Freiberufler-Exklusivstudie der Computerwoche

Zittern um den nächsten Auftrag

16.09.2010 von Ina Hönicke
Ohne IT-Freiberufler geht in Deutschland nichts. Die COMPUTERWOCHE hat 1200 Freelancer zu ihrer Situation befragt und die Ergebnisse in einer dreiteiligen Serie aufgearbeitet.

Soviel vorweg: Die meisten IT-Freiberufler sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Sie lieben ihre abwechslungsreiche Tätigkeit und bereuen ihre Entscheidung zugunsten der Selbständigkeit nicht. Als Gründe für die Freiberuflichkeit werden der COMPUTERWOCHE-Untersuchung zufolge vor allem "Unabhängigkeit" und "Selbständigkeit" (61,5 Prozent) genannt. Auf den Plätzen folgen der Spaß an einem "abwechslungsreichen Job" und die "besseren Verdienstmöglichkeiten" mit je 40 Prozent der Nennungen. Nach Problemen befragt, nennen die Freiberufler als größte Herausforderung die Planbarkeit von Folgeprojekten (57 Prozent). Hartmut Lüerßen, Marktexperte und Partner der Lünendonk GmbH, bestätigt dies: "Für IT-Freiberufler gibt es zwei entscheidende Stellschrauben - die Auslastung und den Tagessatz." Laut Lüerßen besteht die Schwierigkeit darin, sich bereits während eines laufenden Projekts nach einem neuen umschauen zu müssen. Die Situation spitze sich in Krisenzeiten zu, weil dann Projekte zeitlich und inhaltlich beschnitten und sogar aufgegeben würden. "Das nächste Projekt möglichst elegant an das aktuelle dranzuhängen wäre der Idealzustand", meint Lüerßen.

Wann kommt das nächste Projekt?

Dabei können Personalvermittler der Umfrage zufolge helfen: IT-Freiberufler, die mit Agenturen zusammenarbeiten, erzielen eine höhere Auslastung als ihre Kollegen. Deutlich mehr als die Hälfte der IT-Freiberufler nutzt denn auch Agenturen, um neue Projekte zu gewinnen. Sie sind inzwischen der zweitwichtigste Vertriebsweg, nur übertroffen von den Altauftraggebern. Insgesamt sind die befragten Freelancer mit der Arbeit der Agenturen zufrieden, haben aber Verbesserungsvorschläge anzubieten. Je mehr Erfahrung die Externen in der Zusammenarbeit mit Agenturen haben, desto zufriedener sind sie.

Dass die Planbarkeit von Anschlussprojekten als größte Herausforderung von Freelancern gesehen wird, zeigt sich auch in den Antworten zur aktuellen Projektauslastung. Knapp die Hälfte der Befragten war 2009 an weniger als 200 Arbeitstagen beschäftigt. Eine Tatsache, die den Agenturen durchaus bekannt ist. Über die Gründe darüber gehen die Meinungen auseinander. Einig sind sich die Vermittler, was die Defizite der Selbständigen betrifft. Dazu zählen die zu späte Projektakquise, die oft geringe Bereitschaft zu reisen, zu hohe Stundensätze oder mangelnde Sozialkompetenz.

Kelly Elsasser, Sprecher des Vorstands des Personalvermittlers Reutax AG, sieht noch einen weiteren Grund: "Wir haben es hier mit einem klassischen Krisentrend zu tun. Kürzere Laufzeiten verhindern eine lange Budgetbindung." Michael Moser, Geschäftsführer der Gulp Information Services, wirft indes die Frage auf, ob Freiberufer mit einer Auslastung von 200 Tagen im Jahr nicht sogar relativ gut bedient sind. "Nachdem es im vergangenen Jahr in Bayern 252 Arbeitstage gegeben hat, von denen noch die Zeiten für Urlaub, Krankheit und Weiterbildung abgezogen werden müssen und das Jahr noch dazu als Krisenjahr bezeichnet wurde, ist diese Auslastung durchaus positiv", meint Moser.

