Einführung von ERP-Software

Zehn Anzeichen für ein Projekt in Schieflage

06.12.2011 von Bettina Voigt
Gescheiterte ERP-Projekte nerven und kosten Geld. Eine Expertin nennt die zehn Symptome, die auf Probleme hindeuten und liefert Tipps zum Gegensteuern.

Immer wieder weisen Statistiken darauf hin: ein Großteil der IT-Projekte gehen über das geplante Budget und die angesetzte Zeit hinaus oder scheitern ganz und gar. Einigen Zahlen kann man vertrauen, anderen weniger. Sicher ist aber, dass es Faktoren gibt, auf die Firmen achten sollte, um im geplanten Rahmen des Projekts zu bleiben und ein Scheitern zu verhindern.

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Woran erkennen Sie nun als Projektverantwortlicher, wie es um Ihr Projekt bestellt ist? Die folgenden zehn Symptome helfen Ihnen, die Lage Ihres laufenden Projekts einzuschätzen - ergänzt durch hilfreiche Praxistipps.

Symptom 1: Zeitplan und Budget werden nicht eingehalten

Ein unübersehbares Indiz für ein aus dem Ruder laufendes Projekt ist die deutliche und ungewollte Überschreitung des vereinbarten Zeitplans und Budgets.

Ursachen

Hier können so ziemlich alle denkbaren Ursachen zum Tragen kommen: ungenügende Planungsqualität auf Seiten beider Vertragsparteien, ungenaue Vertrags- und Leistungshinhalte, fehlendes Qualitäts-Management auf Anbieterseite oder mangelhafte Datenqualität. Besonders ärgerlich ist, wenn der Grundstein bereits in einer übereilten Vorprojekt- und Vertragsphase mit ungenauer Anforderungsspezifikation und vagen Leistungsinhalten gelegt wurde. In dem Fall nützt Ihnen auch kein Festpreisangebot, da dieses nur abdeckt, was konkret an Funktionalitäten vertraglich vereinbart wurde.

Tipp

Hier hilft Ihnen nur, was für ein erfolgreiches Projekt ohnehin notwendig ist: ein vernünftiges Vertrags-Controlling und eine stringente Projektüberwachung mit entsprechendem Berichtswesen. Dies setzt klar definierte Leistungsinhalte voraus, die bei Bedarf konkretisiert werden müssen. Offene Punkte und Dienstleistungen sollten erfasst und den vertraglich vereinbarten Leistungsinhalten zugeordnet werden. Ferner müssen die Anbieterrechnungen und Tätigkeitsberichte transparent und nachvollziehbar sein. Und Sie benötigen einen Verantwortlichen, der die entstandenen Aufwände sammelt, erfasst und auswertet.

Bevor es jedoch zu gravierenden Zeit- und Budgetüberschreitungen kommt, sollten Sie bereits bei den nun folgenden Anzeichen eingreifen.

Symptom 2: Inflation der "Changes"

Tauchen immer wieder zusätzliche Anpassungen auf, an die keiner im Vorfeld gedacht hat, die aber unbedingt nötig sind, um das Tagesgeschäft angemessen abwickeln zu können? Und sind diese Anforderungen laut Anbieter nicht Bestandteil des Vertrages?

Ursachen

Dann sind wahrscheinlich die Anforderungen und damit auch die Vertragsinhalte unzureichend definiert ("ein Stück Software wie besprochen").

Tipp

Je nach Schwere der Situation kann es sinnvoll sein, eine juristische Standortbestimmung mit externer Hilfe vorzunehmen. Auf jeden Fall benötigen Sie ein stringentes Änderungs-Management! Dazu gehört die Formulierung und vor allem Einhaltung eines festen Prüfungs- und Freigabeprozederes. Außerdem müssen Sie Änderungen (Changes) auf ihre Relevanz und Kosten-/Nutzen-Relation hin prüfen. Reine "Wünsch-dir-was-Listen" aus den Fachabteilungen sind kein relevanter Change. Die Änderungen müssen für alle Seiten (Auftraggeber, Auftragnehmer, Anwender, Berater beziehungsweise Entwickler) klar und eindeutig formuliert und verständlich sein. Der Aufwand ist zu beziffern. Bewährt haben sich entsprechende Formulare, die durch die Projektleitung zentral verwaltet werden. Ein "Change Request" ist eine Ergänzung zum Basisvertrag, die nur der Lenkungsausschuss beantragen und freigeben sollte.

