Konsolidierung von Business-Software und -Prozessen

Zurück zu überschaubaren Systemen

20.05.2005 von Erich Scherer
Wildwuchs in der IT-Landschaft des Unternehmens behindert die Prozesse. Die Konsolidierung der ERP-Systeme ist daher für viele Anwender von strategischer Bedeutung.

In den vergangenen Jahren haben sich ERP-Systeme in vielen Firmen zum Backbone der Unternehmensorganisation entwickelt. Sie sind geschäftskritische Applikationen, die nahezu alle Unternehmensbereiche und -aktivitäten miteinander verbinden. Die eigenen ERP-Systeme zu beherrschen ist daher eine zentrale Aufgaben nicht nur des IT-Leiters, sondern der gesamten Geschäftsführung. Doch wie steht es um die "ERP-Systemlandschaft" vieler Unternehmen? Untersucht man die Situation ein wenig genauer, entdeckt man in aller Regel ein Geflecht aus verschiedensten Applikationen, die quasi als Zeitzeugen die geschichtliche Entwicklung eines Unternehmens widerspiegeln: Jahrzehnte alte, individuell entwickelte Speziallösungen finden sich neben diversen Standardprogrammen unterschiedlichster Art und Güte, die zum Teil in verschiedenen Unternehmensbereichen für die gleichen Aufgaben genutzt werden.

ERP mit Excel

Da verwundert es nicht, wenn die meisten IT-Leiter nur mit viel Mühe in der Lage sind, eine Inventarliste aller Systeme vorzulegen. Wie diese Systeme genutzt werden und welche Prozesse sie unterstützen, bleibt ihnen in aller Regel jedoch verborgen. Schlimmer noch: Neben den "offiziellen" Systemen, zuvorderst einer ganzen Latte von ERP-Programmen, hat die zunehmende Verbreitung von Office-Software eine Unmenge von individuell erstellten und genutzten Excel- und Access-Applikationen hervorgebracht. Damit alles seine Ordnung hat, werden die Ausdrucke als "Persönliche Arbeitsmittel" gekennzeichnet und sind so sogar ISO-kompatibel. In Wirklichkeit sorgen solche Excel- und Access-Applikation gerade an neuralgischen Stellen dafür, dass im Unternehmen allen Hindernissen zum Trotz trotzdem alles rund läuft. So wird in der Mehrheit der Betriebe mit Excel die Produktion gesteuert und vielen Unternehmen aufwändige Offerten kalkuliert. Die wichtigsten Daten wandern über Umwege ins führende ERP-System - von Hand!

Auch auf der finanziellen Seite ist die Situation in aller Regel unangenehm: Zahlreiche Lizenzverträge mit suboptimalen Anwenderzahlen belasten die laufenden Ausgaben, und an vielen Stellen sind Mitarbeiter damit beschäftigt, Behelfssysteme zu bedienen und Feuerwehrübungen zu überstehen. So können in vielen Unternehmen allein im Bereich der regulären Wartungsgebühren bis zu 70 Prozent gespart werden. Doch das Schlimmste daran ist nicht einmal der Ist-Zustand, indem Monat für Monat Ressourcen verschwendet und Umsätze nicht realisiert werden, weil die Prozesse intransparent und schwer planbar sind. Schlimmer noch ist das hohe Risiko, das jede Veränderung in solch einer Situation bedeutet - schließlich müsste man quasi ein ohnehin "wackeliges" Gebäude sanieren, während die Bewohner darin weiter ihren Geschäften nachgehen. Die Systemlandschaft verhindert damit die marktorientierte Weiterentwicklung des eigenen Unternehmens. Damit diese Situation nicht zur Endlosschleife aus Unzufriedenheit mit den eigenen Werkzeugen und untauglichen Versuchen zur Nachbesserung wird, hilft nur eins: Die ERP-Systeme müssen - allen Hindernissen zum Trotz - konsolidiert werden.

Doch was bedeutet Konsolidierung in diesem Zusammenhang eigentlich? In der Praxis wird hier noch immer häufig der vordergründige und unreflektierte Roll-out einer dominierenden ERP-Lösung über alle Standorte des Unternehmens propagiert. Verfolgt man die Überschriften zum Thema Konsolidierung in der Fachpresse und im Internet, könnte einen das kalte Grausen packen: Konsolidierung wird noch immer als primär technische Aufgabe verstanden, die man geschickt an einen Partner outsourcen kann. In diesem Zusammenhang lassen sich auch viele gescheiterte Outsourcing-Projekte erklären: Statt vor der Übergabe der Systemverantwortung an einen Externen im eigenen Unternehmen aufzuräumen, wird dies einem Externen überlassen. Prozesse werden so zweitrangig, die eigenen Mitarbeiter - als Anwender für die erfolgreiche Nutzung der teuren ERP-Investitionen entscheidend - kommen in den Betrachtungen gar nicht mehr vor.

Erst die Prozesse konsolidieren

Leider ist vielen verantwortlichen Entscheidungsträgern bis heute nicht klar, dass die Konsolidierung von ERP-Systemlandschaften auch die Konsolidierung der eigenen Prozesse und eine wichtige Veränderungsarbeit mit den eigenen Mitarbeitern bedeutet. Es wird vergessen, dass die Schnittstelle zwischen System und Prozess durch die Anwender gebildet wird, die ein System zielorientiert und situationsgerecht bedienen. Hierzu ist eine ideale Abstimmung von Systemfunktionen und Unternehmensprozessen ebenso notwendig wie die Qualifizierung der Mitarbeiter und das Herausbilden von Erfahrungswissen.

