Data Warehouse bei Hugendubel

Zahlen regieren die Welt der Bücher

25.10.2004 von Uwe Küll
Über den Erfolg der Buchhandlung Hugendubel entscheidet der geschickte Einkauf. Weit über 100 Jahre Erfahrung und moderne Informationssysteme bilden die Basis für die richtigen Entscheidungen.

150 000 T I T E L auf sechs Stockwerken - die Buchhandlung Hugendubel am Münchner Marienplatz bietet Bücherfreunden vor allem eines: die süße Qual der Wahl. Doch sie sind damit nicht allein. „Wir kennen das Problem“, versichert Maximilian Hugendubel, Geschäftsführer Finanzen beim traditionsreichen Familienunternehmen mit inzwischen 33 Filialen in ganz Deutschland. „Schließlich müssen wir aus mehreren Millionen lieferbaren Büchern diese 100 000 bis 150 000 Titel pro Filiale auswählen.“ Während der Leser sich jedoch bei seiner Entscheidung meist auf einzelne Bereiche konzentriert, muss der Buchhändler auch noch ein möglichst breites Spektrum abdecken: vom Krimi über den Reiseführer bis zum Kinderbuch und zum Softwarehandbuch.

Data Warehouse systematisiert Auswahl

Darüber hinaus hat er zu entscheiden, in welcher Menge er welchen Titel vorhält. Und schließlich muss die getroffene Auswahl wöchentlich neu angepasst werden. „Diese Auswahl ist der Kernprozess in unserem Geschäft. Dazu braucht man vor allem Erfahrung, und die haben wir nach fast 150 Jahren Hugendubel in München. Aber ohne IT-Unterstützung ist das heute nicht mehr machbar.“ Steigende Produktion einerseits und immer kurzfristigere Marktbewegungen andererseits verlangen nach aussagekräftigen Zahlen für die Entscheidungsunterstützung. „Mit Data-Warehouse- Techniken haben wir großartige Möglichkeiten die Sortimentsauswahl zu systematisieren“, meint der Finanzchef, der außerdem einer der zwei Geschäftsführer der ausgegründeten Hugendubel-IT ist. Früher

gab es schon mal Glaubenskriege zwischen Filialleitern und Geschäftsführung, wenn es darum ging, ob in Beweeinem bestimmten Haus zu einem bestimmten Thema die Produktauswahl stimmt. Heute schauen die Entscheider in das Data Warehouse und können sagen: „Die Abverkaufszahlen für Belletristik sehen in Frankfurt so aus und am Münchner Marienplatz anders - bitte erklärt mir das.“

Benchmarks für Bestseller

Für den früheren Unternehmensberater und promovierten Juristen Hugendubel ist das ein echter Fortschritt: „Wo früher Gefühl und Glaube regierten, bewegen wir uns heute auf der Basis relativ gesicherter Zahlen, Daten und Fakten.“ Dazu gehören die Abverkaufszahlen pro Haus und über die gesamte Firma mit ihren 33 Filialen. „Als Erstes schauen wir anhand unserer Eingangs- und Abverkaufsdaten, ob wir irgendwelche Umsätze verpassen.“ Dazu werden die Zahlen aus dem eigenen Unternehmen mit den Zahlen der GfK verglichen. „Auf Segmentebene benchmarken wir beispielsweise regelmäßig unsere Top 100 im Bereich Belletristik mit denen der GfK. Und schauen uns dann an, wie das über die verschiedenen Häuser hinweg aussieht. Genauso vergleichen wir unsere Umsätze in einzelnen Warengruppen mit den Entwicklungen, die GfK in den Marktsegmenten ermittelt.“ Für detailliertere Vergleiche werden die Filialen außerdem nach

Größe und Lage in bestimmte Cluster gegliedert.

Trotz aller Bedeutung der Zahlen ist für Hugendubel jedoch die Kompetenz der Einkäufer letztlich wichtiger als die IT: „Theoretisch könnten wir unsere Läden nach bestimmten Logarithmen automatisch nachbestücken lassen. Aber eine solche, rein vergangenheitsund zahlenbezogene Einkaufspolitik wollen wir nicht“, bezieht er klar Stellung. „Wenn Sie bei uns einen Mitarbeiter im Laden sehen, können Sie davon ausgehen, dass er Einkaufskompetenz für seinen Bereich hat.“ Das ist eher ungewöhnlich im Handel. Aber für Hugendubel ist die verteilte Einkaufskompetenz ein Grundstein des Erfolges. Ein Beispiel: „Geschichte ist bei uns traditionell keine besonders starke Warengruppe. Wenn dann plötzlich ein Michael Moore auftaucht, der unter Zeitgeschichte läuft, können wir natürlich

nicht warten, bis die GfK ermittelt, dass dessen Bücher überall Bestseller sind. Dafür brauchen wir Leute, die auf Basis der Daten, die wir ihnen zur Verfügung stellen, und ihrer eigenen Fachkenntnis kaufmännische Entscheidungen treffen und das neue Buch von Moore aufs Zentrallager legen.“

