Die Logistikbranche ist Deutschlands drittgrößter Wirtschaftsbereich nach der Automobilbranche und dem Handel. Etwa 60.000 Unternehmen sind in der Logistikbranche tätig und erwirtschafteten 2014 einen Umsatz von rund 235 Milliarden Euro. Nicht zuletzt durch den Internethandel wächst der Logistikbereich der Paketdienstleistungen jedes Jahr stark an. Die Kehrseite dieses Wachstums ist ein Anstieg der CO2-Emissionen und der Kosten. Es braucht moderne IT-Lösungen, die nach Berechnungen der Alliance for European Logistics künftig bis zu 15 Prozent Effizienzgewinn bringen könnten. Dies würde für Deutschland, neben einer hohen CO2-Reduktion, Einsparungen von mindestens 23 Milliarden Euro bedeuten.
LoFIP forscht an effizienterer Logistik
Das Projekt LoFIP forschte drei Jahre erfolgreich an einer konkreten IT-Lösung für die Optimierung von Logistikprozessen. Kern der Lösung sind Logistik-Leitstände, die Future Internet- und Cloud-Technologien verknüpfen. Die Wissenschaftler entwickelten gemeinsam mit namhaften Partnern aus der Softwareindustrie und der Logistikbranche eine Softwareplattform für Logistik-Leitstände. "Diese Leitstände können operative Prozesse in Echtzeit überwachen und steuern", erklärt Professor Dr. Klaus Pohl, paluno-Direktor und Inhaber des Lehrstuhls Software Systems Engineering an der Universität Duisburg-Essen.
Disponenten könnten somit auf Abweichungen in der Transportkette sofort reagieren und steuernd in laufende Prozesse eingreifen. Bei problematischen Situationen bieten die Leitstände direkt Handlungsalternativen an. So ermöglicht ein Leitstand beispielsweise bei einem Ausfall der Kühlung in einem Container den schnellen Einsatz eines Ersatzcontainers. Ein weiteres Beispiel ist die Unterstützung bei einer ungeplant hohen Menge an Paketen durch eine schnelle Anpassung der Transportkapazitäten.
Internet der Dinge und Dienste
Die LoFIP-Leitstände können von existierenden Leitständen hinsichtlich ihrer Software-Architektur und Implementierung abgegrenzt werden. Sie sind durch den Betrieb in der Cloud von überall aus, auch mobil, nutzbar. Einige Funktionen eines Leitstands lassen sich darüber hinaus auf mobile Anwendungen auslagern.
Darüber hinaus kombinieren die LoFIP-Leitstände Schlüsselbereiche des Future-Internet: das Internet der Dienste (Internet of Services) und das Internet der Dinge (Internet of Things). Das Internet der Dienste umfasst über das Internet bereitgestellte software-basierte Dienste, beispielsweise Cloud-Speicher und Rechenkapazität, sowie Software-Anwendungen (Software-as-a-Service). Die Europäische Technologieplattform NESSI geht davon aus, dass Software- und Cloud-Services einer der wesentlichen Innovationstreiber sind, und deutliche Chancen für viele Anwendungsdomänen bieten.
Zum Internet der Dinge werden unter anderem mobile Geräte, Handhelds oder mit dem Internet verbundene Sensoren gezählt. Diese Geräte sind in der Lage, physikalische Objekte und Prozesse, beispielsweise die Anzahl an Paketen oder Verkehrsdaten, zu messen und zu überwachen. Gartner schätzt für 2020 weltweit 26 Milliarden vernetzte Geräte, die nicht PCs, Tablets oder Smartphones sind.
Zukunftsszenarien als Projekttreiber
LoFIP betrachtete innovative Zukunftsszenarien für zwei industrierelevante Anwendungsfälle. "Diese Zukunftsszenarien skizzieren mögliche Situationen in den nächsten drei bis fünf Jahren. Im Rahmen von gemeinsamen Kreativitätsworkshops haben wir dazu Visionen mit den Forschungs- und Industriepartnern erarbeitet." beschreibt Philipp Schmidt, Lehrstuhlmitarbeiter im LoFIP-Projekt, das Vorgehen.
