Übertragungstechniken im Netz/ATM versus Gigabit Ethernet

An High-speed-Technologien scheiden sich die Geister

13.06.1997

Anwender, die sich heute für eine Technologie als zukünftige Basis für schnelle Netzwerke im Unternehmen entscheiden sollen, haben die Qual der Wahl. Fiber Distributed Data Interface (FDDI) hat sich im Backbone-Bereich seit Jahren etabliert und als sehr stabil erwiesen. Allerdings stößt dieses Verfahren an seine technologischen Grenzen: Höhere Datenraten als bisher sind auf dem Glasfaserring nicht mehr möglich. Wer auf dem Backbone mehr Bandbreite benötigt und auf der unternehmenseigenen Datenautobahn höhere Geschwindigkeiten fahren will, muß daher in alternative Hochgeschwindigkeitstechnologien investieren.

Derzeit teilen sich die Netzwerker in zwei Lager, wenn es um schnelle Übertragungsmethoden geht: Während die einen ATM als die zukunftssichere Hochgeschwindigkeitstechnologie propagieren, plädieren die anderen für den Einsatz von Gigabit Ethernet.

Dieses Verfahren steckt noch mitten in der Entwicklung, doch erste Produkte gibt es bereits jetzt. Mit dem Ziel, die Standardisierung von GE voranzutreiben und dessen Akzeptanz zu erhöhen, wurde im Mai 1996 im kalifornischen San Jose die Gigabit Ethernet Alliance gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehören namhafte Netzwerkanbieter wie Compaq, 3Com, Sun, Cisco oder Bay Networks.

Die neue Norm, mit deren Zertifizierung durch das Institute of Electrical and Electronical Engineers (IEEE) nicht vor Frühjahr 1998 zu rechnen ist, soll die zehnfache Durchsatzleistung von Fast Ethernet (100 Mbit/s) bieten und in erster Linie in großen Ethernet-Installationen als Backbone-Lösung zum Einsatz kommen.

Erklärtes Ziel ist es, deutlich höhere Bandbreiten bereitzustellen, die möglichst auch Multimedia-Anwendungen unterstützen können. Die Voraussetzung für die Einbindung von bestehenden Fast Ethernet- und FDDI-Backbones in eine Gigabit-Umgebung ist allerdings die Abwärtsverträglichkeit mit heutigen 802.3-Geräten, die von der Arbeitsgruppe 802.3z des IEEE (der sogenannten Gigabit Ethernet Task Force) noch zu spezifizieren ist.

Selbst wenn diese Hürden genommen sind, bleiben Kollisionsprobleme, die auch durch das schnelle Gigabit Ethernet nicht eliminiert werden. Ein Grund dafür sind die unterschiedlichen Frame-Größen, die sich im Ethernet transportieren lassen. Hier liegen Volumina von bis zu 1,5 KB pro Frame im Bereich des Möglichen, was Vorhersagen über die Belastungen im Netz massiv erschwert.

Die Netzwerkspezialisten der Gartner Group beispielsweise gehen davon aus, daß durch die hohen Übertragungsraten unter Gigabit Ethernet zahlreiche Frames verlorengehen und sich die Performance im Netz durch die Kollisionsgefahr erheblich reduziert. Dadurch ist ein Gigabit auf dem schnellen Ethernet keinesfalls mehr ein voll genutztes Gigabit.

Vielmehr sind nach Einschätzung der Netzwerkdivision des Marktforschungsinstitutes maximal 30 bis 40 Prozent des Netzes tatsächlich für den Datentransport verfügbar: Ein Wert, den auch die Fachabteilung der IBM für durchaus realistisch hält.

ATM hat demgegenüber eindeutige Platzvorteile. So garantiert es für alle Anwendungen individuell die notwendige Bandbreitenzuordnung und eine hohe Qualität des Netzes - Zusagen, die Legacy-LANs heute nicht erfüllen können. ATM-Anwendungen können bereits im Adreßfeld eine optionale Bandbreitenzuordnung enthalten, was die Verfügbarkeit des Netzes für den Netzwerkadministrator kalkulierbar macht.

So "kümmert" sich ATM weder um Protokolle oder Frame-Größen noch um Topologien. Vielmehr transferiert die Technologie alle Daten, wie sie über das Netz kommen, "zerhackt" sie in gleichgroße Datenpakete von jeweils 53 Bytes und transportiert diese handlichen Datenpakete über das Netz. Bei 622 Mbit/s im Full-Duplex-Modus führt dies zu bisher unerreichten Übertragungsraten, und eine weitere Steigerung ist bei Einsatz von ATM technisch möglich.

Nicht so bei Gigabit Ethernet. Das Verfahren folgt noch immer den traditionellen Ethernet-Regeln. Das heißt im Klartext: Es stehen zwar hohe Bandbreiten zur Verfügung, eine Zuordnung derselben nach Bedarf kann aber auch im schnellen Ethernet nicht erfolgen. Darüber hinaus bleiben Kollisionsprobleme erhalten, was sich unmittelbar auf die Übertragungskapazität und -geschwindigkeit im Netz auswirkt.

Eine weitere Einschränkung ist die Entfernung, die sich mit der Technik überbrücken läßt. So beträgt nach bisher vorliegenden Messungen bei Gigabit Ethernet die maximal mögliche Leitungslänge pro Segment lediglich etwa 25 Meter auf dem Koaxialkabel. Diese Kabeldistanzen können im Campusbereich kritisch sein und dürften sich negativ auf den Erfolg von Gigabit Ethernet auswirken.

Um Distanzen von bis zu zwei Kilometern zu überbrücken, ist möglicherweise die Implementierung einer völlig neuen Kodierung notwendig. Beim 622-Mbit/s-ATM dagegen sind über Koax Kabellängen bis zu 100 Meter möglich, um den vollen Durchsatz zu erreichen. Per Glasfaser sind sogar Distanzen bis zu 25 Kilometer überbrückbar.

