätzliche Listen mit seinem Standardangebot auskommen. Der Anbieter von Paket B dagegen bietet überhaupt keine Standard-Liste an. Er stellt statt dessen einen Listgenerator zur Verfügung, mit dem der Endbenutzer selbst angeblich in wenigen Stunden jede gewünschte Auswertung erzeugen kann.

Fängt der Interessent erst einmal an zu überlegen, wie man die Eigenschaft von Paket A und Paket B in dieser einen, einfachen Fragestellung zu bewerten hat, merkt man, daß dies gar nicht so einfach ist. Ein Bewertungskriterium wie der gern gebrauchte "funktionale Deckungsgrad" ist dieser Fragestellung überhaupt nicht gewachsen. Paket B würde bezüglich der Auswertungsfunktionen mit der funktionalen Deckung = 0 sehr schlecht wegkommen, obwohl möglicherweise in Paket A im Endeffekt 50 Prozent der Listanforderungen konventionell neu programmiert werden müßten; dies kostet vielleicht einen höheren Zeit-und Arbeitsaufwand, als sämtliche Listanforderungen mit dem Listgenerator des Pakets B völlig neu zu erstellen.

Künftige Wartungsfälle oft nicht berücksichtigt

Wird der Zeit- und Arbeitsaufwand zum Bewertungskriterium erhoben, so ist das zu erreichende Ziel exakt zu definieren. Jedermann weiß, wie schwierig und langwierig es ist, mit der Fachabteilung das Aussehen einer einzigen Liste abzustimmen. Daraus wird ersichtlich, daß es allein schon fast unmöglich ist, in der Planungsphase theoretisch sämtliche in einem so komplexen Gebiet wie der Materialwirtschaft oder der Produktionsplanung und -steuerung anfallenden Listen und Auswertungen zu definieren.

Unter der Annahme, man wollte und könnte auch diesen Aufwand noch treiben, ließe sich formal (nachdem auch noch mühselig die Möglichkeiten des unbekannten Listgenerators, von Paket B getestet wurden) der Aufwand zur Erstellung der gewünschten Listen in Paket A und B abschätzen. Abgesehen davon, daß dies wiederum ein langwieriges Unterfangen ist, ergeben sich sehr bald neue Schwierigkeiten: Zum Beispiel sei die im Soll-Konzept geforderte Liste 1 durch zwei vorhandene Listen im Paket A abgedeckt. Jetzt ist es wieder in das Ermessen des Betrachters gestellt, ob damit Liste 1 als abgedeckt gilt, oder ob ein entsprechender Programmieraufwand gerechtfertigt erscheint, um aus den vorhandenen zwei Listen eine zu machen. Will man dieses Ermessen wieder objektivieren, so wäre zu untersuchen, wie sich das Arbeiten mit den zwei statt mit der einen gewünschten Liste im laufenden Betrieb auswirkt.

Die Liste der in der Praxis lauernden Schwierigkeiten könnte noch beliebig fortgesetzt werden. So sind in diesem Beispiel zukünftige Wartungsfälle an den Listen noch gar nicht berücksichtigt; aber auch bei diesen zukünftigen Anforderungen könnte sich der Listgenerator gegenüber der konventionellen Programmierung noch einmal auswirken. Wer also wirklich exakte Vergleiche von verschiedenen Paketen, zum Beispiel über eine Aufwandsbewertung, herstellen will, muß mehr Zeit und Geld in die Auswahl investieren als die komplette, individuelle Neuentwicklung kosten würde - und das wäre ein Schildbürgerstreich.

Diese Tatsachen sind in der Zeit- und Aufwandsplanung des Auswahlprozesses sorgfältig zu berücksichtigen. Ein guter Ansatz dafür ist, schon in dieser Zeit die eigentlich wichtigen Entscheidungskriterien festzulegen. Ist dies geschehen, kann man in der nachfolgenden Planung der Auswahlphase Zeit- und Arbeitsaufwand entsprechend der Entscheidungsrelevanz schätzen und vorsehen. Für die Klärung entscheidender Sachverhalte ist also mehr Zeit vorzusehen als für die Bearbeitung weniger wichtiger Kriterien. Das scheint einleuchtend, sieht aber in der Praxis häufig ganz anders aus, da die Entscheidungskriterien erst am Schluß der Auswahlphase festgelegt werden.

