Lars Hinrichs im Interview

"Xing profitiert von der Krise"

17.10.2008 von Jürgen Liebherr
Das Business-Netzwerk Xing, vormals OpenBC, feiert sein fünfjähriges Bestehen. Im CW-Interview erklärt Unternehmenschef Lars Hinrichs, warum ihm der wirtschaftliche Abschwung keine Sorgen bereitet.

CW: Vor kurzem kam die Meldung aus den USA, dass eBay jede zehnte Stelle abbauen müsse. Kann der Xing AG etwas Vergleichbares passieren?

Trotz Banken-Krise optimistisch: Lars Hinrichs von Xing

Hinrichs: Im Gegenteil. Wir haben dadurch schon einige Mitarbeiter von eBay bekommen. Zudem hat eine Wirtschaftskrise sogar Vorteile für unser Unternehmen. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist man noch mehr auf Kontakte und Networking angewiesen.

CW: Müssen Sie nicht mit einem Rückgang der zahlenden Mitglieder rechnen, wenn sich die aktuelle Finanzkrise zur umfassenden Wirtschaftkrise ausweitet?

Hinrichs: Wir erwarten das nicht. Gerade wenn Unsicherheit herrscht, schaut man sich im Umfeld noch aktiver nach Jobs, Aufträgen, Mitarbeitern und Geschäftspartnern um. Genau dafür bietet sich Xing an. Davon abgesehen haben wir tausende von Firmen-Alumnis, die sich nach einer Pleite - wie zum Beispiel von Lehman Brothers - bei uns neu vernetzen.

CW: Ihr größter Konkurrent, das amerikanische Netzwerk LinkedIn, steht ja seit Jahren in den Startlöchern und engagiert sich stark in Europa. Bis Ende 2008 will das Management auch eine deutschsprachige Plattform präsentieren. Macht Ihnen das Sorgen?

Hinrichs: Seit unserem Börsengang im Jahr 2006 behauptet LinkedIn immer wieder, schon bald mit einer deutschen Version zu starten. Aber bis jetzt ist das nicht eingetreten. Wir sind ganz entspannt. Schließlich sind wir klarer Marktführer in Europa. So gesehen wird es für andere schwierig werden, hier überhaupt Fuß zu fassen.

CW: Die Premium-Mitgliedschaft bei Xing kostet monatlich 5,95 Euro. Die US-Konkurrenz verlangt von Mitgliedern ein Vielfaches dieser Summe und wird dies künftig wohl auch in Deutschland tun. Viele Web-Nutzer fragen sich, wofür sie eigentlich solche Summen zahlen sollen, wenn sie als Gegenleistung im Prinzip nur ein professionelles Business-Adressbuch bekommen.

Hinrichs: Als erstes: die Adressbuchfunktion ist bei uns sogar kostenfrei. Darüber hinaus erhalten Sie bei Xing für überschaubares Geld wertvolle Kontakte, auch außerhalb ihres Netzwerks. Sie bekommen erweiterte Suchfunktionen, "Frei-Klicks" bei Marketplace-Anzeigen und vieles mehr.

CW: Planen Sie neue Premium-Features?

Hinrichs: Dieses Jahr wird es noch ein oder zwei spannende Neuerungen geben. So arbeiten wir an einem verbesserten Messaging-Tool.

CW: Neben der Subskription mit zahlenden Kunden werden bei Xing anscheinend auch andere Geschäftsfelder wie Advertising immer wichtiger.

Hinrichs: Das stimmt. Advertising ist aber nur ein kleiner Baustein eines wachstumsstarken B2B-Geschäfts. Bereits heute verdienen wir deutlich mehr Geld mit dem Stellenmarkt für Mitglieder. Nur wenige Monate nach dem Start haben wir einen Quartalsumsatz von etwa einer Million Euro erreicht. Und das ohne gezielte Vertriebsaktivitäten - was die Viralität dieses Services unterstreicht. Auf diesem Erfolg werden wir aufbauen und in Kürze weitere B2B-Services und Geschäftsmodelle etablieren.

CW: Noch mal zurück zu Ihrem Konkurrenten LinkedIn: Glauben Sie, dass auf dem deutschen Markt langfristig zwei Plattformen nebeneinander bestehen können?

Hinrichs: Das werden die Mitglieder entscheiden. Wir sind in Deutschland und Europa Marktführer. Wer hier in Zukunft geschäftlich netzwerken möchte, geht eher dahin, wo die Business-Community bereits aktiv ist.

CW: Immerhin hörte man im Sommer, dass LinkedIn mehrere Millionen Dollar von diversen Investoren gesammelt hat und ein Börsengang noch immer denkbar ist. Könnte LinkedIn Xing nicht einfach schlucken?

