Andere Mentalitäten besser verstehen

13.11.2006
Von 
Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.
Softwareprojekte wandern rund um den Globus. Um mit den Kollegen aus anderen Kulturkreisen gut zusammenzuarbeiten, ist soziale und interkulturelle Kompetenz gefragt.

Dass sich die Arbeitsmarktlage für Programmierer entspannt, ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass viele Entwickler unsicher sind, wie ihre Zukunft in dieser globalisierten Welt aussehen wird. Vorbei sind die Zeiten, in denen Computerprofis in kleinen Teams arbeiteten und Probleme nahezu ausnahmslos in der Muttersprache diskutierten. Heute lassen die Konzerne die Softwaretätigkeiten rund um den Erdball wandern. Immer öfter arbeiten an einem Projekt Programmierer aus Asien, Europa oder den USA.

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Dazu kommt, dass Unternehmen Programmierjobs in Nearshore-Länder wie Ungarn, Polen oder Russland oder offshore nach Indien oder China vergeben. Gut qualifizierte Kollegen aus diesen Ländern sind bereit, die Arbeit für weniger Geld zu erledigen. Die Folge: Die Anforderungen an die deutschen Entwickler steigen. Soziale Kompetenzen, Fremdsprachen-Know-how, Teamfähigkeit, Mobilität, Flexibilität und vor allem interkulturelle Kompetenz sind die Voraussetzungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Unterschiedliche Erwartungen

Für Stephan Pfisterer, Arbeitsmarktexperte des Branchenverbandes Bitkom, steht fest, dass die Softwareentwicklung immer stärker in unterschiedlichen kulturellen Kontexten stattfindet: "Benutzeroberflächen, Zugriffswege und Administrationsstile hängen auch von landesspezifischen Traditionen ab. Diese müssen bei der Erstellung von Programmen berücksichtigt werden, wenn ein Unternehmen eine optimale Kundenzufriedenheit sicherstellen will."

Um Missverständnisse zwischen Kulturen zu vermeiden, sollten die Beteiligten seiner Meinung nach die englische Sprache beherrschen. Beispielsweise hätten indische Programmierer ganz andere Erwartungen an die Projektsteuerung als ihre deutschen Kollegen. Pfisterer: "Um diese unterschiedliche Erwartungshaltung abklären zu können, müssen die Beteiligten sich zumindest sprachlich verstehen." Interkulturelle Kompetenz bedeutet, mit diesen Unterschieden umgehen zu können, sich darauf einzustellen und ein wechselseitiges Bewusstsein über "programmierte" Fallstricke zu schaffen.

Koordination als künftige Aufgabe

Die Zusammenarbeit mit ausländischen IT-Profis hat beim IT-Dienstleister GFT Technologies Tradition. Lange bevor die Greencard von der rot-grünen Bundesregierung eingeführt wurde, arbeiteten am Stammsitz St. Georgen im Schwarzwald bereits die ersten indischen Programmierer. Wenig später waren asiatische GFT-Mitarbeiter in Eschborn in einer großen Bank im Einsatz. Vorstandschef Ulrich Dietz: "Zu einem innovativen Unternehmen gehört nun einmal, neues, unbekanntes Terrain zu betreten. Uns war klar, dass die Welt immer mehr zusammenwächst und die Projekte internationaler werden." Allerdings habe GFT die Schritte gut vorbereitet. Damit die Zusammenarbeit mit Vertretern aus einer anderen Kultur klappte, holte der IT-Dienstleister zunächst indische IT-Profis nach Deutschland.

In Gesprächen und Workshops lernten sich Deutsche und Inder näher kennen. Dietz: "Heute gibt es bei der GFT eine definierte Schnittstelle, von der aus deutsche ihre indischen Kollegen steuern. Dabei handelt es sich um Mitarbeiter, die über internationale Erfahrung verfügen." Der Vorstandsvorsitzende ist überzeugt, dass die Zukunft des Programmierers in der Koordination und in der fachbezogenen Beratung liegen wird. Dafür würden neben Branchenwissen Business- und Prozess-Background verlangt. Dietz: "Wer glaubt, dass alle IT-Jobs ins Ausland verlagert werden, der irrt. In Deutschland entstehen neue Arbeitsplätze - und auf die sollten sich die hiesigen Programmierer vorbereiten."

Ja heißt nicht unbedingt ja

Aufgrund der jahrelangen positiven Erfahrungen rät Erwin Selg, CTO und Managing Director GFT India, allen Unternehmen, die Projekte im Ausland planen, IT-Profis aus den entsprechenden Ländern erst einmal im eigenen Haus tätig werden zu lassen. Nur so könne man sich ein detailliertes Bild über spätere Probleme machen. Für Selg steht fest, dass interkulturelle Kompetenz bewusst gesteuert und geübt werden muss.

Bei GFT erhalten deshalb diejenigen Mitarbeiter, die zum ersten Mal in einem internationalen Projekt arbeiten, ein so genanntes Kick-off-Training. Selg: "In der ersten Stufe werden den Teilnehmern die kulturellen Unterschiede nahe gebracht. Dazu gehört auch, dass beispielsweise in Indien ein Ja nicht unbedingt als Ja einzustufen ist und man besser nochmal nachhakt." In der zweiten Stufe stünden die Absolventen einem erfahrenen Fachmann als Co-Moderator oder Co-Projektleiter zur Seite und dürften selbst auch kleinere Jobs verantworten.

Nach Trainingsende würden sowohl indische als auch deutsche Projekt-Manager die Kandidaten im Hinblick auf ihre künftigen internationalen Aufgaben bewerten. Der CTO: "Um ein internationales Projekt erfolgreich über die Bühne zu bringen, kommt es auf die gute Vorbereitung an. Dabei spielen Teamfähigkeit sowie Verständnis für eine andere Mentalität eine entscheidende Rolle." Die hohen Anforderungen können seiner Meinung nach nur gute Computerprofis erfüllen.

Soumy Bhat, die seit 2001 in Deutschland bei GFT als IT-Consultant tätig ist, weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig interkulturelle Kompetenz ist: "Zu beobachten, wie die Kollegen aus anderen Ländern miteinander umgehen, hilft auf jeden Fall weiter."

Sie selbst hat keine Mentalitätsprobleme mit den Deutschen - im Gegenteil, sie schätzt deren Offenheit. Bhat: "Ein deutscher Vorgesetzter gibt meist klare Anweisungen für ein Projekt. Die Sprache der Inder ist diplomatischer - sowohl von den Vorgesetzten zu den Mitarbeitern als auch umgekehrt."

Um Verständigungsprobleme zu reduzieren, hat die indische Programmiererin einen Tipp parat: Die Führungskräfte sollten ihre deutschen Mitarbeiter motivieren, ihre Kollegen aus anderen Ländern zu sich nach Hause einzuladen. Bhat: "Vielleicht treten beim ersten Mal noch Missverständnisse auf, beim zweiten oder dritten Mal ganz sicher nicht mehr. Die Zusammenarbeit im Projekt wird davon profitieren." (hk)