Die Entscheidungskriterien können zwischen der Fachabteilungsleitung, der DV/Org.-Leitung und dem später zur Auswahl eingesetzten Projektteam abgestimmt werden. Man sollte sich dafür ruhig vier bis sechs Wochen Zeit nehmen, um in drei oder vier halb- oder eintägigen Sitzungen einen Konsens über die ausschlaggebenden Entscheidungskriterien zu erzielen. Es ist optimal, wenn zu diesen Sitzungen eine Person hinzugezogen wird, die in puncto Software-Auswahl über Praxiserfahrungen aus jüngerer Zeit verfügt. Das kann etliche Irrwege ersparen. Ergebnis dieser Gesprächsrunden kann ein mit Gewichten versehener Kriterienkatalog sein, der hierarchisch abgestuft, beispielsweise über drei Ebenen, in der dritten Ebene auch nicht mehr als höchstens 100 Einzelkriterien enthalten sollte.

Mit größeren Anpassungen ist meist zu rechnen

Wie ein solcher Katalog in den ersten beiden Stufen aussehen kann, ist in Abbildung 1 dargestellt. Es handelt sich bei den aufgeführten Kriterien und Gewichten um den repräsentativen Durchschnitt solcher Kriterienkataloge aus Praxisfällen.

Als wichtigster Punkt soll dabei noch einmal darauf hingewiesen werden, daß die "funktionale Deckung", die landläufig beim Aufsetzen eines Auswahlprojektes unbewußt als wesentlichstes Kriterium angesehen wird, nur mit 25 Prozent in die Bewertung eingeht. Die DV-technische Integrationsfähigkeit und Anpaßbarkeit hat das Gewicht 30. Man sieht daran, daß die aufgezeigten Praxiserfahrungen bei der Auswahl und Einführung von Standard-Software-Paketen in der Materialwirtschaft und Produktionsplanung und -steuerung wesentlich in die Gewichtung eingegangen sind.

Es wird damit der Beobachtung Rechnung getragen, daß in diesen Bereichen fast immer mit größeren Anpassungen der Pakete zu rechnen ist; denn im Material- und Produktionsbereich gibt es zu viele unterschiedliche Anforderungen aus der Praxis. Man kann nicht erwarten, daß sich ausgerechnet die eigenen Anforderungen in einem der Standard-Software-Angebote großenteils wiederfinden. Auf der anderen Seite hat die Anpassungsfähigkeit der eigenen Organisation auf die Möglichkeiten eines Standard-Software-Paketes auch ihre Grenzen. Alles in allem ist es schon als fragwürdig anzusehen, per Management-Entscheidung die Anpassung der Standard-Software an die Organisation durch die Anpassung der Organisation an das Standard-Paket substituieren zu wollen.

Es empfiehlt sich deshalb, mit Anpassungen zu rechnen und darauf zu achten, daß der Anpassungsfähigkeit eines Pakets das angemessene Gewicht bei der Untersuchung und Bewertung gegeben wird. Zweitens läßt sich durch diese Gewichtung auch ein Kompromiß mit der Praxis finden. Wie bereits erwähnt, ist die "funktionale Deckung" im Detail nicht mit vertretbarem Aufwand vor Vertragsabschluß prüfbar. Man muß einfach zur Kenntnis nehmen, daß sich in einem umfangreichen Materialwirtschafts- beziehungsweise Produktionsplanungs- und -steuerungssystem weder sämtliche Masken, Listen und Algorithmen im vorhinein festlegen und beschreiben lassen, noch bei fünf möglichen Angeboten diese Details in vertretbarer Zeit prüfbar sind. Wenn man weiß, daß dieser Prüfungsaufwand höher ist als ein in Kauf genommener späterer Anpassungsaufwand, wird wieder klar, daß der Anpassungsfähigkeit eines Software-Pakets in dem hier gefragten Anwendungsbereich hohe Bedeutung beigemessen werden muß.

Möglicherweise ergeben sich situations- und personenabhängig auch andere Kriterien und Bewertungsgewichte. Unabhängig davon bleibt es trotzdem richtig, diese Dinge vor dem Start der Arbeiten am Pflichtenheft gründlich zu diskutieren.

Es ist auch schon jetzt angeraten, eine Vorentscheidung darüber zu treffen, wer später die Anpassungen in das ausgewählte Paket einbaut. Soll das aus eigenen Kräften gemacht werden oder sollen diese Anpassungen durch den Lieferanten der Software beziehungsweise einen

Kenner dieser Software erledigt werden. Im allgemeinen wird letzteres der einzig praktikable Weg sein. In diesem Fall ist fast sicher damit zu rechnen, daß der Anbieter auf einer eigenen Voruntersuchung und anschließender Feinkonzeptionsphase besteht, bevor er Preis und Zeitvorstellungen äußert. Aufgrund eines vorgelegten Pflichtenheftes wird er dies nur sehr grob und unverbindlich tun. Auch aus diesem Grund wird klar, daß Feinkonzeptionsarbeiten, die man in das Pflichtenheft steckt, höchstwahrscheinlich später noch einmal gemacht werden.

