Sozialversicherung und Co.

Zeitarbeitnehmer - Achtung, Lohnnachforderungen

03.11.2011 von Renate Oettinger
Zahlreiche Leiharbeitnehmer werden aufgrund neuer Tarifverträge Lohnansprüche nachfordern. Dr. Christian Salzbrunn sagt, warum.

Zunächst müssen sich die Zeitarbeitsfirmen, die auf der Grundlage der CGZP-Tarifverträge (Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit) tätig waren, darauf einstellen, dass zahlreiche Leiharbeitnehmer erhebliche Lohnansprüche nachfordern werden

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Die Leih- bzw. Zeitarbeit ist mittlerweile ein sehr bedeutendes Instrumentarium geworden, um in dem manchmal doch sehr starren deutschen Arbeitsrecht eine gewisse Flexibilisierung des Personaleinsatzes zu erreichen. Eine solche Arbeitnehmerüberlassung zeichnet sich dadurch aus, dass ein Arbeitnehmer bei einem so genannten Zeitarbeitsunternehmen (dem Verleiher) eingestellt wird, dort aber nicht tätig wird, sondern an einen Drittbetrieb (den Entleiher) überlassen wird, wo der Arbeitnehmer nach dessen Weisungen dann tätig wird.

Für den Entleiher hat dies den Vorteil, dass er gerade in konjunkturell schwachen Phasen die Größe seiner Belegschaft kurzfristig reduzieren kann, indem er auf einen weiteren Einsatz der Leiharbeitnehmer verzichtet, ohne diesen Leiharbeitnehmern unter der Berücksichtigung der strengen Regelungen des deutschen Kündigungsschutzrechtes (verbunden unter Umständen mit sehr hohen Abfindungszahlungen) kündigen zu müssen.

Diese Flexibilisierung des deutschen Arbeitsmarktes sollte nach den generellen Vorstellungen des Gesetzgebers jedoch nicht zusätzlich dazu führen, dass die Leiharbeitnehmer gegenüber der Stammbelegschaft zu schlechteren Konditionen beschäftigt werden. Daher entschied der Gesetzgeber sich für einen Gleichbehandlungsgrundsatz, dem Gebot des so genannten "equal-pay" bzw. "equal-treatment". Damit dürfen Leiharbeitnehmer gem. § 9 Nr. 2 AÜG gegenüber den vergleichbaren Stammarbeitskräften des Entleiherbetriebes für die Zeit ihrer Überlassung im Hinblick auf ihre wesentlichen Arbeitsbedingungen nicht schlechter gestellt werden als die Stammarbeitskräfte.

Zu diesen wesentlichen Arbeitsbedingungen zählen insbesondere das Arbeitsentgelt, der Urlaub und die Arbeitszeit. Allerdings gewährt das Gesetz mit § 9 Nr. 2 Hs. 3 AÜG die Ausnahmemöglichkeit, durch den Abschluss von Tarifverträgen von dem Gleichstellungsgrundsatz zu Lasten der Leiharbeitnehmer abzuweichen.

Die Folge dieser Ausnahmereglung war, dass ein regelrechter Boom von Tarifverträgen für Zeitarbeitsunternehmen entstand. Unter anderem wurde im Zuge dessen im Dezember 2002 aus einem Zusammenschluss von seinerzeit sechs Gewerkschaften die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (kurz: CGZP) gegründet, die seit Anfang 2003 zahlreiche Tarifverträge geschlossen hat, welche für die Leiharbeitnehmer wesentlich schlechtere Arbeitsbedingungen (vor allem Lohnzahlungen) vorsahen, als sie für vergleichbare Stammmitarbeiter der Entleiher zu leisten waren.

Tariffähigkeit umstritten

Seit der Gründung der CGZP war ihre Tariffähigkeit jedoch sehr umstritten. Die Berliner Senatsverwaltung und die Gewerkschaft ver.di führten nun ein Beschlussverfahren durch und erstritten in letzter Instanz vor dem BAG am 14.12.2010 einen Beschluss, wonach die CGZP gerade keine Spitzenorganisation im Sinne des § 2 Abs. 3 TVG ist, die in eigenem Namen Tarifverträge abschließen kann.

Die BAG-Richter wiesen zum einen darauf hin, dass sich die drei dann letztlich noch verbliebenen Mitgliedsgewerkschaften (nämlich die CGM -Christliche Gewerkschaft Metall, die GÖD - Gewerkschaft öffentlicher Dienstleistungen und die DHV - Die Berufsgewerkschaft) nicht in dem Umfang ihrer eigenen Tariffähigkeit in der CGZP zusammengeschlossen hätten. Denn die zusammenschließenden Gewerkschaften hätten ihrerseits tariffähig sein müssen und sie hätten der Spitzenorganisation ihre Tariffähigkeit auch vollständig übertragen müssen. Zum anderen ging nach Ansicht der Richter der in der Satzung der CGZP festgelegte Organisationsbereich für die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung über den ihrer Mitgliedsgewerkschaften hinaus (BAG, Beschluss vom 14.12.2010, Az.: 1 ABR 19/10).

