Anbieter muessen aber keine Programmeinweisung erteilen Kunden haben bei Betaversionen normale Gewaehrleistungsrechte

13.10.1995

Von Fritz Neske und Frank Koch*

Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Muenchen /1/ schafft fuer den Vertrieb von Pre Releases voellig neue rechtliche Voraussetzungen: Wenn Entwickler und Vertriebshaendler Maengel dieser Versionen fristgerecht ruegen, koennen sie alle Gewaehrleistungsrechte geltend machen. Anbieterfreundlicher ist ein Urteil des Landgerichts (LG) Giessen: Software-Anbieter schulden demnach dem Anwender ueber das Handbuch hinaus keine Einweisung in die Programmnutzung.

In dem vom OLG Muenchen entschiedenen Fall hatte die Klaegerin nur ein Pre Release eines Entwicklungswerkzeuges (Software Development Kit, SDK, zu OS/2) gegen Bezahlung von der Beklagten erworben, spaeter kostenfrei ein weiteres Pre Release, aber zu keinem Zeitpunkt ein Final Release des SDK.

Ansprueche aus den Maengeln

Streitig waren die Ansprueche aus den Maengeln des Pre Release und zentral ein moeglicher Anspruch auf Lieferung des Final Release. Auf diesen vom Gericht verneinten Anspruch ist im vorliegenden nicht naeher einzugehen, wohl aber auf eine die Entscheidungsgruende nicht tragende rechtliche Einstufung, die allgemeine praktische Bedeutung erlangen kann.

Das OLG Muenchen sah die Anwendung von Kaufrecht auf die Ueberlassung des Pre Release als moeglich an. In diesem Fall war vom Kunden zwingend der kaufmaennischen Untersuchungs- und Ruegepflicht gemaess Paragraph 377 I HGB nachzukommen. Folgerung des Gerichts: Sei nicht "unverzueglich" (im Sinne von Paragraph 377 I Satz 1 HGB) nach Ablieferung durch den Kaeufer ein Mangel geruegt worden, gelte die Ware als genehmigt (Paragraph 377 II HGB).

Keine Pflichten fuer den Kaeufer

Hiernach handelt es sich bei Vorversionen von Software um Waren wie andere auch. Den Kunden treffen als Kaeufer keinerlei Pflichten, dem Anbieter (gar noch auf eigene Kosten) irgendwelche Veraenderungs- oder Verbesserungsvorschlaege mitzuteilen, wie das aber bisher bei derartigen Vorversionen durchgaengig die Praxis war.

Gegenueber dieser freiwilligen Mitteilung von Maengeln, die letztlich vor allem dem Anbieter genutzt hat, der hierdurch Rueckmeldungen aus der Praxis erhielt, hat sich durch die genannte Rechtsprechung die Rechtslage gewissermassen umgekehrt, da auf einmal die Kunden gezwungen werden, zur Vermeidung von Rechtsverlusten Maengel mitzuteilen.

Ausserdem macht die Anwendung der kaufmaennischen Untersuchungs- und Ruegepflicht nur dann Sinn, wenn die anzuzeigende Abweichung tatsaech-lich einen Mangel im Sinne des Gewaehrleistungsrechts darstellt. Dies bedeutet, dass bereits Vorversionen in gleicher Weise mangelhaft sein koennen wie die endgueltigen Ausfuehrungen. Zumindest bezueglich der Gewaehrleistung werden beide Varianten damit gleichgestellt.

Wenn Pre Release und endgueltige Version durch die Entscheidung des OLG Muenchen bezueglich des Laufverhaltens und moeglicher Maengel nun in gleicher Weise dem Kaufrecht unterliegen, wird es fuer Anbieter ausserdem sehr schwer werden, wirksam Verwendungsbindungen im Vertrag einzufuehren (etwa ein Verbot, die Vorversion als Teil des eigenen kundenseitigen Produktes an Endabnehmer zu vertreiben, wie es fuer die endgueltige Version ueblich ist).

Gerade fuer Produkte auf Massenmaerkten wird dies Konsequenzen haben. Wenn etwa eine grosse Handelskette ihre Rechner mit einer Betaversion von Windows 95 ausstattet und vertreibt, so unterliegen diese Produkte der vollen Gewaehrleistung, so dass alle Maengelbeseitigungsansprueche unmittelbar gegenueber dieser Handelskette geltend gemacht werden muessen.

Die Kunden koennen sich hierbei ausdruecklich auf die genannte Entscheidung des OLG Muenchen berufen. Gewaehrleistungsausschluesse fuer die Betaversion von Windows 95 und andere vergleichbare Vorversionen sind unwirksam. Alle kaufmaennischen Kunden von der Betaversion von Windows 95 und vergleichbarer Vorversionen muessen unverzueglich alle erkennbaren Maengel dem Haendler beziehungsweise unmittelbar Microsoft mitteilen und unter Fristsetzung Maengelbeseitigung verlangen. Verstreicht die Frist ergebnislos, kann die Beantragung eines gerichtlichen Beweissicherungsverfahrens angezeigt sein, um das Bestehen der Maengel noch in der laufenden Gewaehrleistungsfrist feststellen zu lassen und die Frist insoweit zu unterbrechen. Nicht ohne weiteres erkennbare Maengel muessen in der Gewaehrleistungsfrist geruegt werden. Diese betraegt sechs Monate.