Aus diesen Aspekten ließe sich böswillig der Freibrief ableiten, das Pflichtenheft eher etwas "nachlässig" zu erstellen. Das darf aber nicht der Fall sein. Es kommt darauf an, im Pflichtenheft die entscheidungsrelevanten Anforderungen zu definieren und abzufragen. Dabei sollte auch das Volumen der den einzelnen Kriterien gewidmeten Kapitel in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des Kriteriums stehen. Wenn man beispielsweise zu der Bewertung kommt, daß die SW-technische Anpaßbarkeit ebenso wichtig ist wie die in der Auswahlphase feststellbare "funktionale Deckung", so ist es ein krasses Mißverhältnis, wenn die Beschreibung der fachlich funktionalen Anforderungen 300 Seiten Raum nimmt und Anforderungen an die SW-technische Basis auf drei Seiten abgehandelt werden.

Bei allen guten Vorsätzen zum Abspecken der Pflichtenhefte im Teil der fachlich funktionalen Anforderungsdefinitionen darf aber eine

Grenze nicht überschritten werden: Auf die Ausprägung einzelner Funktionen kann man verzichten, aber nicht auf die Abläufe der wesentlichen Geschäftsvorfälle. Ob diese Abläufe in einem Standard-Software-Angebot abgebildet sind, läßt sich relativ schnell prüfen; wenn die wesentlichen Abläufe nicht abgebildet sind, kommt das Paket nicht in Frage.

Das Fazit: Ein Pflichtenheft sollte auch in der volumenmäßigen Aufteilung seiner Inhalte an den entscheidungsrelevanten Kriterien und deren Wichtigkeit ausgerichtet sein. Der Aufwand für die Erarbeitung eines Pflichtenheftes sollte zwei Drittel des für die gesamte Auswahl angesetzten Aufwands nicht- überschreiten. Ansonsten ist etwas nicht in Ordnung oder es liegen ganz besondere Bedingungen vor.

Bereits parallel zur Erarbeitung des Pflichtenhefts empfiehlt es sich, grobe Informationen über die möglichen Angebote einzuholen. An die Adressen der Anbieter kommt man leicht über die einschlägigen Katalogwerke; die bekannteste Quelle ist wohl der Isis-Katalog. Häufig können zusätzliche Anbieter auch über die Geschäftsstellen der HW-Hersteller herausgefunden werden, die über Karteien von SW-Partnern verfügen. Dieses Vorgehen gibt einen Überblick über das Marktangebot, und die Vorabinformationen genügen, um in einer ersten K.o.-Runde die Spreu vom Weizen zu trennen, bevor überhaupt ausgeschrieben wird. Auf diese Weise kommt man auch sehr schnell zu der Einsicht, daß man als Suchender ganz und gar nicht in der Lage ist, sich die Rosinen aus einer großen Anbieterschar herauszupicken. Wird nur nach den gröbsten funktionalen Kriterien und Lauffähigkeitsanforderungen auf einer bestimmten HW-Größenklasse gefiltert, bleiben, unabhängig davon, wie diese Grobanforderungen nun ausgefallen sind, meistens deutlich weniger als zehn Anbieter übrig.

Nachfaß-Termin erweist sich als empfehlenswert

Für die Ausschreibung und den damit gesetzten Termin für die Einreichung von Angeboten sollte in der Planung von vornherein eine Nachfaß-Runde mit einem zweiten Termin vorgesehen werden. Man kann davon ausgehen, daß nur etwa 30 Prozent der Angebote pünktlich mit dem gewünschten Inhalt eingehen.

Damit beginnt die Prüfung und Bearbeitung der Angebote. In einer ersten Durchsicht, wobei man pro Angebot allerhöchstens zwei Tage vorsehen sollte, muß man die besten zwei oder drei Angebote zur Weiterverfolgung isolieren. Das geht meistens schneller, als umgekehrt die schlechtesten Angebote mit Begründung ausscheiden zu lassen.