Symptom 3: Unterschiedliche Auslegung der Leistungsinhalte und Mitwirkungspflichten

Möglicherweise herrscht aber nicht nur Unstimmigkeit bezüglich der Zusatzanforderungen. Typisch für Projekte in Schieflage sind unklare Rollenverteilungen, Verantwortlichkeiten und Mitwirkungspflichten.

Ursachen

Anwenderunternehmen verlassen sich allzu oft auf eine vermeintliche Beratungs- und Dokumentationsverantwortung des Lieferanten. Dabei lassen sie gern außer Acht, dass weder die Organisationsberatung noch die Geschäftsprozessoptimierung zu den Pflichten des Auftragnehmers zählen - es sei denn, im Vertrag wurde dies ausdrücklich so vereinbart.

Tipp

Unternehmen sollten daher mit dem Anbieter eine eindeutige Festlegung der Verantwortlichkeiten im Vertrag vornehmen. Zu klären sind insbesondere die Erstellung des Organisationshandbuches und der Anwenderdokumentation sowie die Mitwirkung des Auftraggebers bei Tests, bei der Einspielung von Patches und bei der Berechtigungsverwaltung etc. Bei knappen Personalressourcen müssen eigene Projektaufgaben möglicherweise an den Anbieter oder Externe vergeben werden. Sie sollten jedoch die Kosten dafür im Griff haben und unbedingt darauf achten, dass das entstehende Know-how in Ihr Unternehmen übergeht.

Symptom 4: Fehlender Durchblick bei Projektfortschritt und Kostenentwicklung

Können die Projekt- oder Teilprojektleiter inhaltliche oder planerische Fragen nicht oder nur ungenügend beantworten? Fehlt Ihnen Transparenz hinsichtlich des Projektfortschritts, der Kostenentwicklung und des Ressourcenverbrauchs? Sind die Anbieterrechnungen und Tätigkeitsberichte nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar?

Ursachen

Dann ist möglicherweise die Projektleitung mit einem stringenten Projekt-Management und dem Controlling zeitlich oder fachlich überfordert.

Tipp

Unternehmen sollten vor jedem Projektstart die persönlichen und fachlichen Management-Fähigkeiten ihres möglichen Projektleiters sowie dessen Verfügbarkeit detailliert prüfen. Notfalls kann die Einstellung neuen Personals notwendig sein. Auch eine Unterstützung durch neutrale Experten oder ein Coaching sind manchmal sehr sinnvoll.

Symptom 5: Die Projektkultur lässt zu wünschen übrig

Lassen Kommunikation, Kooperationsbereitschaft und Konfliktfähigkeit im Projektteam zu wünschen übrig? Werden Verabredungen immer seltener eingehalten? Und verliert das Projekt zunehmend die notwendige Unterstützung im Unternehmen?

Ursachen

Wenn die 'weichen Faktoren' nicht stimmen, dann fehlt es Ihrem Projekt wahrscheinlich an den ganz elementaren Spielregeln und Grundvoraussetzungen, die gern unter dem Begriff der 'Projektkultur' zusammengefasst werden. Dass es hierbei nicht per se um das Wohlbefinden der Projektmitglieder, sondern um harte betriebswirtschaftliche Faktoren geht - messbar in Effektivität, Termin- und Budgettreue-wird oft übersehen. Damit jedoch Vereinbarungen eingehalten werden und die Arbeit effektiv ist, braucht jedes Projekt gewissermassen Vorbilder. Dazu zählen an erster Stelle die Unterstützung der obersten Führungsebene und die Führungsqualität des Projektleiters. Aber auch klare Spielregeln für die Kommunikation und den Umgang mit Konflikten, die Einbindung von Mitarbeitern sowie die Weitergabe und Dokumentation von Informationen sind wesentlich für gutes Gelingen.

Tipp

Unternehmen, die unsicher oder unerfahren bei Einführungsprojekten sind, sollten auf externe Unterstützung zugreifen. Organisationsberatung, Schulungen oder Coaching des eigenen Projektleiters kann ebenfalls hilfreich sein.

Symptom 6: Sitzungen fallen aus / Mitarbeiter sind nicht verfügbar

Ein weiteres Alarmsignal sind ausfallende oder ständig verschobene Sitzungen. Oder hören Sie regelmäßig, dass die zugewiesenen Aufgaben aus Zeitgründen nicht erledigt werden konnten?