Ein Faktor, der für Gigabit Ethernet spricht, ist der Kostenvorteil. Wie die klassische Ethernet-Technologie läßt es sich mit vergleichsweise preiswerten Komponenten umsetzen und erlaubt das Fahren von einfachen Protokollen. In puncto Geschwindigkeit wird im Vergleich zu Fast Ethernet aber lediglich eine Spur "mehr Gas" gegeben, ohne daß signifikante Änderungen vorgenommen wurden.

So sieht es um die Zukunft des klassischen Ethernet nicht sehr rosig aus, da kaum damit zu rechnen ist, daß sich noch höhere Übertragungsgeschwindigkeiten erzielen lassen. LAN-Switches haben die Grenze ihrer Entwicklung erreicht, da sie sich an den vorgegebenen LAN-Standards orientieren.

ATM bietet im Gegensatz zum Gigabit Ethernet in jeder Ausbaustufe volle Dienstequalität (Quality of Service = QoS). So hat der Nutzer von vornherein die Garantie, daß bestimmte Servicemerkmale im Netz verfügbar sind. Dabei werden die Daten im ATM-Netz in jeder Phase korrekt behandelt. Nach der Übertragung setzen sich die genormten Zellen am Zielort wieder automatisch in der richtigen Reihenfolge zusammen, da jede Zelle einen Adreßkopf mit den entsprechenden Informationen enthält.

Auch in Sachen Geschwindigkeit braucht sich selbst das 25-Mbit/s-ATM nicht hinter Gigabit Ethernet zu verstecken. Messungen in den Entwicklungsabteilungen der IBM haben ergeben, daß sich mit einem 25-Mbit/s-Full-Duplex-ATM heute schon höhere Durchsatzraten erzielen lassen als mit Fast Ethernet. Zu den weiteren Stärken von ATM gehören seine Skalierbarkeit und eine Transparenz, wie sie bisher keine andere Technologie ausweist.

ATM hat darüber hinaus noch genügend Reserven für die Zukunft. So sind nach Ansicht von Netzwerkexperten Übertragungsraten von 200 Gbit/s auf dem ATM-Backplane durchaus denkbar.

Last, but not least steht im ATM-Umfeld mittlerweile ein nahezu vollständiges Produktspektrum zur Verfügung. Und es befinden sich inzwischen eine Reihe von Installationen in Betrieb, die die Vorteile von ATM in der Praxis demonstrieren. ATM unterstützt alle Kabeltypen und kennt keine Einschränkungen bei der Größe des Netzes. Zusätzlich unterstützt es den Aufbau virtueller LANs, die im Netzwerkbereich in den kommenden Jahren verstärkt zum Einsatz gelangen werden.

Dennoch bleibt anzumerken, daß ATM heute noch Probleme hat, verbindungslose LAN-Protokolle zu integrieren, die Broadcast-intensiv sind. Mit der LAN-Emulation (LANE) waren daher zwingend Definitionen zur Nachbildung der LAN-Protokoll-Eigenschaften zu treffen. Dieses "Bridging" bringt derzeit noch nicht den vollen Nutzen, da unter anderem noch die FDDI-Definitionen fehlen.

Es ist damit zu rechnen, daß Gigabit Ethernet und ATM nebeneinander bestehen werden. Beide Technologien sprechen primär mittelständische und Großkunden an, während Kleinunternehmer in der Regel wohl auch weiterhin mit ihrer bisherigen LAN-Technologie arbeiten werden.

Gigabit Ethernet wird aufgrund seiner spezifischen Ausrichtung auf reine Bandbreitenerhöhung unter Beibehaltung bestehender Standards (802.3) zumindest vorerst vorzugsweise als Backbone-Technologie in einer reinen LAN-Umgebung zum Tragen kommen. Fachleute sehen die Technologie darüber hinaus wegen ihrer hohen Leistung allgemein als geeignete Zugangstechnologie zum ATM-Backbone an - ein technologischer Ansatz, wie ihn auch die Netzwerkdivision von IBM propagiert.

Allerdings wird diese Umstrukturierung den Austausch bestehender Ethernet-Komponenten verlangen und mit entsprechenden Investitionen verbunden sein.

Im Backbone- und WAN-Bereich dagegen sehen Netzwerkspezialisten ATM ganz klar in Führung, da es im heterogenen Umfeld über enorme Stärken verfügt. ATM bietet eine transparente Infrastruktur mit Ende-zu-Ende-Verbindungen, ohne daß der Anwender die physikalischen Medien mit ihren besonderen Merkmalen und die LAN-spezifischen Gegebenheiten groß berücksichtigen müßte.

Netze wie beispielsweise das Internet brauchen ATM, weil sie sehr schnell wachsen, die Skalierbarkeit dringend notwendig ist und bestimmte Services garantiert sein müssen, um komplexe Multimedia-Anwendungen in zufriedenstellender Qualität über das Netz zu transportieren.

Angeklickt

Schon vor Abschluß des Standardisierungsverfahrens für Gigabit Ethernet (GE) rührt die Industrie kräftig die Werbetrommel für die High-speed-Übertragungstechnik. Einige Stimmen sprechen gar schon davon, daß die neue Ethernet-Variante das Aus für ATM bedeuten werde. Ein Vergleich der Stärken und Schwächen beider Techniken und eine Analyse über den effizienten Einsatz von ATM und GE im Unternehmensnetz fördert folgendes Ergebnis zutage: Beide Techniken werden friedlich koexistieren.

*Wolfgang Trautner ist bei der IBM Deutschland in Ehningen im BereichNetworking Marketing tätig.