Sämtliche Systeme werden von der hauseigenen Paragon Data GmbH in Friedrichsdorf betreut, die ihre Dienste auch Dritten anbietet und bereits mehrere externe Kunden gewonnen hat (www. paragon-data.de). Dennoch gibt es Überlegungen, die Informationen aus dem Data Warehouse künftig noch stärker zu nutzen. Udo Würtz, Geschäftsführer des hauseigenen IT-Dienstleisters Paragon Data GmbH, hat dazu schon konkrete Vorstellungen: „Man könnte sie etwa den Kunden selbst zur Verfügung stellen für ihre Orientierung im Laden - etwa in Form von Info-Terminals.“

Nutzen muss beschreibbar sein

Dort könnten Kunden dann Abfragen starten wie: „Wer Mankell kauft, kauft oft auch ...“ Für Lieferanten könnte man ebenfalls bestimmte Informationen recherchierbar machen, doch konkrete Projekte in dieser Richtung gibt es noch nicht. „Dazu fehlen uns Daten über einen konkret nachweisbaren Nutzen bei vertretbarem Aufwand.“

Große Datenmengen hat die Hugendubel- IT aber nicht nur im Data Warehouse zu bewältigen: Auch die Bewegungsdaten der Tausende von Büchern, die jeden Tag angeliefert und verkauft werden, stellen aufgrund ihrer Menge eine Herausforderung dar. Rechnungen und Lieferscheine kommen zu 80 Prozent elektronisch. Aber Klein- und Kleinstverlage schicken Rechnungen auf Papier, die teilweise nicht mal zum Vorsteuerabzug berechtigen. „Das wird sich auch nicht ändern“, meint Hugendubel. „Wir sind keine Metro, die Lieferanten einfach auslistet, wenn sie bestimmte Standards der elektronischen Datenübertragung nicht erfüllen.“ Diese Papierrechnungen werden mit einer SAP-Scanlösung optisch archiviert. Falls es mal Fragen zu einer Rechnung gibt, haben die Sachbearbeiter sie sofort auf dem Bildschirm.

Ein wichtiger Bestandteil der Artikeldaten ist neben ISBN, EAN und dem Preis das Erscheinungsdatum, erläutert Hugendubel: „Wenn ein Buch innerhalb von drei Monaten nach Erscheinen nur zehnmal verkauft wurde, muss es aus dem Zentrallager raus. Wenn es nicht drin ist und sich in einer Woche mehr als 20-mal verkauft, muss es aufgenommen werden - denn die Konditionen bei Lieferung über Zentrallager sind fast doppelt so gut wie bei Bezug über Barsortiment. Das wesentliche Erfolgsgeheimnis besteht für uns darin, dass die Titel am Lager auch wirklich die meistverkauften sind.“ 2000 bis 3000 Titel liegen auf dem Zentrallager. Sie tragen bis zu einem Drittel zum Jahresumsatz von 220 Millionen Euro bei. Allerdings sind die Abverkaufszahlen in dieser Gruppe sehr unterschiedlich:Während der Spitzenreiter Harry Potter mehr als 100

000-mal im Jahr über die Ladentheke geht, werden andere Titel im gleichen Zeitraum nur 100-mal verkauft - und gehören damit immer noch zu den Top-Sellern.

Die restlichen zwei Drittel des Umsatzes verteilen sich auf Bücher, die direkt beim Verlag bestellt werden, und solche, die innerhalb von 24 Stunden beim Großhandel nachbestellt werden können. „Wenn Sie heute bis 14 Uhr bestellen, können Sie das Buch morgen um zehn abholen“, versichert Hugendubel. „Das ist natürlich ein immenser Aufwand, den wir da betreiben, um unsere Kunden zufrieden zu stellen. Das gibt es sonst nur in Apotheken.“

Betrieben wird das Lager von der Firma Libri in Bad Hersfeld. Allerdings existiert hier kein eigenes physisches Lager. Hugendubel: „Im Grunde wissen nur die Warenwirtschaft von Libri und unsere eigene, welche Bücher uns gehören und welche Libri. Physisch liegen sie nämlich alle auf einem Stapel.“ Hier sind denn auch nach Einschätzung des ehemaligen Unternehmensberaters die möglichen Synergieeffekte ausgereizt. Umso wichtiger ist es, die Personalkosten in den Filialen mit Hilfe von IT zu kontrollieren. „Wir haben beispielsweise sehr schnelle Kassen. Das kostet eine Menge Geld für die Kassen selbst, Software und Datenleitungen. Dafür brauchen wir im Weihnachtsgeschäft nicht doppelt so viele Kassierer wie sonst. Und das käme uns wesentlich teurer.“