Dieser Umstand ist gerade in einem Hochlohnland wie Deutschland besonders wichtig: Nur wer durch die eigenen Mitarbeiter die Flexibilität und Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems aus Mensch, Prozessen und ERP-System erhöht, hat langfristig eine Chance im Wettbewerb. 3

Vor diesem Hintergrund ist klar: Die Konsolidierung von ERP-Systemlandschaften ist fest mit der Konsolidierung der eigenen Prozesse und einer Veränderungsarbeit mit den eigenen Mitarbeitern verbunden. Konsolidierung ist also auch Politik. Denn ohne ein Geben und Nehmen und ohne die Suche nach Ausgleich ist ein Aufräumen in der IT nicht möglich, da alle Unternehmensbereiche betroffen sind und zumindest teilweise von lieb gewonnenen Anwendungen schrittweise Abschied nehmen müssen. Ob es um eine Bildschirmmaske in der Auftragserfassung oder den Aufbau der Artikelnummer geht: Alle Beteiligten müssen lernen, eine prozessorientierte Sichtweise zu entwickeln.

Konsolidierung heißt nicht "All in One"

Für die Planung eines Konsolidierungsprojektes bedeutet das: Nicht die Evaluation von Systemen steht am Anfang. In der Vergangenheit war ERP vielerorts nur dann Traktandum einer Geschäftsleitungssitzung, wenn es um eine Neuinvestition und damit um die Evaluation eines Systems ging. War das System einmal eingeführt, verschwand es schnell von der Tagesordnung des Managements und wurde an die Linienführung und die operativen Anwender delegiert. Der Trend zum "All-in-One"-System hat diese Denkhaltung in den vergangenen Jahren eher noch verstärkt. Doch die Zeit, in der man aus einer augenblicklichen Anforderungssituation heraus ERP-Systeme evaluiert und in klassischen "Schweinezyklen" von acht bis zehn Jahren wieder ablöst, ist definitiv vorbei. Notwendig ist eine mittel- und langfristige Planung der ERP-Systemlandschaft und -architektur.

Grundsätzlich ist wichtig zu verstehen, dass am Ende einer solchen System- und Architekturplanung wieder eine heterogene Landschaft steht, in der verschiedene Systeme verschiedene Aufgaben übernehmen. Komplettsysteme, die wirklich alle Schritte der Wertschöpfung im Unternehmen abdecken, bleiben weiterhin die Ausnahme, auch wenn viele Hersteller ihre Produkte mit diesem Anspruch anbieten.

Komplexität beherrschen

Die Technologien, die solche modularen und verteilten Systeme zu einer auf Langfristigkeit und kontinuierliche Entwicklung ausgelegten Lösung machen, sind längst verfügbar. Sie zu nutzen, um Komplexität zu beherrschen, ist meist wirtschaftlicher als die Suche nach der Eier legenden Wollmilchsau. Mit Hilfe von EAI (Enterprise Application Integration) etwa lassen sich auch heterogene Systemlandschaften schrittweise technologisch zusammenführen und als Ganzes integrieren - zumindest so weit, dass ein rudimentärer Datenaustausch etwa zwischen einem globalem Verkaufssystem und lokalen Produktionssystemen möglich ist. BI-Systeme (Business Intelligence) erlauben es, über verschiedenste Systeme und Datentöpfe hinweg ein Mindestmaß an Übersicht zu gewinnen und so Zahlen und Daten für die Gesamtführung des Unternehmens zu liefern. Durch den geschickten Einsatz von CRM (Customer Relationship Management) lassen sich Verkaufsorganisationen vereinheitlichen, obwohl die eigentliche Produktion und Wertschöpfung über verschiedene ERP- oder eher PPS-Systeme erfolgen. Man spricht hier vom "Global Ordering".

Aufgabe für die Geschäftsführung

Basis für eine Konsolidierung bildet das "Business Alignment", bei dem Geschäftsprozesse und IT-Systeme aufeinander abgestimmt werden. Dazu ist es notwendig, in einem ersten Schritt die eigene Prozesslandschaft über alle Unternehmensbereiche und Organisationseinheiten hinweg zu analysieren und nach und nach zu bereinigen. Ziel muss es sein, Prozesse zu harmonieren und zu synchronisieren. Hilfsmittel ist hier eine "Unified Process Map", also eine Aufstellung aller Geschäftsprozesse, Geschäftsfälle und -varianten über alle Standorte und Bereiche hinweg. In einem nächsten Schritt werden Prozesse und IT-Systeme aneinander angepasst. Hierzu ist es sinnvoll, sich anstatt an System- und Herstellernamen am Kunden und an seinen Bedürfnissen zu orientieren. Die Hauptschwierigkeit sind dabei immer wieder die eigenen Daten. Sie sind quasi das Blut im IT-Organismus, und wie bei einer Bluttransfusion ist eine "Datentransfusion" nicht einfach und durchaus gefährlich. Die Bereinigung von Daten und Datenstrukturen ist die wichtigste singuläre Aufgabe jeder Systemkonsolidierung und gleichzeitig die zeitaufwändigste. In vielen Fällen fallen hier mehrere Jahre Arbeit an, was an sich schon zu einem gestuften Roll-out und einem schrittweisen Vorgehen zwingt. Angesichts dieser Dimensionen ist es erfolgsentscheidend, die Dreieinigkeit von System, Prozessen und Anwendern auf höchster Ebene im Auge zu behalten und die Konsolidierung von ERP-Systemen immer als Aufgabe der gesamten Geschäftsführung zu begreifen. (uk)

Eric Scherer, Geschäftsführer intelligent systems solutions (i2s) GmbH, Zürich