An sich hat das BAG in dem Beschluss vom 14.12.2010 nicht über die (Un-)Wirksamkeit der von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge geurteilt, da diese Frage nicht konkreter Gegenstand des Verfahrens war. Gleichwohl dürfte juristisch unzweifelhaft feststehen, dass die von einer tarifunfähigen Tarifvertragspartei abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam sind. Daher hat der CGZP-Beschluss die gesamte Zeitarbeitsbranche in erhebliche Aufruhr versetzt. Denn die konkreten weiteren juristischen und wirtschaftlichen Folgen dieses Beschlusses sind derzeit noch gar nicht im Einzelnen abzusehen. Sowohl den Verleihern als auch den betroffenen Entleihern drohen Nachzahlungen in beträchtlicher Höhe.

Zunächst müssen sich die Zeitarbeitsfirmen, die auf der Grundlage der CGZP-Tarifverträge tätig waren, darauf einstellen, dass zahlreiche Leiharbeitnehmer erhebliche Lohnansprüche nachfordern werden. Denn die Arbeitnehmer in diesen Zeitarbeitsunternehmen können aufgrund des "equal-pay"-Grundsatzes aus den §§ 10 IV, 9 Nr. 2 AÜG verlangen, dass ihnen die Differenz zu dem Arbeitslohn nachbezahlt wird, der vonseiten des Entleihbetriebs den vergleichbaren Stammarbeitskräften gewährt wurde.

Auskunftsanspruch

Hierfür steht dem Leiharbeitnehmer über § 13 AÜG auch ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Entleihunternehmen zu, damit er seinen Anspruch gegenüber dem Zeitarbeitsunternehmen vor dem Arbeitsgericht beziffern kann. Derartigen Lohnnachforderungen kann das Zeitarbeitsunternehmen, also der Verleiher, allenfalls den Einwand der Verjährung bzw. das Bestehen von so genannten Ausschlussfristen entgegen halten. Inwieweit dies letztlich möglich ist, hängt von einer Rechtsprüfung des zu beurteilenden Einzelfalls ab.

Auch Sozialversicherungen werden Nachzahlungen fordern

Des Weiteren müssen die Zeitarbeitsfirmen damit rechnen, dass die Sozialversicherungsträger ihnen gegenüber erhebliche Ansprüche zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen erheben werden. Denn für die nach § 28 e Abs. 1 SGB IV auf das laufende Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber abzuführenden Gesamtsozialversicherungsbeträge gilt gem. § 22 Abs. 1 SGB IV das so genannte Entstehungsprinzip, wonach es gerade nicht auf die tatsächlich ausgezahlte Vergütung, sondern allein auf die juristisch geschuldete Vergütung ankommt. Und diese Nachzahlungsansprüche verjähren frühestens nach 4 Jahren, vgl. hierzu § 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV.

Aufgrund der beschriebenen Nachzahlungsforderungen im Hinblick auf geschätzte 200.000 Leiharbeitnehmer (die auf der Grundlage der unwirksamen CGZP-Tarifverträge beschäftigt waren) können auf die betroffenen Zeitarbeitsunternehmen also Zahlungen in Millionenhöhe zukommen, was naturgemäß auch die Insolvenz einzelner Zeitarbeitsunternehmen zur Folge haben kann. Dies wiederum betrifft die Entleiherbetriebe maßgeblich, da sie zunächst einmal für den Fall der Insolvenz des Zeitarbeitsunternehmens ebenfalls für die Nachentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge haften, vgl. § 28 e Abs. 2 S. 1 SGB IV. Gleiches gilt für die Unfallversicherungsbeiträge, vgl. § 150 abs. 3 SGB VII.

Des Weiteren kann die Insolvenz eines Zeitarbeitsunternehmens auch dazu führen, dass in dem Entleiherbetrieb plötzlich dringend benötigte Arbeitskräfte ausfallen. Und nicht zuletzt steht zu erwarten, dass sich die Leiharbeit verteuern wird, weil zumindest diejenigen Zeitarbeitsunternehmen, welche die CGZP-Tarifverträge angewendet haben, ihren Leiharbeitnehmern aufgrund des so genannten "equal-pay"-Grundsatzes nun die gleiche Vergütung zahlen müssen wie der Entleiherbetrieb seinen Stammmitarbeitern.

Gravierende juristische Folgen

Die möglichen juristischen Folgen des BAG-Beschlusses zur Tarifunfähigkeit der CGZP sind also gravierend. Es bleibt aber zunächst nichts anderes übrig, als abzuwarten, ob sie auch tatsächlich Hinsicht so eintreten werden. Kunden von Zeitarbeitsunternehmen, d. h. den Entleihern, ist derweil anzuraten, Erkundigungen einzuholen, ob die von ihnen entliehenen Mitarbeiter bei dem Verleiher auf der Basis eines Tarifvertrages der CGZP angestellt waren. Falls dies tatsächlich der Fall war, besteht durchaus das Risiko einer Inanspruchnahme durch die Sozialversicherungsträger. Insoweit steht für betroffene Entleiherbetriebe die Überlegung an, gegebenenfalls entsprechende Rückstellungen zu bilden. (oe)

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Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt in Düsseldorf. Tel.: 0211 1752089-0, E-Mail: info@ra-salzbrunn.de, Internet: www.ra-salzbrunn.de