Wenn die letzten drei Offerten feststehen, sollte jeweils ein Demo-Termin beim Anbieter und bei einem Anwender vereinbart werden. Die Terminkoordination ist in jedem Fall schwierig, und man kann sicher sein, daß sich vor zwei, drei Wochen ab erstem Bemühen überhaupt nichts tut. Diese Zeit läßt sich gut für das Aktenstudium und die Vorbereitung auf die Termine verwenden. Generell gilt es auch hier wieder, die Zeit- und Arbeitsaufteilung für die Klärung der Paketeigenschaften an dem Entscheidungsgewicht der Eigenschaft beziehungsweise des Kriteriums auszurichten.

Auf diese Art und Weise kommt der Interessent aus eigener Einsicht und Entscheidung zu einem Favoriten und einem zweiten. In der überwiegenden Zahl der Fälle läßt sich feststellen, daß der angebotene reine Standard nicht ausreicht und mindestens in Teilen größere Anpassungen gemacht werden müssen.

Damit ist die letzte, entscheidende Hürde der Auswahlphase erreicht. Es geht jetzt darum, den Anpassungsaufwand verbindlich abzuschätzen, um Zeiten und Kosten festzulegen. Das ist natürlich ein Problem, denn der Anbieter kennt sein Produkt genau, aber nicht die Anforderungen; umgekehrt weiß der potentielle Kunde zwar über seine Anforderungen Bescheid, aber er kennt das Paket nicht genau genug, um die Anpassungsaufwendungen genügend verläßlich schätzen zu können.

In den meisten Fällen wird man mindestens Teile der Anpassungsarbeiten durch den Software-Anbieter vornehmen lassen. Das heißt, der Software-Anbieter müßte auch ein Angebot über diese Leistungen unterbreiten. Meist geschieht dies jedoch nur, wenn der Interessent dem Anbieter Gelegenheit zu einer bezahlten Vorstudie gibt. Die Zeit und Kosten für eine solche Studie sind von vornherein einzuplanen.

Abschließend nun noch einige Erfahrungswerte zum Zeitablauf und Aufwand einer Standard-Produktionsplanungs- und

-steuerungssystemauswahl. Es ist klar, daß diese Kriterien auch von der Firmengröße sowie von der Produkt- und Fertigungsstruktur abhängen.

Rückschlüsse auf andere Unternehmen sind möglich

Als Beispiel dient ein Maschinenbaubetrieb mit

- 130 Millionen Mark Jahresumsatz,

- etwa 200 Grundartikeln mit jeweils fünf bis zehn Variationskriterien,

- einer auftragsbezogenen Kleinserienfertigung in Werkstattorganisation bis zur Baugruppenebene,

- einer kundenauftragsbezogenen Endfertigung und Montage nach dem Fließprinzip.

Das für einen solchen Betrieb entwickelte Zahlenmaterial kann mit einiger Vorsicht und Zu- und Abschlägen auf Unternehmen in der Größenordnung von 70 Millionen Mark bis 200 Millionen Mark Umsatz übertragen werden. Bei wesentlich kleineren oder größeren Unternehmen gelten sicher andere Ansätze.

Ausgangsbasis ist der Zeitpunkt, an dem der Entscheidungsprozeß über die Erneuerung des Produktionsplanungs- und

-steuerungssystems im Unternehmen in Gang kommt. Der Zeitplan für die Systemauswahl ist in Abbildung 2 dargestellt.

Da nicht nur der Suchende, sondern vor allem in der letzten Phase der Einholung verbindlicher Angebote auch der Anbieter für diese Aufgaben qualifiziertes Personal bereitstellen muß und zusätzlich solche Arbeiten nicht am Stück durchgeführt werden können, ist im unglücklichsten Fall unter Umständen auch ein halbes Jahr und länger für die Abgabe eines verbindlichen Angebots zu veranschlagen.

Aus Kosten- und Zeitgründen ist es deshalb zu überlegen, ob man es sich erlauben will, zwei Angebote parallel oder hintereinander einzuholen. Bei einem deutlichen Favoriten stellt sich die Frage, ob man für diesen letzten Schritt vor der eigentlichen Auftragsvergabe nicht auf ein paralleles Alternativ-Angebot verzichtet beziehungsweise dieses nur im Notfall, also bei dem nicht erwarteten Ausfall des Favoriten, "in letzter Minute", noch in Auftrag gibt. Das bedeutet dann unter Umständen einen weiteren Zeitverlust.

Selbst wenn sich der Zeitplan mit etwas Glück einhalten läßt, muß man mit knapp zwei Jahren bis zur Erstellung eines entscheidungsreifen Vorschlags rechnen.