Ursachen

In diesem Fall ist wahrscheinlich die Ressourcenplanung für Ihr Projekt zu knapp bemessen und die Priorität im Unternehmen zu niedrig angesetzt.

Tipp

Klären Sie bereits im Vorfeld mit den Kollegen die Priorität des Einführungsprojekts gegenüber dem Tagesgeschäft. Projektgremientermine sind verbindlich und dürfen nicht dem Tagesgeschäft geopfert werden! Vermeiden Sie eine zu optimistische Zeitplanung Ihrer Personalressourcen und holen Sie Erfahrungswerte beim Anbieter ein. Als Daumenwert für die erforderliche Zuarbeit auf Auftraggeberseite gilt ein Verhältnis von Beratertag zu Manntag im Anwenderunternehmen von 1:2 oder sogar 1:3. Gerade die Projektleitung sollte von zusätzlichen Rollen wie zum Beispiel der Abteilungsleitung entlastet beziehungsweise freigestellt werden.

Symptom 7: Fehlende Mitarbeitermotivation

Ihre Mitarbeiter wirken wenig motiviert? Oder Sie haben den Eindruck, dass einzelne Mitarbeiter den Fortschritt des Projektes blockieren? Möglicherweise wissen Sie vielleicht gar nicht, wie die Stimmung in den einzelnen Abteilungen ist?

Ursachen

Dann sind Ihre Mitarbeiter offensichtlich unzureichend in die Planungs- und Entscheidungsprozesse des Projekts eingebunden. Dies ist gefährlich, da die Qualität der Arbeitsergebnisse, die Zeitplanung und nicht zuletzt die Budgets entscheidend von der Mitarbeit des Projektteams abhängen.

Tipp

Binden Sie Ihre Mitarbeiter frühzeitig und kontinuierlich durch gezielte Kommunikation ein. Ein Projektstatusbericht, Erfolgsberichte und auch Informationen über die Arbeiten der anderen Abteilungen tragen wesentlich zur Motivation bei. Ein Newsletter oder vielleicht ein internes Gewinnspiel können bei längeren Projekten gute Maßnahmen sein.

Schaffen Sie darüber hinaus eine Kommunikationskultur, in der Ziele, Ergebnisse und organisatorische Änderungen in die Organisation weitergetragen werden. Achten Sie auch darauf, regelmässig Rückmeldungen einzuholen.

Symptom 8: Disharmonien oder Verbrüderung der Projektleiter

Kommt es in Ihren Sitzungen häufiger zu Streitereien zwischen den Teilnehmern? Und sind die Diskussionen eher problem- als lösungsorientiert? Mit unschönen Folgen für die Länge der Meetings? Oder verstehen sich im Gegenteil alle so gut, dass auf der einen Seite tiefstes Verständnis für die Verzögerungen auf der anderen Seite herrscht und deshalb nichts voran geht?

Ursachen

Die Qualität und Erfahrung der Projektleiter ist einer der oben genannten Erfolgsfaktoren in einem Einführungsprojekt. Unterscheiden Sie zwischen gelegentlichen Uneinigkeiten und andauernden destruktiven Konflikten oder Verbrüderungen. Diese sind nicht zielführend und mithin ein Zeichen mangelnder Professionalität.

Tipp

Bei andauernden Diskrepanzen oder Verbrüderungen zwischen den Projektleitern sollten Sie unbedingt rechtzeitig gegensteuern. Ständige Konfliktbereitschaft kann bestenfalls durch eine Klärung im gemeinsamen Gespräch gelöst werden, schlimmstenfalls durch einen Austausch der Projektleitung auf Auftraggeber- oder Auftragnehmerseite.

Seien Sie deshalb bei der Wahl der Leitung bedacht. Einerseits ist große fachliche Kenntnis über das eigene Unternehmen gefragt. Andererseits sollte eine ausgeprägte Management-Kompetenz vorhanden sein: Aufgaben müssen verstanden, strukturiert, klar delegiert und auch kontrolliert werden, mitsamt der dazugehörigen Verantwortung.

Symptom 9: Schwächen in der Dokumentation und Planung

Variieren Dokumenten- und Protokollvorlagen je nach Ersteller oder gibt es vielleicht gar keine Protokolle von Arbeitssitzungen? Sind die Dokumente des Projektes über diverse elektronische Ordner verteilt und nur mühsam auffindbar?

