Staatsanwalt belastet Merrill Lynch

Analysten im Kreuzfeuer der Kritik

19.04.2002
MÜNCHEN (CW) - In der Auseinandersetzung zwischen der Investment-Bank Merrill Lynch und dem New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer bahnt sich eine außergerichtliche Einigung ab. Presseberichten zufolge verhandeln beide Seiten bereits über die Modalitäten.

In der vergangenen Woche hatte New Yorks Chefankläger Spitzer schwere Geschütze gegen Merrill Lynch aufgefahren. Er legte einige E-Mails vor, aus denen eine gravierende Diskrepanz zwischen internen und externen Firmenbewertungen bei Merrill ersichtlich wurde. Demnach hatte dessen Internet-Staranalyst Henry Blodget Firmenaktien offiziell zum Kauf empfohlen, diese aber gegenüber seinen Kollegen als "Stück Scheiße" oder "Pulverfass" bezeichnet. Aus derartigen Indizien - in zehn Monaten sind dafür rund 30000 E-Mails von der Staatsanwaltschaft untersucht worden - ergab sich für den Ankläger das Bild, dass Kunden betrogen wurden und die Trennung der Investment- und Research-Bereiche bei Merrill nur auf dem Papier existiert.

Mit Hilfe kalkuliert positiver Bewertungen durch eigene Analysten habe es der Finanzdienstleister geschafft, lukrative Investment-Banking-Aufträge an Land zu ziehen, lautet der Vorwurf Spitzers. Quasi nebenbei wurden die Anleger systematisch betrogen. Verhandlungen mit Merrill in dieser Sache wurden kürzlich abgebrochen, weshalb der Staatsanwalt nun Auszüge aus der internen Kommunikation des Finanzdiensleisters veröffentlicht hat. Merrill wies die Anschuldigungen zurück, die E-Mail-Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen.

Neben dem PR-Desaster - allein die Aktie des Unternehmens verlor vergangene Woche zwölf Prozent ihres Wertes - zeichnen sich nun auch strukturelle und finanzielle Folgen für das Geldhaus ab. Laut US-Presseberichten verhandeln beide Seiten hinter verschlossener Tür über eine außergerichtliche Einigung. Auch der Forderungskatalog des Staatsanwalts wurde publik: Merrill Lynch muss seine Schuld eingestehen, für betroffene Investoren solle ein Entschädigungssystem aufgebaut und die Trennung zwischen dem Research- und dem Bankbereich müsse sichergestellt werden. Zudem steht die Summe von 100 Millionen Dollar als Strafe im Raum. Dass Spitzer nach einer Einigung mit Merrill ohne Aufgabe dasteht, ist nicht zu befürchten. Vergangene Woche kündigte New Yorks Chefstaatsanwalt an, auch das Geschäftsgebaren fast aller anderen großen Finanzdienstleister unter die Lupe zu nehmen. (ajf)