Breitband in Deutschland

Zwischen Anspruch und DSL-Wirklichkeit

28.08.2009 von Dr. Stefan Heng
Eine breitbandige Infrastruktur ist für einen modernen Industriestaat heute ein Muss, so die einhellige Meinung von Experten. In Deutschland ist davon allerdings wenig zu sehen: Noch immer sind viele Gebiete unterversorgt, und manches Breitbandangebot verdient seinen Namen nicht.

Breitband für alle, diese markige Losung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar ausgegeben. Und bis 2014 sollen gar 75 Prozent der Deutschen einen Anschluss mit 50 Mbit/s und mehr besitzen. Doch die Realität jenseits der hochfliegenden politischen Pläne sieht anders aus: Die Telekom und ihre Konkurrenten streiten sich um die VDSL-Nutzung, nur einige wenige Stadtnetzbetreiber investieren in eigene Glasfasernetze.

Eine standardisierte Lösung für den flächendeckenden Ausbau gibt es nicht.
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Und diese Eigeninitiative hat Seltenheitswert. Im Buhlen um Subvention setzt sich nur zu oft die standardisierte Logik der öffentlichen Hand durch - wo doch gerade individuelle Lösungen gefragt wären. Denn eine standardisierte Lösung für den flächendeckenden Ausbau gibt es nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall: Erfolgreiche Breitbandprojekte basieren meist auf der Initiative der Betroffenen und tragen den besonderen Gegebenheiten vor Ort Rechnung.

Wie wichtig die Breitbandnetze als Wirtschaftsfaktor bereits in naher Zukunft werden, verdeutlicht ein Blick auf die Einschätzungen der OECD. Diese schätzt, dass bis 2011 die Breitbandkommunikation ein Drittel zum Produktivitätszuwachs der hochentwickelten Staaten beiträgt. Schon heute ist zu beobachten, dass die Unternehmen weltweit neue Kommunikationsformen in ihre Prozesse integrieren. Daneben gewinnen auch im privaten Umfeld die interaktiven Web-2.0-Dienste, die sozialen Netzwerke und der Internet-Rundfunk massiv an Zuspruch. All diese "Hyperconnectivity"-Dienste im dienstlichen und privaten Umfeld heizen den Datenhunger an.

Breitbandversorgung: Zirka 40 Prozent aller Haushalte müssen noch ohne Breitbandanbindung auskommen. (Quelle: Bitkom)

So dürfte sich das IP-Daten-Volumen zwischen 2008 und 2013 weltweit verfünffachen und 700 Exa-Byte per annum (1 Exa-Byte = 10^18 Bytes) erreichen - eine Datenmenge, die der Kapazität von 200 Milliarden DVDs entspricht. Dieser Datenhunger wird die derzeitigen Infrastrukturen des Festnetzes und des Mobilfunks schon bald bis an ihre Kapazitätsgrenzen heran auslasten.

Millionen ohne Breitbandanschluss

Trotz dieses Wissens um den Stellenwert der Breitbandversorgung klaffen Anspruch und Wirklichkeit auch in Deutschland weit auseinander. So ist das West-Ost-Versorgungsgefälle bei den Bundesländern überdeutlich und lässt manchen Sozialpolitiker an der grundgesetzlich geforderten Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zweifeln. Hier besonders problematisch ist, dass fünf Millionen Deutsche heute faktisch von der Informationsgesellschaft abgehängt sind. Dies liegt daran, dass keinem dieser Betroffenen ein Anschluss zur Verfügung gestellt werden kann, der eine Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens 1 Mbit/s bietet - eine Minimalanforderung für den nutzerfreundlichen Zugriff auf moderne Internet-Dienste. Ausgehend von den gegenwärtigen Mängeln spricht die deutsche Bundesregierung allenthalben von ihrem Vorhaben, dass bis 2014 wenigstens drei Vierteln aller Haushalte ein Anschluss mit mindestens 50 Mbit/s angeboten werden soll - also eine Geschwindigkeit, die um das 20-fache höher liegt als die des heute üblichen DSL-Anschlusses.