Das Szenario "Multimodaler Containertransport im Hinterland" betrachtet die Transportkette von der Aufnahme eines leeren Containers über die Beladung, bis hin zur Bereitstellung an einem europäischen Seehafen zum Überseetransport. Bereits geringe Verspätungen haben dabei Auswirkungen auf die gesamte Transportkette und bedeuteten eine große Herausforderung in der Logistik. Im Projekt wurde diese Kette im Leitstand überwacht und gesteuert. So konnte bei Bedarf beispielsweise ein Ersatzcontainer bereitgestellt werden.
Das Szenario "Vorlauf Paketdienste" betrachtet den Prozess der Paketdienstleistung: Die Fahrzeuge des Paketdienstleisters fahren Geschäftskunden an und sammeln Pakete ein. Obwohl bereits berücksichtigt wird, dass die Menge der Pakete täglich wechselt, kann durch die starken dynamischen Schwankungen in der Abholmenge die Kapazität der Fahrzeuge auf den geplanten Routen nicht ausreichen (Überlast) oder nicht ausgelastet werden (Unterkapazität). Im LoFIP-Leitstand wird die Paketmenge automatisch erfasst und dem Disponent gemeldet. Dieser kann dynamisch die eingesetzten Fahrzeuge und Touren anpassen.
Living Lab bindet Domänenexperten ein
Das Living Lab des LoFIP-Projektes ermöglichte die enge Einbindung aller Beteiligten in den Forschungs- und Entwicklungsprozess. Durch seine quasirealistische Umgebung erlaubt ein Living Lab die Erprobung und Evaluierung neuer Ideen und Lösungen. Es ermöglicht kurze Abstimmungszyklen und die frühzeitige Einbindung von Domänenexperten. "Die großen Multitouch-Bildschirme ermöglichen es uns, mehrere Inhalte nebeneinander zu präsentieren, beispielsweise externe Informationsquellen, das aktuelle Szenario und einen Prototyp des Leitstandes", erläutert Christian Reinartz, Projektmitarbeiter am Lehrstuhl.
Bei der Gestaltung habe man berücksichtigt, dass der Disponent nicht zu viele Informationen auf einmal erhalte - wichtige Einzelereignisse beispielsweise farblich hervorgehoben wurden, so Reinartz. "Im Living Lab haben wir auch physikalische Gegenstände eingebunden, wie echte Rollcontainer mit Paketen. Die Paketmenge wurde optisch durch eine Tiefenkamera erfasst und in Echtzeit an den Leitstand gemeldet. Der Disponent wird sofort informiert, ob das geplante Fahrzeug ausreicht oder ob eine Umplanung nötig wird", ergänzt Felix Föcker, ebenfalls Projektmitarbeiter des Lehrstuhls.
Ausblick: Big Data
Die Forscher denken zum Ende des Projekts noch einen Schritt weiter. Durch die Verknüpfung der physikalischen Sensordaten und der Internetdienste stehen den Leitständen große und vielfältige Datenmengen zur Verfügung. Diese Daten können unterschiedlich analysiert werden. So lassen sich mögliche Probleme in Logistikprozessen prognostizieren und somit vorausschauend abschwächen. Der Leitstand berechnet hierzu auch die Genauigkeit einer jeden Prognose - vergleichbar zur Angabe "80 Prozent Regenwahrscheinlichkeit" bei der Wettervorhersage -, um das Risiko einer Fehlentscheidung besser einschätzen zu können.
"Die Prognose antizipiert beispielsweise die Verzögerung von Transportmitteln, späte Stornierungen gebuchter Transportdienstleistungen oder Schwankungen in der Warenmenge", erklärt paluno-Direktor Pohl. Die Prognosen erlaubten somit vorausschauende Maßnahmen: "Schon bei der Prognose einer Zugverspätung kann so frühzeitig ein LKW als alternatives Transportmittel gebucht werden."
Finanzielle Fakten zum LoFIP-Projekt
Fördergeber: Land Nordrhein-Westfalen (im Rahmen des Programms "Hightech.NRW")
Die Forschungsarbeiten werden gefördert im Rahmen des aus dem EFRE co-finanzierten Operationellen Programms für NRW im Ziel 2 "Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" 2007-2013 ausgewählten Projekts "LoFIP". (sh)