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Zittern um den nächsten Auftrag
Rund 1200 IT-Freiberufler wurden im Sommer dieses Jahres von der COMPUTERWOCHE in einer Online-Befragung zu Themen rund um ihre Arbeit befragt. Die größte Herausforderung für sie ist, einen Folgeautrag zu bekommen. Bildquelle: Fotolia, T. Trojanowski
Hartmut Lürßen, Lünendonk
"Für IT-Freiberufler gibt es zwei entscheidende Stellschrauben - die Auslastung und den Tagessatz." Laut Lüerßen besteht die Schwierigkeit darin, sich bereits während eines laufenden Projekts nach einem neuen umschauen zu müssen. Die Situation spitze sich in Krisenzeiten zu, weil dann Projekte zeitlich und inhaltlich beschnitten und sogar aufgegeben würden.
Kelly Elsasser, Reutax
"Wir haben es hier mit einem klassischen Krisentrend zu tun. Kürzere Projektlaufzeiten verhindern eine längere Budgetbindung."
Albert Lidl, top itservices
"Freiberufler müssen damit rechnen, dass die Unternehmensrealität oft anders aussieht, als dies zunächst angekündigt wird."
Michael Moser, Gulp
"Nachdem es im vergangenen Jahr in Bayern 252 Arbeitstage gegeben hat, von denen noch die Zeiten für Urlaub, Krankheit und Weiterbildung abgezogen werden müssen und das Jahr noch dazu als Krisenjahr bezeichnet wurde, ist eine Auslastung von 200 Tagen im Jahr durchaus positiv."
Ansgar Nagel, Solcom
"Freiberufler vergessen oft ihre Erfahrungen und Stärken in der Profilbeschreibung hervorzuheben. Da Kunden oft viele Angebote auf nur eine Ausschreibung erhalten, ist es entscheidend, sich angemessen zu präsentieren."
Thomas Götzfried, Goetzfried
"Freelancer sollten nicht über viele Jahre in einem Legacy-Projekt bleiben. Das kann dazu führen, wissensmäßig den Anschluss zu verpassen." Wenn es die Chance gebe, sich in neue Themen einzuarbeiten, sollten Freiberufler auch kompromissbereit sein.
Frank Schabel, Hays
"Ausländische Freiberufler spielen im deutschen Markt nach wie vor keine große Rolle."

Was Freiberufler können müssen

Wenn es um die Frage geht, welche Qualifikationen Freiberufler vermittelbar machen, haben die Agenturen klare Präferenzen. Albert Lidl, Vorstand des Dienstleisters Top Itservices AG: "Hohe fachliche Kompetenz, die Beherrschung der englischen Sprache sowie Soft Skills werden von den Auftraggebern vorrangig gefordert." Die weichen Faktoren werden nach seiner Erfahrung oft nicht ernst genug genommen. Wenn Projekte scheitern, liege das meist an der fehlenden Sozialkompetenz der Beteiligten.

Frank Schabel, Marketing-Leiter beim Personaldienstleister Hays, stimmt Lidl zu, ist aber überzeugt, dass die technischen Kenntnisse eine mindestens ebenso zentrale Rolle spielen. Immer wichtiger werde darüber hinaus das Wissen um Geschäftsprozesse und -modelle. "Das gilt vor allem für die jeweilige Branche, in der ein IT-Freelancer tätig ist."

Während Reutax-Manager Elsasser zusätzlich CRM-Wissen und Auslandserfahrung nennt, hält Thomas Götzfried, Vorstandsvorsitzender der Goetzfried AG, Referenzen im angefragten Fachgebiet sowie ein sympathisches Persönlichkeitsprofil für entscheidend. Ansgar Nagel, Mitglied der Geschäftsführung bei der Solcom Unternehmensberatung GmbH, bedauert, dass sich fachlich kompetente Freiberufler oft zu schlecht verkauften. "Da Kunden oft viele Angebote auf nur eine Ausschreibung erhalten, ist es entscheidend, sich angemessen zu präsentieren", meint Nagel.

Vorsicht bei Legacy-Projekten

IT-Freiberufler sind sich mehrheitlich darüber im Klaren, dass ihr technisches Know-how ihr Kapital ist. Im Durchschnitt investieren sie 4,8 Prozent ihrer Einnahmen in Weiterbildung. Das ist ein hoher Wert, der die Investitionen vieler Dienstleistungs-Unternehmen übersteigt, die im IT-Sektor meist zwischen 1,5 und 2,5 Prozent ihres Umsatzes für Schulungen einsetzen. Während "Weiterbildung im Allgemeinen" für über 45 Prozent der Befragten eine große Bedeutung hat, stehen die "Zertifikate im Allgemeinen" nicht so hoch im Kurs. Geht es um die Frage, ob Zertifikate oder Erfahrung wichtiger seien, brauchen die Freiberufler nicht lange zu überlegen: Erfahrung schlägt Zertifikate.