West-Ost-Verhältnis: Beim Breitbandausbau herrscht ein eindeutiges Gefälle.

Um dieses äußerst ehrgeizige Vorhaben zu verwirklichen, dürften Investitionen von 40 Milliarden Euro notwendig sein. Allerdings hat sich bislang noch keines der privatwirtschaftlichen Unternehmen oder möglichen Unternehmenskonsortien endgültig auf dieses kapitalintensive Vorhaben festgelegt. Angesichts der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit haben sich etliche Vertreter aus Wirtschaft und Politik des Themas Breitbandausbau angenommen. So spricht der Deutsche Städte- und Gemeindebund von 250.000 Arbeitsplätzen, die mit einem schnellen Ausbau des Breitbands in Deutschland geschaffen würden.

Daran anknüpfend verweisen Branchenkenner darauf, dass die Bundesnetzagentur (BNetzA) den zögerlichen Breitbandausbau mitverantworte. Insbesondere wird bemängelt, dass sich die BNetzA weitgehend mit der Förderung des Dienstewettbewerbs innerhalb des bestehenden Kommunikationsnetzes begnüge. Bei der BNetzA würden klare Anreize für den Aufbau eines Kommunikationsnetzes der nächsten Generation (Next Generation Network, NGN) ebenso vermisst wie die nachdrückliche Förderung des Infrastrukturwettbewerbs.

Schlecht versorgte Gebiete

Das Problem der "Weißen Flecken" bei der Breitbandversorgung wird sich verschärfen.

Der Zwist um den Breitbandausbau wird nochmals hitziger, wenn die schlecht versorgten ländlichen Gebiete in den Blick rücken. Da sich die strukturellen Probleme bei diesen "Weißen Flecken" der Breitbandversorgung absehbar verschärfen, ist die Suche nach Auswegen aus der Abwärtsspirale wichtig. Dabei macht die Praxis des Breitbandausbaus deutlich: Weder das alleinige Warten auf die großen Telekommunikationsunternehmen noch die an den öffentlichen Fördertöpfen ausgerichtete kommunale Planung markieren den Königsweg. Aber auch die Digitale Dividende (also die mit Einführung des digitalen terrestrischen Rundfunks frei werdenden Frequenzen) ist nicht die Heilsbringerin, zu der sie oft stilisiert wird. Zwar ermöglicht sie zunächst die Versorgung etlicher ländlicher Gebiete, das Problem der weißen Flecken kann sie aber nicht abschließend lösen.

Angesichts der Kapazitätsgrenzen des Mobilfunks und des wachsenden Datenhungers (und des sich damit ändernden Verständnisses dazu, welche Mindestanforderungen ein Breitbandanschluss zu erfüllen hat) wird es weiße Flecken immer geben. Das über die Digitale Dividende realisierbare neue Mobilfunkangebot markiert damit nur einen einzelnen Meilenstein auf dem Weg zu einer leistungsfähigen Breitbandversorgung, deren Rückgrat ein energieeffizientes Next Generation Network sein wird. Da es keine profitable Standardlösung für die flächendeckende Breitbandversorgung gibt, sind individuelle Lösungen gefragt. Die Praxis verdeutlicht, dass die Breitbandprojekte nur dann erfolgreich sein können, wenn sie jenseits der öffentlichen Subventionslogik die speziellen regionalen Gegebenheiten kreativ nutzen. Letztlich ist es aber die Eigeninitiative der direkt Betroffenen, die verhindern kann, dass aus dem volkswirtschaftlich notwendigen Breitbandausbau ein Warten auf Godot wird. (mje/hi)

Stefan Heng ist Senior Economist bei Deutsche Bank Research, der von Chefvolkswirt Norbert Walter geleiteten "Denkfabrik" der Deutsche Bank AG.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation TecChannel.