Hinrichs: Das ganz sicher nicht. Denn Xing ist nachweislich hochgradig profitabel, hat seinen Umsatz im Vergleich zum letzten Halbjahr verdoppelt und den Gewinn verdreifacht. Unsere wesentlichen Investoren sind eng mit uns verbunden und sehen in Xing ein nachhaltig attraktives Investment.

CW: Könnte es grundsätzlich nicht auch sein, dass der ganze Community- und Netzwerk-Hype bald zusammenbricht und die User abwandern?

Hinrichs: Nein. Ich sehe bei Business-Plattformen ein anderes Nutzerverhalten als bei privat genutzten Netzwerken. Bei Communities wie Facebook oder MySpace melden sich die User an und sind in der Anfangszeit sehr aktiv. Dann lässt das Interesse schnell nach. Aber prinzipiell und weltweit gesehen wachsen diese Plattformen immer noch gigantisch. Ein beruflich genutztes Netzwerk wie Xing wird ganz anders genutzt: Xing-Mitglieder haben im Netzwerk andere Nutzungsrhythmen. Berufliche Kontakte bieten einen echten Mehrwert, deshalb bleibt der Nutzer aktiv.

CW: Sie haben ja langjährige Erfahrung mit dem Internet-Business: Wohin geht die Entwicklung des Web im Moment?

Hinrichs: Das nächste was wir sehen werden, ist, dass noch nicht etablierte Startups Finanzierungsengpässe bekommen - genauso wie im Jahre 2001 (Anm. d. Red.: als die erste Dotcom-Blase platzte). Venture Capital steht nur bereit, wenn es auch einen "Exit" gibt, also eine Möglichkeit zum Verkauf oder zum Börsengang. In der aktuellen Situation wird es aber für viele Startups keine Anschlussfinanzierung geben. Dann sind die Unternehmen darauf angewiesen, ein Geschäftsmodell zu finden, das schnell profitabel wird. In Silicon Valley sind schon einige Firmen untergegangen. Das droht jetzt auch in Deutschland zu passieren.

CW: Abgesehen von der düsteren wirtschaftlichen Situation: Wie entwickelt sich das Internet technisch weiter?

Hinrichs: Man muss kein Prophet sein, um das vorherzusagen: Alle möglichen Desktop-Applikationen werden immer mehr ins Netz gehen. Spannend finde ich auch, dass man spezielle Dienstleistungen oder Architekturen im Internet mieten kann, beispielsweise Rechenleistung oder Speicherplatz bei Amazon, das ganze Thema Cloud Computing. In diesem Zusammenhang glaube ich auch, dass viele Startups sogar von der Krise profitieren werden. Deren Geschäftsmodelle funktionieren auch in schlechten Zeiten.

CW: Was ist ihre Lieblings-Site außer Xing?

Hinrichs: Twitter.

CW: Sie twittern also? Viele belächeln diesen Dienst. (Anm. d. Red.: Kommunizieren/Bloggen über 140 Zeichen lange SMS-artige Kurznachrichten)

Hinrichs: Ja, ich twittere. Ich find es hochgradig spannend. Hier findet ein extrem schneller Austausch von Informationen statt. Diese Art, Kurzinformationen zu übertragen, ist auch innerhalb einer Firma eine sehr interessante Anwendung. (wh)

Kurzporträt Xing

Im Jahr 2003 gründete Lars Hinrichs das internetbasierende Business-Netzwerk OpenBC. Schon bald trat die Plattform erfolgreich aus dem Schatten des US-Vorbilds LinkedIn. In Deutschland entwickelte sich OpenBC schnell zur Nummer Eins der Business-Netzwerke. Nach der Umfirmierung in Xing ging das Unternehmen am 7. Dezember 2006 an die Börse. Inzwischen ist die Xing AG europäischer Marktführer im Bereich Business-Networking. Die Internet-Plattform unterstützt 16 Sprachen, expandiert weiter und versucht neben der Subskription (Premium-Mitglieder zahlen monatlich 5,95 Euro), neue Geschäftsfelder zu erschließen. Dabei machen die Bereiche Advertising und E-Commerce bereits 20 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Der Halbjahresumsatz in 2008 betrug 15,91 Millionen Euro. Xing beschäftigt 160 Mitarbeiter und zählt derzeit mehr als sechs Millionen Mitglieder, davon sind über 500.000 zahlende Kunden.

Lars Hinrichs

Der 31 Jahre alte Lars Hinrichs ist ein Mann der ersten "Internet-Stunden". Schon 1998 bekam er den Grimme-Preis für sein erstes Unternehmen, die Internet-Plattform "Politik-digital". Ab 2001 war der Hamburger unter anderem als Berater für Finanzierungs- und Investorenmandate tätig; 2003 brachte er OpenBC (später Xing) ins Rollen. Im März 2008 ernannte ihn das World Economic Forum zum Young Global Leader. Lars Hinrichs gehört damit zu den deutschen Vorzeigeunternehmern in Sachen Web 2.0.