Verwirrspiel um die Netzneutralität

Zahlt Google für Internet-Vorfahrt?

06.08.2010 von Jürgen Hill
Jahrelang war Google einer der lautstarken Verfechter der Netzneutralität. Jetzt soll das Unternehmen angeblich über den bevorzugten Weitertransport bestimmter Content-Arten verhandeln.

Vom Paulus zum Saulus? Die umgekehrte biblische Wandlung soll Google vollziehen. Das Unternehmen, so ein Bericht der New York Times, wolle künftig für die schnellere Übermittlung bestimmter Internet-Inhalte bezahlen. Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein und verbreitete sich rasch um den Globus: Google, der glühende Verfechter der Netzneutralität bricht mit seinen Prinzipien und will etwa für den schnelleren Weitertransport bezahlen? Hierzu führe Google Verhandlungen mit Verizon, so die Times weiter, und im Laufe der nächsten Woche sei der Abschluss eines entsprechenden Deals geplant.

Totengräber des freien Internets? Google-Chef Eric Schmidt, einst glühender Verfechter der Netzneutralität, hält eine Priorisierung bestimmter Inhaltsarten für überlegenswert.

Die Sensation schien perfekt und eine Neuordnung des gesamten Internet-Business durch den drohenden Fall der Netzneutralität bevorzustehen. So entstanden die wildesten Spekulationen, zumal die beiden Akteure Google und Verizon keine klare Stellung bezogen. Ganz im Gegenteil, Google-Chef Schmidt sorgte in Kalifornien für weitere Verunsicherung als er auf einer Presseveranstaltung orakelte: "Netz-Provider sollten nicht die Inhalte eines bestimmten Unternehmens bevorzugt weitertransportieren dürfen, sondern nur Datenarten gegenüber anderen - etwa Voice vor Video." Um nichts anderes geht es aber in der Diskussion um die Netzneutralität (siehe auch "Mautpflicht für bestimmte Internet-Dienste?").

Im Kontrast hierzu erschien dann eine Twitter-Meldung von Google mit dem kurzen Inhalt "@NYTimes is wrong. We've not had any convos with VZN about paying for carriage of our traffic. We remain committed to an open internet." Und Verizon bemühte sich auf seinem Firmen-Blog klarzustellen, dass die New York Times die Gespräche zwischen Google und Verizon falsch interpretiere und es falsch sei, so auf ein Business-Agreement zu schließen. Als Reaktion darauf, bekräftigte die New York Times, dass ihr Artikel korrekt sei.

Klare Dementi lesen sich anders. Zudem brauchte Google über 20 Stunden, um auf die Falschmeldung mit einem Tweet zu reagieren, dessen Urheber unklar ist. Warum machen die beiden Unternehmen so ein Geheimnis um ihre Gespräche? Letztlich bleibt also viel Interpretationsspielraum. Vielleicht ist ja folgende Vermutung richtig: Es ist falsch, dass Google für den bevorzugten Weitertransport seiner Inhalt zahlt. Dafür haben sie sich aber geeinigt, künftig Videodaten im Netz grundsätzlich zu priorisieren - egal von wem sie stammen. Und für diesen Service wird ein Zuschlag erhoben.

Internet-Maut auch bei Telekom und Co?

Spinnt man diesen Gedanken weiter, dann könnte eine Vereinbarung zwischen Google und Verizon Signalwirkung für die gesamte Internet-Branche haben: Google war nämlich in den letzten Jahren die prominente Speerspitze der Verfechter einer Netzneutralität im Internet. So hatte sich die Company immer Ansinnen widersetzt, dass die Verursacher hohen Datenaufkommens im Internet dafür bezahlen sollen. Ebenso lehnte sie ab, dass bestimmte Content-Arten wie etwa Video gegen Cash im Internet Vorfahrt erhalten sollten. Angesichts solcher Wünsche, die vor allem von Service Providern und Telcos kommen, warnte Google-Chef Eric Schmidt des Öfteren öffentlichkeitswirksam: "Das Internet, wie wir es kennen, ist ernsthaft in Gefahr."

Nie wieder Stau für Video-Inhalte - über was verhandeln Google und Verizon wirklich?
Foto: Fotolia, M. Musunoi

In der Tat könnte damit das Internet in Gefahr sein. Ähnliche Begehrlichkeiten hatten etwa Telefonica-President Cesar Alierta angemeldet und auch andere TK-Unternehmen stehen in den Startlöchern. Und Telekom-Chef René Obermann hatte erst kürzlich das Prinzip der Netzneutralität in Frage gestellt und für eine Zwei-Klassengesellschaft plädiert. Für die Enduser könnte dies bedeuten, dass sie künftig zwar Internet-Videos ruckelfrei empfangen, dafür aber auch mehr bezahlen müssen. Des Weiteren befürchten Bürgerrechtsorganisationen, dass in einem Internet mit priorisiertem Content gegen Bezahlung kleinere Inhalteanbieter unter die Räder geraten. Ihre Inhalte würden dann nicht mehr wahrgenommen, so die Argumentation, wenn nur die Angebote einiger große Anbieter schnell und störungsfrei zum Enduser transportiert werden.

Abzuwarten bleibt, inwieweit nun auch die Regulierungsbehörden in Europa und den USA ihre Meinung zum Thema Netzneutralität ändern.

Mehr zum Thema Netzneutralität lesen Sie im Beitrag "Mautpflicht für bestimmte Internet-Dienste?".