Top-Itservices-Vorstand Lidl empfiehlt den Externen, sich zu neuen Techniken schnellstmöglich Kompetenzen anzueignen. "Wenn sich der Freiberufler schon in das Beta-Release einarbeitet, hat er gegenüber anderen IT-Profis einen Zeitvorsprung." Darüber hinaus sei es wichtig, sich mit Kollegen auszutauschen. Nicht selten sehe die Realität im Projekt anders aus als von den Auftraggebern angekündigt. Götzfried warnt sogar vor Stillstand: "Freelancer sollten nicht über viele Jahre in einem Legacy-Projekt verweilen. Das kann dazu führen, wissensmäßig den Anschluss zu verpassen." Wenn es die Chance gebe, sich in neue Themen einzuarbeiten, sollten Freiberufler auch kompromissbereit sein. Oft sei nicht das bestbezahlte Projekt das richtige, sondern eines, bei dem der Externe möglicherweise noch Lehrgeld zahlen müsse. Gulp-Manager Moser sieht das ähnlich und betont, Unternehmen würden sich dann Externe ins Haus holen, wenn sie Spezial-Know-how für innovative Projekte benötigten. Um das Know-how aktuell zu halten und zusätzliche Kenntnisse zu erwerben, zähle vor allem die Praxis. Hays-Sprecher Schabel weist darauf hin, dass man in jedem Alter Wissen erwerben könne.

Konkurrenzdruck aus Indien?

Selbstverständlich haben Globalisierung und Internationalisierung auch im Freiberuflermarkt ihre Spuren hinterlassen. Anwenderunternehmen zeigen verstärktes Interesse an international tätigen Externen. Während über die Hälfte der befragten IT-Freiberufler die Globalisierung und die Konkurrenz aus Billiglohn-Ländern fürchtet, reagieren Agenturvertreter positiver. Sie glauben nicht, dass der Preisdruck in dem Maß zunimmt, wie sich die Märkte öffnen.. "Die hohe Qualität der Dienstleistung, für die die deutsche Wirtschaft immer noch berühmt ist, zeichnet auch die Freiberufler hierzulande aus", meint Solcom-Manager Nagel.

Das Interesse, Aufgaben nach Indien und China zu verlagern, gehe bereits wieder zurück. Nicht wenige Unternehmen holten Projekte wieder nach Deutschland. "Viele Projektleiter räumen ein, dass sie in der Zeit, in der sie einem indischen Entwickler den Sachverhalt erklärt haben, den Auftrag längst hätten selbst erledigen können." Darüber hinaus würden sich die meisten Kunden nach wie vor einen Vor-Ort-Einsatz wünschen. Arbeiten über große räumliche Distanzen hinweg ist seiner Meinung nach oft nicht ohne Reibungs- und Qualitätsverluste möglich, da der Abstimmungsaufwand gerade zu Projektbeginn sehr groß sei. Hinzu komme, dass hierzulande deutsche Sprachkenntnisse für mehr als 80 Prozent der Firmen ein absolutes Muss seien. "Die Devise think global - act local gilt hier ganz besonders", so Nagel.

Gulp-Geschäftsführer Moser ergänzt: "Nur in der Programmierarbeit nach Schablone gibt es viel Konkurrenz." Da aber die Projektarbeit Kommunikationsfähigkeiten, Geschäftsprozesswissen und vieles mehr erfordere, entstehe für IT-Freelancer mit dem entsprechenden Know-how kaum zusätzliche Konkurrenz. Kommunikationsexperte Schabel ergänzt: "Preisdruck heißt nichts anderes als ein Austarieren von Angebot und Nachfrage. Bei entsprechender Nachfrage steigt der Preis. Wenn die Externen in einem bestimmten Segment in Hülle und Fülle vorhanden sind, sinkt der Preis." Fakt sei aber auch, dass ausländische Freiberufler in Deutschland kaum präsent sind.

IT-Freiberuflerstudie 2010

Rund 1200 IT-Freiberufler wurden im Sommer dieses Jahres von der COMPUTERWOCHE in einer Online-Befragung zu Themen rund um ihre Arbeit befragt. Die Teilnehmer waren zum größten Teil männlich, 40 bis 49 Jahre (46,3 Prozent) oder 50 bis 59 Jahre (24,1 Prozent) alt, deutschlandweit (46,5 Prozent) aktiv und länger als fünf Jahre selbständig. Fast 20 Prozent arbeiten bereits seit 15 Jahren als Externe. In einer dreiteiligen Serie stellt die CW nun die Ergebnisse vor und bittet Vertreter bedeutender Personalvermittlungsagenturen um ihre Interpretation.