Ursachen

Gerade anhand solcher vermeintlicher Kleinigkeiten lässt sich die Qualität des Projekt-Managements ablesen. Spätestens wenn Schulungsunterlagen, Anwenderhandbücher, Dokumentation der Installation, Testpläne oder Projektpläne fehlen, ist der Projekterfolg gefährdet. Zudem leiden darunter die nachgelagerten Prozesse wie beispielsweise die Integrationstests, die Anwenderschulungen oder die Administration des Systems. Ein strukturiertes Vorgehen und der Einsatz passender Werkzeuge sind die Basis für ein qualitatives und effizientes Projekt-Management und helfen Zeit und Kosten zu sparen.

Tipp

Dokumente, die mindestens in einem IT-Einführungsprojekt entstehen müssen, sind: Pflichtenheft, Kostenkalkulation, Projektplan, Testspezifikation und -pläne, Offene-Punkte-Liste, Anwenderdokumentation, Sitzungsprotokolle und Abnahmeprotokoll. Fragen Sie den Einsatz solcher Hilfsmittel und Qualitätssicherungsmaßnahmen beim Anbieter bereits in der Angebotsphase ab!

Symptom 10: Software läuft nicht zufriedenstellend

Tauchen in der gelieferten Software immer wieder Fehler auf? Ist das System extrem langsam? Oder hält die Software nicht, was sie verspricht?

Ursachen

Die Ursachen hierfür sind vielschichtig: Ist die Lieferqualität des Anbieters mangelhaft, überprüfen Sie die Qualität des Release-Managements Ihres Lieferanten. Denn die Software muss vor Auslieferung ausführlich getestet sein. Doch häufig liegen die Ursache auch woanders: So ist die Geschwindigkeit der Software auch abhängig von der IT-Infrastruktur, die Qualität der Daten hängt auch von der Qualität der Datenbereinigung ab. Und: Ihr Unternehmen kann die Software nur dann effizient nutzen, wenn alle Beteiligten die neuen Prozessen verstanden haben.

Ist das Vertrauen in den Anbieter jedoch erschüttert, kann es geraten sein, externe Experten einzuschalten, um eine neutrale Situationsanalyse durchzuführen.

Der schlimmste Fall ist gegeben, wenn sich in der Einführung oder im Live-Betrieb herausstellt, dass die beauftragte Software weder die technischen noch die sachlichen Anforderungen erfüllt. Dann wurden vermutlich die Anforderungen nicht ausreichend fixiert und bei der Auswahl des Softwarepakets zu wenige Expertenmeinungen eingeholt und berücksichtigt. In diesem Fall kann ein unabhängiger Moderator mit juristischem Sachverstand klären, ob und welche Möglichkeiten der Rückabwicklung bestehen.

Tipp

Legen Sie im Vertrag den Lieferumfang und die Leistungsparameter genau fest. Hierzu gehören neben den benötigten Funktionalitäten beispielsweise garantierte Antwortzeiten der zu liefernden Software sowie die detaillierte Konfiguration der benötigten IT-Infrastruktur. Eine Ausstiegsklausel im Vertrag sollte die Möglichkeit eröffnen, nach der Vorprojektphase notfalls die Reißleine zu ziehen. Lassen Sie sich im Vorfeld das Release-Management des Lieferanten erläutern und stellen Sie ausreichende Tests der Software vor Auslieferung sicher.

Fazit

Es gibt viele mehr oder weniger auffällige Symptome, die auf ein Projekt in Schieflage hindeuten. Achten Sie genau auf diese Signale und hinterfragen Sie sie lieber einmal zu viel als zu wenig. Die folgende Checkliste mit Symptomen hilft dabei.

Damit es gar nicht so weit kommt, sollten Sie bereits bei der Projekteinrichtung vorbeugen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die menschlichen Faktoren eine entscheidende Rolle in einem erfolgreichen Projekt spielen. Das Vorhaben muss von der Unternehmensleitung unterstützt, von einem geeigneten Projektleiter professionell gemanagt und von den Mitarbeitern getragen werden.

Darüber hinaus gehört zu jedem erfolgreichen Projekt die fundierte Auswahl der passenden Software und des am besten geeigneten Lieferanten, samt umfassender Formulierung und vertraglicher Fixierung der erwarteten Leistungen. (fn)

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