Anbieter sind prinzipiell weiterhin nicht zur Lieferung der endgueltigen Ausfuehrung von Software verpflichtet, sondern koennen wie auch immer geartete Vorversionen vertreiben, auch gegen Verguetung. Da die Anbieter in diesem Fall rechtzeitig geruegte Maengel beseitigen muessen, sind sie de facto doch zur Fertigentwicklung gezwungen, wenn sie sich nicht mit massenweisen Rueckgabeaktionen zur Rueckabwicklung des Vertrages konfrontiert sehen wollen.

Keine Pflicht zur Kundeneinweisung

Schulden Software-Anbieter neben einem Anwenderhandbuch auch die Einweisung in die Programmnutzung? Das LG Giessen hat diese fuer die gesamte Branche bedeutsame Frage verneint. Bisher hatten verschiedene Instanzgerichte die Auffassung vertreten, ein kaufweise erworbenes System koenne erst dann als "abgeliefert" gelten, wenn der Verkaeufer den Kunden in die Systemnutzung eingewiesen habe und ein im wesentlichen stoerungsfreier Probebetrieb erfolgt sei /2/.

Das LG Giessen ist nun von dieser Auffassung in einem wichtigen Punkt abgewichen. In seinem vor kurzem veroeffentlichten Urteil (LG Giessen, Urteil vom 3. Maerz 1995 - 1 S 676/94) vertritt das Gericht die Auffassung, bei dem kaufweisen Erwerb von Standardsoftware sei eine kostenlose Einweisung grundsaetzlich nicht geschuldet.

Rechtsprechung nicht ohne weiteres uebertragbar

Die zu vollstaendigen Systemen ergangene Rechtsprechung lasse sich, so das LG Giessen, nicht ohne weiteres auf Standardsoftware uebertragen. Komplette Systeme aus Hardware und darauf installierter Software seien komplex. Eine Mangelhaftigkeit lasse sich deshalb erst nach Ueberwindung immer wieder vorkommender Anfangsschwierigkeiten und nach einer gewissen Zeit stoerungsfreien Betriebes beurteilen.

Der kaufweise Erwerb von Standardsoftware sei hingegen anders zu beurteilen. Hier bestehe kein Anlass, die fuer den Verjaehrungsbeginn massgebliche "Ablieferung" zu Lasten des Verkaeufers bis zum Zeitpunkt eines erfolgreichen Probebetriebes hinauszuschieben. Vielmehr sei "der Kaeufer regelmaessig schon durch die als Bedienungsanleitung mitzuliefernden Handbuecher in die Lage versetzt, die Beschaffenheit der Software zu pruefen. Dass er dabei nicht saemtliche Funktionen sofort ueberschauen und intensiv testen kann, ist ein Aspekt, den es bei anderen technischen Geraeten auch gibt." Folglich habe der Verkaeufer die ohne besondere Vereinbarung geschuldete Einweisung durch Uebergabe der Bedienungsanleitung geleistet.

Anzumerken zu diesem Urteil ist freilich, dass die Entgegensetzung von komplexen Systemen und Standardsoftware ein gewisses Problem birgt: Nach der Logik dieser Argumentation ist offensichtlich auf einen bestimmten Komplexitaetsgrad abzustellen, der unter Umstaenden auch von bestimmten Standardprogrammen in spezifischen Anwendungsbereichen erreicht werden kann. Hier koennte eine Einweisungspflicht dennoch bestehen.

Verwirrung kann auch der Umstand ausloesen, dass das OLG Koeln in einer ebenfalls aktuellen Entscheidung zum entgegengesetzten Ergebnis zu gelangen scheint /3/. Dem Gericht zufolge koenne von einer "Ablieferung" im Sinne von Paragraph 477 BGB jedenfalls vor Beendigung der Einweisung nicht ausgegangen werden. Man darf hier aber nicht uebersehen, dass der Sachverhalt ein anderer war: Die Vertragsparteien hatten naemlich Einweisungsleistungen ausdruecklich vereinbart. Unter dieser ergaenzenden Voraussetzung muss dann allerdings auch die Einweisung erbracht worden sein, bevor man von einer "Ablieferung" ausgehen kann.

Fazit: Haben die Vertragsparteien nichts Besonderes vereinbart, schuldet der Anbieter beim Systemkauf (nach noch nicht hoechstrichterlich abschliessend bestaetigter Rechtsprechung) auch ohne besondere Vereinbarung eine Einweisung des Kunden in die Systemnutzung. Bei dem Verkauf von Standardsoftware genuegt zur "Ablieferung" hingegen die Uebergabe einer (natuerlich geeigneten) Anwenderdokumentation und muss nicht ergaenzend noch eine Einweisung erfolgen. Haben die Vertragsparteien jedoch eine Einweisung vereinbart, kann die die Verjaehrung ausloesende Ablieferung erst angenommen werden, wenn die Einweisung tatsaechlich erbracht wurde.

/1/ Nichtannahme zur Revision durch BGH, Beschluss vom 28. Juni 1995 -VIII ZR 341/94, unveroeffentlicht.

/2/ Oberlandesgericht (OLG) Koeln, Computer und Recht (CR) 1993, Seite 426; OLG Hamm CR 1992, Seite 335 und OLG Duesseldorf CR 1989, Seite 689.

/3/ OLG Koeln, Urteil vom 31. Maerz 1995 - 19 U 248/94, rechtskraeftig.

* Diplomvolkswirt Fritz Neske ist Redakteur der Neuen Juristischen Wochenzeitschrift - CoR Computerreport, Germering; Dr. Frank Koch ist Rechtsanwalt in Muenchen.