IT, das macht Hugendubel deutlich, ist für ihn Mittel zum Zweck: „Ich bin ganz einseitig gesteuert. Vor jedem Projekt frage ich: Was bringt das, und was kostet uns das?“ Im Zweifel setzt er lieber auf eine kleine Lösung. So läuft die Unternehmensplanung beispielsweise auf Excel-Basis, wobei die zu Grunde liegenden Zahlen aus SAP stammen. „Und wenn es darum geht, Mietverträge auszuhandeln, braucht mein Vater nach wie vor nicht mehr als einen Taschenrechner“, schmunzelt Hugendubel. Über sich selbst sagt er: „Ich bin absoluter Excel-Fan und sonst überhaupt kein IT-Freak.“ Von seinem Blackberry beispielsweise wisse er gar nicht, was der alles kann. „Ich habe die Gebrauchsanweisung nie gelesen. Ich bringe mir das bei, was ich brauche, und das ist die Verwaltung meiner Termine, weil ich die von

unterwegs besser mit den Eintragungen meiner Assistentin abgleichen kann.“ Allerdings war es auch keine Abneigung gegen die IT, die zur Ausgründung der IT-Abteilung in eine eigene GmbH führte. Vielmehr ging es um Kostentransparenz. Hugendubel wollte einen Überblick über die Summe der EDVKosten, die bis dahin, auf unterschiedliche Kostenstellen verteilt, gebucht und geplant wurden. So wurden beispielsweise die Rechner in den Filialen auf die Kostenstelle EDV gebucht, doch die Rechner in der Geschäftsleitung auf die Kostenstelle Geschäftsleitung. Das wollte der Finanzmanager zusammenfassen, um einen besseren Überblick zu haben. „Natürlich geht das auch mit internen Verrechnungen, aber bei einer GmbH hat man eine Bilanz und klare Abschreibungsrichtlinien, das schafft eine bewährte Form des

Überblicks.“ Außerdem bot die Gründung der Paragon Data GmbH die Möglichkeit, den bisherigen IT-Leiter Würtz durch eine Beteiligung stärker an das Unternehmen zu binden: „Herr Würtz hat in der Branche einen guten Ruf - und wir wollen ihn nicht verlieren.“ Hinzu kam schließlich die Erfahrung von Maximilian Hugendubel aus seiner Zeit als Unternehmensberater. „Ich habe gesehen, wie Banken, die beimKunden konkurrieren, im Backend zusammenarbeiten, um Kosten, die so oder so anfallen und keine engere strategische Bedeutung haben, auf mehrere Schultern zu verteilen.“ In diesem Zusammenhang erschien es sinnvoll, entsprechende Angebote nicht unter der Marke Hugendubel laufen zu lassen, um die Unabhängigkeit des Dienstleisters zu betonen.

Heute betreut das Unternehmen Paragon Data, das Anfang 2003 in die Selbstständigkeit entlassen wurde, mit 18 Mitarbeitern ein rundes Dutzend Kunden, darunter beispielsweise den Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Deutsche Bank. Der Umgang mit IT aus Sicht der Fachabteilungen bei Hugendubel hat sich organisatorisch nicht geändert. Die spannendste Frage bei der Ausgründung war für die beiden Geschäftsführer, was die Mitarbeiter sagen, die nun einen Vertragmit einer völlig neuen Gesellschaft haben. Da gab es jedoch keinerlei Probleme, alle betroffenen Mitarbeiter waren von Anfang an mit dabei. Räumlich änderte sich für sie ohnehin nichts - auch früher schon saß die IT-Abteilung größtenteils in Friedrichsdorf.

IT-Abteilung ausgegründet

Neu ist hingegen die Kundenorientierung im Binnenverhältnis zwischen Hugendubel und der Paragon Data GmbH. Dazu Würtz: „Wenn zwei Mitarbeiter eines Unternehmens diskutieren, ob eine bestimmte Entscheidung sinnvoll ist oder nicht, tun sie das anders als im Verhältnis Dienstleister-Kunde. Intern ist das natürlich nicht per Schalter- Umlegen zu erreichen, aber externe Kunden erwarten es einfach, und insofern achten wir auch intern auf die entsprechende Übung.“ In der Praxis sieht das so aus: Wenn Hugendubel Würtz anruft und fragt, ob der Zeit hat, sagt er: „Für meinen größten Kunden habe ich immer Zeit.“ Bei den IT-Kosten hat sich die Ausgründung bislang kaum bemerkbar gemacht: Sie liegen weiterhin bei 1,5 Prozent vom Umsatz. Für Würtz ist das „in Ordnung“. Auch Finanzchef Hugendubel ist für den Moment zufrieden, sieht aber noch Sparpotenzial: „Unser Ziel ist ein Prozent vom Umsatz - das wäre

richtig gut!“